Dem BVB wäre im Fall Schlotterbeck mehr Selbstbewusstsein zu wünschen
Gregor Kobel nahm die Schuld auf sich. „Das muss ich einfach besser sehen. Es tut mir leid für ihn“, sagte der Torhüter von Borussia Dortmund. Mit einem verhängnisvollen Pass hatte er Jobe Bellingham in arge Bedrängnis gebracht. Denn bevor der Engländer den Ball, den ihm Kobel längs durch den eigenen Strafraum zuspielen wollte, aufnehmen konnte, war Philipp Treu bereits dazwischen gespritzt. Bellingham foulte den Freiburger, der ansonsten frei vor Kobel aufgetaucht wäre. Klassischer kann eine Notbremse kaum sein.
Bellingham war sich dessen sofort bewusst, sogar noch bevor ihm Schiedsrichter Felix Zwayer die unausweichliche Rote Karte zeigte. Niedergeschlagen trabte er vom Platz. Für den 20-Jährigen, der sich nach seinem Wechsel vom AFC Sunderland nach Dortmund ohnehin nie wirklich freispielen konnte, war es ein Tiefpunkt. Zumal sein Platzverweis in der 53. Minute der Wendepunkt des Spiels war. Bis dahin hatte der BVB 1:0 geführt hatte. Am Ende hieß es 1:1 – was in Anbetracht der dann drückenden Freiburger Überlegenheit sogar noch schmeichelhaft war.
„Ich glaube, es sollte nicht auf die Gesamtsituation einzahlen. Solche Situationen passieren im Fußball“, sagte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl in Bezug auf Bellingham. Die Dortmunder hatten für den Mittelfeldspieler im vergangenen Sommer knapp 30 Millionen Euro Ablöse gezahlt. Deutlich zu viel, wie nicht wenige sagen. Denn der jüngere Bruder von Jude Bellingham hat bislang erst fünf Bundesligaspiele von Beginn an bestritten. Viel mehr hätten seine bisherigen Leistungen auch nicht gerechtfertigt. Ob der 20-Jährige lediglich eine etwas längere Eingewöhnungszeit benötigt oder die Dortmunder, die ihn unbedingt haben wollten, eventuell seine Fähigkeiten überschätzt haben – da gehen die Meinungen auseinander.
Mühsamer Neuaufbau
Doch das ist derzeit nur ein Problem. Zum Jahresende 2025 rumort es beim BVB. Das kommt, so wie das Jahr über weite Strecken verlaufen ist, durchaus überraschend. Ende Januar war es zur Trennung von Trainer Nuri Sahin gekommen. Die Mannschaft sei „körperlich und geistig in einer Nicht-Verfassung“, hatte Berater Matthias Sammer damals über das Team gesagt, das einen deutlichen Rückstand auf die Champions League-Plätze zu verantworten hatte.
Als Anfang Februar dann Niko Kovac kam, musste ein mühsamer Neuaufbau während des laufenden Spielbetriebs gemacht werden. Es war wie eine Operation am offenen Herzen. Denn all das, was der neue Mann an der Seitenlinie als Grundlagen für eine erfolgreiche Saison voraussetzt, war nicht zu erkennen. Es gab auch aufgrund von Defiziten in der athletischen Betreuung eine hohe Anzahl von Verletzten. Aber auch Spieler, die auf dem Papier einsatzbereit waren, waren nicht fit genug, um viele Spiele in enger Taktung zu absolvieren. Zumindest nicht gemessen an den Ansprüchen von Kovac. Hinzu kam eine Denkweise, die stark auf die Offensive ausgerichtet war.
Die Zeit des früheren Bayern-Trainers begann entsprechend schleppend. Doch es gelang Kovac, den BVB zu stabilisieren. Die physischen Defizite konnten durch intensives Training aufgearbeitet werden. Zug um Zug präsentierte sich die Mannschaft robuster. Am Ende der vergangenen Saison schaffte es der BVB tatsächlich trotz eines zwischenzeitlich erheblichen Rückstandes noch in die Königsklasse. Endlich, so schien es, hatte der Klub den Trainer gefunden, der zu ihm passt: einen Pragmatiker, der es geschafft hat, den Spielern ihre Mentalitätsprobleme auszutreiben. Der BVB hatte gelernt zu verteidigen.
Mittlerweile, so sieht es zumindest Kovac, sind die Dortmunder wieder dabei, es zu verlernen. Denn die Tatsache, dass der BVB am vergangenen Mittwoch beim 2:2 im Champions League-Spiel gegen Bodö/Glimt die vorzeitige Qualifikation für die Play-offs verpasste und es vier Tage darauf in Freiburg nicht schaffte, sich vor RB Leipzig auf Rang zwei in der Bundesliga zu schieben, lag für ihn vor allem an Defiziten in seiner Lieblingsdisziplin: dem Defensivverhalten.
Selbst der Gegentreffer, als Lucas Höler, der sich den Ball mit seinem ersten Kontakt in Luft hob und ihn dann in einer beeindruckend fließenden Bewegung ins lange Eck jagte, wäre zu verhindern gewesen. „Da muss ich mit dem Kopf hin. Und wenn er mir den Schädel wegdonnert, gibt es Freistoß“, sagte Kovac. Auch der Platzverweis zuvor wäre bereits in der Entstehung vermeidbar gewesen: natürlich von Kobel, indem er den Ball Bellingham nicht auf „den falschen Fuß“ gespielt hätte. Aber auch von Nico Schlotterbeck, der zuvor mit einem Rückpass auf den Keeper das Signal an die Freiburger gesendet hatte, in den Pressing-Modus zu schalten.
„Typen, die Klartext sprechen“
Schlotterbeck zu kritisieren, ist in Dortmund fast schon ein Sakrileg. Selbst die Wutrede, mit der der Abwehrspieler am Mittwoch seine Kollegen öffentlich angegriffen hatte („die Spieler, die reinkommen, verlieren jeden Ball“) stieß bezeichnenderweise auf keinerlei Widerspruch. Im Gegenteil. „Wir wünschen uns ja alle Typen, die Klartext sprechen, auch in der Öffentlichkeit“, sagte Sport-Geschäftsführer Lars Ricken gegenüber DAZN. „Wenn solche Worte nicht nur vom Trainer, sondern auch mal aus der Mannschaft kommen, wird das einen positiven Impuls haben.“
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Tatsächlich? Bei einigen Teamkollegen kam die Kritik von Schlotterbeck alles andere als gut an. Vor allen Dingen, weil der Nationalspieler, der mit dem BVB um einen neuen Vertrag pokert, bei seinen Einlassungen wenig Selbstkritik erkennen ließ. Dabei spielte auch er in den vergangenen Wochen nicht fehlerfrei.
Rickens Motivation, mit Schlotterbeck nicht ins Gericht zu gehen, liegt auf der Hand: Es ist die Hoffnung, der Verteidiger könnte sich doch noch zu einer vorzeitigen Verlängerung seines bis 2027 laufenden Kontraktes durchringen. Da erscheint es unclever, den selbstbewussten 26-Jährigen zu rüffeln. „So reagiert kein Spieler, der mit dem Verein schon abgeschlossen hat und weiß, dass er im Sommer woanders spielt“, so Ricken.
Natürlich nicht: Denn derzeit ist nicht einmal klar, ob die Bayern Schlotterbeck überhaupt haben wollen. Etwas mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit dieser Personalie würde dem BVB gut zu Gesicht stehen. Zumal Schlotterbeck nicht der einzige Borusse ist, dem derzeit Wechselabsichten nachgesagt werden. Das gilt auch für Serhou Guirassy und Karim Adeyemi. Das waren übrigens am Mittwoch die beiden Einwechselspieler, die angeblich „jeden Ball verlieren.“ Die Baustellen beim BVB nehmen zu.
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