Frieden rettet Israel nicht vor wütenden Protesten
Scharfschützen, Drohnen, Gewalt: In Italien wird erneut ein WM-Qualifikationsspiel Israels von Gaza-Protesten begleitet, die irgendwann völlig aus dem Ruder laufen. Der Fußball bleibt auch nach dem Waffenstillstand zerrüttet von Krieg und Leid im Nahen Osten - wie soll es weitergehen?
Zunächst lief alles friedlich ab. Rund 300 Gruppen und Vereine hatten eine propalästinensische Großdemonstration rund um das WM-Qualifikationsspiel Italien gegen Israel in Udine angekündigt. Etwa 10.000 Menschen protestierten am Dienstagabend vor dem Anpfiff gegen das Spiel und Israels Vorgehen in Palästina und Gaza. "Vergesst keinen einzigen Namen", stand auf Plakaten geschrieben, in Erinnerung an die vielen Toten in Gaza.
Italien ist in Europa neben Spanien zum bedeutendsten Zentrum der Solidarität mit Gaza geworden. 1000 Polizisten, viele davon in Kampfausrüstung, waren diesmal im Einsatz, unterstützt von Hubschraubern, Drohnen, gepanzerten Fahrzeugen, Hunden und Sprengstoffexperten. Das Hotel der israelischen Nationalmannschaft wurde von Scharfschützen gesichert.
Surreale Szenen, die mittlerweile fast zum Standard geworden sind, wenn eine israelische Mannschaft ein Auswärtsspiel bestreitet. Noch surrealer wurde das Ganze, weil beim 3:0 (1:0) der Italiener selbst, im mit gerade einmal 9000 Fans gefüllten Stadio Friuli, beinahe Stille herrschte. Doch immer wieder fand auch hier der Protest einen Weg: Zwei Flitzerinnen versuchten, während der Partie mit palästinensischen Fahnen aufs Feld zu gelangen. Ordner hielten sie und in anderen Momenten auch weitere Aktivisten auf. Die israelische Nationalhymne wurde ausgepfiffen, allerdings applaudierten auch viele.
Später am Abend verschlechterte sich die Lage in der Innenstadt, eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Blockaden zu durchbrechen und sich einen Weg ins Stadion zu bahnen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, die Protestierenden warfen Rauchbomben. Laut der italienischen Zeitung "Gazetta dello Sport" erklärte gegen 21.30 Uhr der Polizeichef von Udine, Pasquale Antonio de Lorenzo: "Wir mussten einige Entlastungsangriffe durchführen, um die Kontrolle über den Platz zurückzugewinnen." Ein Journalist sei laut des Berichts am Kopf verletzt worden, schwebe jedoch nicht in Lebensgefahr.
Fußball bleibt auch nach Waffenstillstand zerrüttet
Sport ist immer politisch. Fußball ist immer politisch. Offensichtlicher als in diesen Tagen, zwei Jahre nach dem Massaker am 7. Oktober 2023, war das selten: Vor, bei und nach Fußballspielen und anderen Sportevents wird lautstark, deutlich und teilweise gewaltvoll gegen den Krieg Israels in Gaza, dessen verheerende humanitäre Folgen und das Vorgehen im Westjordanland protestiert. UN-Experten forderten deshalb jüngst den Ausschluss Israels vom internationalen Sport.
Nun ruhen die Waffen Israels und der Hamas. Die Terrorgruppe hat entführte Geiseln und Israel palästinensische Gefangene freigelassen. Und auch die Gaza-Friedensvereinbarung ist unterzeichnet worden, wenngleich noch viele weitere Verhandlungen folgen und die schwierigsten Fragen noch geklärt werden müssen. Dennoch reißt die internationale Kritik an Israel nicht ab - auch der Fußball bleibt zerrüttet vom Krieg im Nahen Osten.
Israel-Suspendierung wohl vorerst vom Tisch
Israel hat sich mit dem Friedensplan wohl gerade noch so vor einer Suspendierung durch den europäischen Fußballverband UEFA und den Weltverband FIFA gerettet. Die UEFA hatte kürzlich eine Abstimmung über die Suspendierung verschoben, vermutlich eine strategische Verzögerung, um die Friedensinitiative nicht zu untergraben. Sollten diese Bemühungen ins Stocken geraten oder Israel die Bombardierungen im Gazastreifen wieder aufnehmen, würde der Druck auf den israelischen Fußballverband erneut steigen.
Der palästinensische Fußballverband hatte bereits des Öfteren versucht, den israelischen Verband zu suspendieren. Die "Governance-, Audit- und Compliance-Kommission" der FIFA beschäftigte sich zwar mit dem Thema, kam aber zu keinem Ergebnis. Propalästinensische Aktivisten verweisen außerdem darauf, dass durch die Angriffe Israels etliche Fußballer und Athleten in Gaza ums Leben gekommen sein. Neben Palästina hatte vor allem Katar, einer der größten Geldgeber der UEFA, einen Ausschluss Israels von internationalen Veranstaltungen gefordert. In dem Emirat waren jüngst residierende Hamas-Führer von Jerusalem mit Raketen angegriffen worden. Ende September war außerdem eine vom UN-Menschenrechtsrat bestellte Expertengruppe zu dem Schluss gekommen, dass Israel von UEFA- und FIFA-Wettbewerben ausgeschlossen werden sollte.
Shlomi Barzel, Kommunikationsleiter des israelischen Fußballverbandes IFA, sagte im September gegenüber ntv.de mit Blick auf den wegen des Gaza-Kriegs weltweit zunehmenden Druck auf Israel: "Ich bin überrascht, dass wir immer noch an internationalen Turnieren teilnehmen dürfen. In vielerlei Hinsicht ist das ein Wunder. In der Vergangenheit wurden Länder schon für viel weniger suspendiert." Der Deutsche Fußball-Verband wollte sich zu dem Zeitpunkt auf Anfrage nicht näher zu dem Thema äußern.
Komplexe Lage, großes Leid
Der Konflikt, die Unterdrückung der Palästinenser und das Leid auf beiden Seiten begannen nicht vor zwei Jahren. Aber der jüngste Krieg im Gazastreifen fing an, als die Terrororganisation Hamas, die den Staat Israel vernichten und auf dem Gebiet einen vom Islam geprägten Gottesstaat errichten will, in den Süden Israels einfiel. Israel antwortete mit dem verheerenden Krieg, der wohl etwa 70.000 Menschen in Gaza tötete, darunter hauptsächlich Zivilisten. Ein Krieg, der die meisten der zwei Millionen Einwohner des kleinen Landstreifens vertrieb, weitreichende Zerstörungen verursachte und zu einer schweren Hungersnot führte. Eine UN-Kommission und Menschenrechtsorganisationen sprechen von Genozid, auch weil die rechte Regierung von Benjamin Netanjahu vor dem Druck durch US-Präsident Donald Trump den kompletten Gazastreifen dauerhaft besetzen wollte.
Die extremen Komplexitäten, Polarisierungen und Ängste des Nahost-Konflikts sind im Sport auch nach dem Waffenstillstand wiederzufinden. Wie geht es nun weiter nach dem Frieden, der hoffentlich anhält? FIFA-Präsident Gianni Infantino, der auf Einladung von Trump kurioserweise am Friedensgipfel im ägyptischen Scharm el-Scheich teilnahm, kündigte am Dienstag Hilfsmaßnahmen zum Wiederaufbau des palästinensischen Fußballs an. "Die Aufgabe des Fußballs ist es, zu unterstützen, zu vereinen und Hoffnung zu geben", sagte der Schweizer: "In Gaza und in Palästina werden wir helfen, sämtliche Fußballanlagen wieder aufzubauen. Gemeinsam mit dem Palästinensischen Fußballverband werden wir den Fußball in jede Region des Landes zurückbringen."
Für den Fußball stellen sich im Wirrwarr der Geopolitik aber weiterhin Fragen, die kaum beantwortbar sind. Ist der anhaltende Protest im Sport ein Einsatz für die Palästinenser, die selbstverständlich ein Recht auf Frieden und einen eigenen Staat haben, oder geht er mittlerweile Hand in Hand mit einem Widerstand gegen die Existenz des Staates Israel? Kann man dessen Politik noch vom unfassbaren Leid der Palästinenser trennen? Wann schaffen es die propalästinensischen Demonstranten, die rechte Regierung Israels von der Kultur und der Religion des Judentums zu trennen, und wann nicht?
Fußball gefangen zwischen Antisemitismus und Palästinenser-Leid
Klar ist: Protest muss zumindest außerhalb von Stadien möglich sein und ist gerechtfertigt. Aber die palästinensische Flagge, an sich kein antisemitisches Symbol, und die propalästinensischen Proteste werden im heutigen Kontext auch als Symbol für Hass gegen Israel und vielfach auch gegen Juden benutzt. Und selbst wenn die Fahne in Fußballstadien aus Solidarität mit Palästinensern und ohne antisemitische Absicht geschwenkt wird, so wird sie anschließend manches Mal in den sozialen Medien für judenfeindliche Propaganda instrumentalisiert, die 80 Jahre nach dem Holocaust vielerorts wieder legitim geworden ist.
Aber andersherum gilt genauso: Wer den Protestlern schlichtweg Antisemitismus oder Terrorismus unterstellt, spielt den Kräften in die Hände, die versuchen, die unterdrückten Palästinenser und deren Wunsch und Recht auf einen eigenen Staat zu delegitimieren. Und auch diese Propaganda hat System, bei der spanischen Radrundfahrt Vuelta teilte etwa der Milliardär-Besitzer des Teams Israel Tech, Sylvan Adams, nach Protesten gegen seine Mannschaft dementsprechend aus.
Fußball als "verbindende Hoffnung"?
Der israelische Verband IFA sah den Fußball schon länger als "verbindende Hoffnung auf ein Ende des Krieges". In einem Brief, der ntv.de vorliegt, schrieb IFA-Präsident Moshe Zuares Ende September an die israelische Liga: "Selbst wenn es Menschen gibt, die uns Schaden zufügen und uns daran hindern wollen, Fußball zu spielen, […] sind wir mehr als bereit, überall und mit jeder Mannschaft zu spielen, um allen zu zeigen, dass es auch einen anderen Weg gibt."
Proteste in Fußballstadien gegen Israel waren zuletzt regelmäßig zu beobachten, sogar beim Champions-League-Finale im Mai in München. Während des Spiels wurde von Paris-Saint-Germain-Fans ein Banner mit der Aufschrift "Stoppt den Völkermord in Gaza" in französischer Sprache ausgerollt. Selbst die UEFA zeigte zu Beginn des Supercup-Finales im August ein riesiges Transparent mit der Aufschrift "Stoppt das Töten von Kindern - stoppt das Töten von Zivilisten".
Bereits im November 2024 war es in Amsterdam zu schweren Ausschreitungen im Kontext des Europa-League-Spiels zwischen Ajax und Maccabi Tel Aviv gekommen. Es gab Hetzjagden auf israelische Fans, nachdem sich propalästinensische Akteure für gezielte Angriffe verabredet hatten. Gleichzeitig attackierten auch Maccabi-Ultras Personen und skandierten rassistische Songs mit Gaza-Bezug. Maccabis Ultra-Szene steht teilweise der israelischen Regierung ideologisch sehr nahe, wünscht im Stadion regelmäßig Arabern den Tod und prügelt schon mal auf Anti-Netanjahu-Demonstranten in Tel Aviv ein.
Proteste halten an
Der Fußball ist weiter zerrüttet. Auch mit den Friedensverhandlungen scheint eine Änderung der Umstände zunächst nicht in Sicht. Die Demonstrationen werden nicht einfach abebben, wie das Länderspiel in Italien, der Ausschluss Israels von der Turn-WM und ein Basketballspiel in Spanien zeigen: Dort bestritt am Dienstag La Laguna Tenerife die Champions-League-Partie gegen das israelische Team Bnei Herzliya vor leeren Rängen, um "die Sicherheit aller Beteiligter zu gewährleisten".
Auch in Norwegen, das in der WM-Qualifikation am vergangenen Samstag Israel empfing, gab es trotz des bereits herrschenden Waffenstillstands heftige Proteste. Der nationale Verband unternahm anschließend einen speziellen Schritt. Die Einnahmen aus dem Ticketverkauf spendete er an Ärzte ohne Grenzen für deren humanitäre Arbeit im Gazastreifen.
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