Revolution beim BVB
Um 22.24 Uhr am gestrigen Sonntag, als sich die Reihen in der Westfalenhalle 3 bereits deutlich gelichtet hatten, richtete sich Thomas Treß mit einem Appell an die im Saal verblieben Mitglieder von Borussia Dortmund. Der Finanzgeschäftsführer von Borussia Dortmund, in den vergangenen 20 Jahren einer der engsten Mitstreiter von Hans-Joachim Watzke, bat, einen Antrag mit dem Titel „Demokratie stärken!“ doch bitte zurückziehen und die darin enthaltenen Punkte stattdessen im Rahmen einer noch zu bildenden Satzungskommission zu erörtern.
Treß hätte sich seinen Versuch, einen Antrag mit Sprengkraft zu entschärfen, sparen können. Die Antragsteller, die Mitglieder Timo Boehr und Christopher Giogios, blieben standhaft. Der Antrag kam zur Abstimmung und wurde mit über 80 Prozent an Ja-Stimmen angenommen. Die Mitglieder – zu diesem Zeitpunkt nur noch einige hundert – jubelten. Die Versammlung dauerte da schon mehr als zehn Stunden an.
Boehr und Giogios sind Teil der Vereinigung „Bündnis Südtribüne“, das aus den beiden großen Dortmunder Ultra-Vereinigungen „The Unity“ und „Desperados“ besteht. Der Kern ihres Antrages: Zukünftig wird es nicht nur dem Wahlausschuss des BVB obliegen, einen Kandidaten-Vorschlag für das Präsidentenamt bei Borussia Dortmund zu machen. Auch die Mitgliederversammlung wird dann unter bestimmen Umständen Vorschläge machen können. Wäre nach dieser nun beschlossenen Satzungsänderung bereits bei der Mammutversammlung am Sonntag verfahren worden – Watzke, der der einzige Kandidat war, wäre wahrscheinlich nicht zum Präsidenten gewählt worden.
Denkzettel für Watzke
Dabei war es auch so für den langjährigen Geschäftsführer deutlich knapper, als er es wohl erwartet hatte. Mit mindestens 75 Prozent Zustimmung soll im Watzke-Lager gerechnet worden sein. Tatsächlich waren es nur 56 Prozent. Der 66-Jährige erhielt 2515 Stimmen. 1729 votierten gegen ihn. 232 Mitglieder enthielten sich. Und wäre die Versammlung nicht erstmals als hybride Versammlung durchgeführt worden, bei der auch nicht anwesende Mitglieder digital abstimmen konnten – Watzke hätte die Mehrheit möglicherweise auch ohne Gegenkandidaten verfehlt.
Das, was sich am Sonntag beim BVB ereignet hat, war revolutionär. Denn die Mitglieder, vor allem die organisierten Fans, haben ihre Muskeln spielen lassen. Sie haben aufgezeigt, dass sie mit dem Kurs nicht mehr einverstanden sind. Vor allem der Machtkampf zwischen Watzke und dem bisherigen Präsidenten Reinhold Lunow sowie der Sponsoringdeal mit Rheinmetall waren Kritikpunkte. Lunow, der nach langem Gezerre schließlich doch den Weg für Watzke freigemacht hatte, wurde mit Standing Ovations verabschiedet.
Künftig dürfte sich beim BVB einiges ändern. Denn im Schatten der Watzke-Wahl, die bundesweit die größte Aufmerksamkeit erfuhr, wurden Weichenstellungen vorgenommen, deren Auswirkungen weit über die dreijährige Amtszeit des neuen Präsidenten hinaus reichen werden.
Nahezu alle Anträge auf Satzungsänderungen wurden beschlossen – mit großen Mehrheiten. So muss der BVB zukünftig einen erweiterten „Grundwertekodex“ erarbeiten und berücksichtigen, bevor Sponsorenverträge abgeschlossen werden können. Deals wie der mit Rheinmetall wären kaum noch durchsetzbar. Doch wer weiß, ob nicht beispielsweise Lieferketten bei Ausrüstern thematisiert werden? Potenziellen Sponsoren dürften solche Debatten kaum gefallen. Die Geschäftsführung muss zudem deutlich transparenter als in der Vergangenheit agieren.
Der Vorstand des eingetragenen Vereins darf auch die Mitglieder des Wirtschaftsrates nicht mehr berufen, sie müssen jetzt von den Mitgliedern gewählt werden – was zur Folge haben könnte, dass die Geschäftsführung aus dem Verein deutlich mehr Widerspruch erfahren wird. Das macht es nicht leichter, sich gegen Klubs wie RB Leipzig oder Bayer Leverkusen, die völlig frei von Einflussnahme von Mitgliedern agieren können, zu bestehen – geschweige denn, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.
Die gravierenden Veränderungen, die am Sonntag durchgesetzt wurden, waren strategisch gut vorbereitet. „Schwatzgelb.de“, das wichtigste Fanszene, hatte die organisierten Fans eingeschworen. Sie sollten sich auf einen langen Tag einstellen und sich etwas zu essen mitbringen. Und die Ultras harrten aus – bis Aki Watzke nach Anbruch der Geisterstunde um 0.14 Uhr die Versammlung beendete. Nach über 14 Stunden.
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