0:66 – Wie es zur höchsten Niederlage im Hamburger Fußball kam
Die Intention war, gar nicht lange drum herumzureden und so wurde der glücklose Trainer Patrick Stritzki gleich zu Beginn gefragt, wie es möglich ist, ein Fußballspiel mit 0:66 zu verlieren. Der „Spiegel“ hatte mit Stritzki das Gespräch gesucht.
Stritzki ist nicht nur Trainer des Moorburger TSV, er ist auch Spieler des Teams, was es nicht eben leichter machte, was er da im Hamburger Kreisklassen-Kick beim SVS Mesopotamien II über sich ergehen lassen musste. Wie also kam es zu dieser Abreibung? „Sehr Hilfreich“ für so ein Ergebnis sei es, erzählte Stritzki, wenn man wie sein Team „zu wenige Leute auf dem Feld hat. Wir waren zu siebt, das ist die Pflichtzahl an Spielern, um überhaupt antreten zu dürfen. Wir hatten im letzten Moment zwei Krankmeldungen und zwei Leute, die wegen Verletzungen doch nicht konnten. Ich habe die Truppe morgens im Chat gefragt, ob wir das wirklich machen wollen. Die Antwort war: Jo.“
Nach zehn Minuten des Spiels war die Antwort dann wieder so ähnlich. Es stand ungefähr 0:7, so genau kann das keiner mehr sagen, und der Schiedsrichter fragte Stritzki, ob Moorburg nicht abbrechen wolle. Doch die tapferen Moorburger wollten nicht. Einmal hier, einmal durch, treffe, wer wolle, das war der Tenor. Und deshalb kam am Ende ein Ergebnis heraus, dass es im Hamburger Amateurfußball so noch nie gegeben hatte; 66 Tore in einem Spiel über 90 Minuten – und dann noch alle 66 Tore für eine einzige Mannschaft.
Das liest sich dann im offiziellen Meldeportal der Klasse so: (2., 4., 6., 8., 13., 15., 40., 43., keine Namensangabe, Spieler mit der Trikotnummer 18), Ibrahem Chaaban (3., 7., 14., 23., 29., 33., 80., 89., 90), Razak Mako Alassani (10., 26., 51., 67'.), Walid Chaaban (11., 68.), Ömer Yildirim (16., 30., 31., 32., 46., 47., 50., 57., 60., 66., 70., 74., 78., 83., 84., 88., 90.), Hicham El Youbi (20., 21., 77., 82.), Jaan Garip De Sousa Baptista (24.), Radouan Troudi (25., 27., 35., 48., 52., 55., 61., 63., 65., 76.), Luka Milan Makocevic (36., 38., 41., 62., 72., 81., 84.), Patrick Stritzki (42., Eigentor), Gabriel Cakir (45., 53., 64.).
Marschroute? „Gern mal was ausprobieren, was man sonst nicht macht"
Mit nur sieben Spielern ist es relativ wahrscheinlich, dass etwas gewaltig schiefen gehen könnte. Zumal wenn man Spieler des Moorburger TSV ist, als Tabellenletzter beim alles dominierenden Spitzenreiter der Kreisklasse 4 antreten muss, selbst aber in dieser Saison schon vor der epischen Klatsche im Schnitt neun Gegentreffer pro Partie kassieren musste.
Alles also grenzenlose Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft? Nicht ganz, schränkte Trainer Stritzki ein. Im Hinterkopf der Moorburger war, dass sie an sich gar nicht anders konnten, als anzutreten. Mit ihrem Zutun war es zuvor in der Liga zu einem Spielabbruch gekommen. Das Hamburger Sportgericht legte es den Moorburgern zu Last, auch wenn die es ein bisschen anders sehen.
„Dieses Spiel wird jedenfalls als nicht angetreten gewertet. Und wenn wir noch mal nicht antreten, sind wir raus aus der Liga“, berichtete Stritzki. Er habe „der Truppe“ vorher deshalb auch gesagt, sie dürften im Spiel „gern mal was ausprobieren, was man sonst nicht macht. Tricks wie der von Okocha, was sie wollen“. So erzählte es Stritzki.
Mit den Kunststücken klappte es dann nicht so recht, zur Pause stand es 0:32. Dabei war die Moorburger Marschrichtung in der ersten Halbzeit, ein bisschen defensiver zu agieren. So erzählte es Stritzki. Er schickte fürs Erste einen Spieler nach vorn, der nach seinem Dafürhalten „recht fit ist. Wir hatten gehofft, mit hohen Bällen ab und zu mal durchbrechen zu können. Leider war die Überzahl zu mächtig“.
Bei der Teambesprechung in der Halbzeitpause stellte Stritzki dann alles auf den Kopf. „Ich habe gesagt, ich bleibe jetzt allein hinten mit dem Torwart, alle anderen gehen nach vorn. Ob wir hinten noch mehr Tore einfangen oder nicht, ist egal, aber vielleicht machen wir ja noch eins. Haben wir zwar nicht, aber wir hatten ab dann tatsächlich unsere Gelegenheiten“, sagte Stritzki und schwor Stein und Bein, dass es echt besser als die erste Halbzeit gewesen sei. Der Torwart hätte im übrigen „super gehalten. Ohne den hätte es dreistellig werden können“.
Dann verletzt sich auch noch der Torwart
Dann aber kam eine Mischung aus Murphys Law und versagenden Stoßgebeten um Erbarmen zusammen. Es ging jedenfalls alles, was schiefgehen konnte, auch schief. Stritzkis Torwart verletzte sich in der zweiten Halbzeit am Fuß. „Ich hab ihm gesagt, ist egal, lass die Bälle im Zweifel einfach passieren“, offenbarte der Trainer und so landete weiter Ball um Ball im Netz. Doch so recht erschütternd war das am Ende nur für Außenstehende.
Der Moorburger TSV ließ jedenfalls nach dem Spiel seine 425 Follower wissen: „Unser Team hat heute bewiesen, dass es nicht das Ergebnis ist, das uns definiert.“ Stritzki deutlich: „Wenn wir verkacken, dann verkacken wir halt.“
Zumal sie in Moorburg darin schon geübt sind. Bereits im Juli 2024 war die 2:53 (0:26)-Schlappe beim Oberligisten TSV Buchholz 08 die höchste Niederlage in der Geschichte des Landespokal-Wettbewerbs, wobei der Klub nur die eigene Bestmarke aus dem Jahr 2023 verbesserte. Da verlor Moorburg ebenfalls gegen einen Oberligisten. Die Erstrundenpartie im Lotto-Pokal gegen den FC Süderelbe, endete 2:40.
Der TSV Holm verlor mal 0:59
Das 0:66 aber ist einmalig. Bisher galt eine Partie aus dem Jahr 2009 in der Kreisklasse Pinneberg als die Mutter aller Niederlagen. Seinerzeit kam der TSV Holm gegen den SV Rugenbergen II 0:59 unter die Räder.
Das Gespräch des „Spiegel“ klang mit der Frage an Stritzki aus, ob das Team schon mal ein Spiel gewonnen habe. Ist schon vergekommen, antworte Stritzki, er könne sich nur nicht mehr erinnern, wann das war. Daher gibt es einen Traum in Moorburg: am nächsten Montag aufwachen und in der Tabelle auf den ersten verzeichneten Sieg blicken zu können.
Sonntag steht nun das Heimspiel gegen India Football an. 5:119 Tore (Moorburg) gegen 9:57 (India), Letzter gegen Vorletzter, nach einem 0:66 klingt das wie ein Kuraufenthalt am Moorburger Elbdeich. Ob er trotz allem stolz auf seine Mannschaft sei, wurde Stritzki gefragt. „Definitiv“, sagte er, „ich habe nicht damit gerechnet, dass alle sieben sagen: Ja, lass uns das machen. Aber sie haben.“
Patrick Krull ist Sportredakteur der WELT. Mehr Moorburger Spirit wäre aus seiner Sicht in ganz vielen Bereichen wünschenswert. Erinnert sei an das Credo der von ihm sehr verehrten Basketball-Ikone Michael Jordan: „Ich bin immer und immer wieder gescheitert. Genau deshalb bin ich erfolgreich.“
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