Es war ein Bild, das um die Welt ging. Salt Lake City, Utah Olympic Oval, 23. Februar 2002. Soeben hat Claudia Pechstein, einen Tag nach ihrem 30. Geburtstag, über 5000 Meter im Eisschnelllauf ihr viertes Olympia-Gold gewonnen, das zweite bei diesen Spielen nach den 3000 Metern.

Auf der Ehrenrunde setzt sie plötzlich dieses strubbelige Ding auf: eine Perücke in Schwarz-Rot-Gold, den deutschen Nationalfarben. „Die sollte ich schon nach dem ersten Gold tragen. Aber ich hatte sie zu Hause gelassen, weil ich abergläubisch bin. Nach dem Sieg über die 3000 Meter fragte mein Manager Ralf Grengel, wo die Perücke sei. Für die 5000 hat er sie dann einfliegen lassen“, sagt Pechstein fast 24 Jahre später zu „Sport Bild“.

Heute ist die Perücke im Haus der deutschen Geschichte in Bonn zu bewundern. Aber nicht nur deshalb ist dieses Gold für die Berlinerin mit keinem anderen der vier weiteren Olympiasiege vergleichbar. „5000 Meter mit Weltrekord, und das nach den 3000 Metern, die ich auch schon mit Weltrekord gewann, das war schon sehr besonders.“

„Haben noch nie einen Kaffee zusammen getrunken“, sagt Pechstein

Auch, weil Erzrivalin Anni Friesinger-Postma (48) nur Sechste wurde. „Natürlich hat Anni gratuliert. Das haben wir immer gemacht.“ Obwohl beide damals mitten im berühmten Zicken-Zoff steckten. Zwei Top-Stars, die sich nicht riechen konnten, weil eine die andere anmachte, aber meist über die Öffentlichkeit und nicht direkt. „Das Ganze war nicht inszeniert. Wir zwei mochten uns wirklich nicht. Wir haben nichts miteinander zu tun. Sie braucht es nicht – und ich auch nicht“, sagte Friesinger vor wenigen Wochen zu „Sport Bild“.

Pechstein, inzwischen 53 Jahre alt: „Wir haben noch nie einen Kaffee zusammen getrunken, haben uns aber immer respektiert. Bei der WM 2024 in Inzell kam sie in den VIP-Raum, hat mich aber keines Blickes gewürdigt, was ich schade fand. Wir sind erwachsen, und da könnte man auch grüßen. So bin ich erzogen worden.“

Geht es nach ihr, ist der Zicken-Zoff beendet. „Früher wollte Anni ihn beenden. Ich habe gesagt: ‚Lass uns weitermachen.‘ (lacht) Wir waren immer in den Medien durch den Zoff, und über zehn Millionen Leute haben die 5000 Meter im TV geschaut. Das war förderlich für die Sportart und für unsere Sponsoren.“

Im kommenden September feiert Pechstein in Berlin ihren großen Abschied. Mit Anni? „Nein“, sagt Friesinger-Postma. „Das ist ihr Abend. Den soll sie genießen. Ich wünsche ihr nur das Beste.“ Was meint Pechstein? „Das ist lieb von ihr. Ich werde den Tag ganz sicher genießen. Meine Vorfreude ist jetzt schon riesig.“

Somit feierten 2002 beide ihre eigene Gold-Party. Friesinger-Postma hatte die 1500 Meter gewonnen.

Vier Jahre später rissen sich beide zusammen. In Turin gab es mit Daniela Anschütz-Thoms (51) Gold im Team. Pechsteins fünfter Olympiasieg. Bis das Rodel-Trio Natalie Geisenberger (37), Tobias Wendl (38) und Tobias Arlt (38) sie in Peking 2022 mit ihren jeweils sechsten Goldmedaillen übertrumpften, war sie Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin.

„Gut möglich, dass ich das noch immer wäre, wenn man mir die Spiele 2010 in Vancouver nicht gestohlen hätte.“ Was bleibt, sind die 274 Podestplätze ihrer Karriere – im Wintersport weltweit wohl nicht zu toppen. Wie auch die acht Teilnahmen bei Olympischen Winterspielen, was keine Frau außer ihr schaffte. „Solch ein Alleinstellungsmerkmal ist definitiv etwas Besonderes.“

Gut möglich übrigens, dass irgendwann noch weitere Olympia-Medaillen in der Familie hinzukommen. Nichte Nele will in die Fußstapfen ihrer Tante treten. „Sie ist 14 Jahre und auf der Sportschule in Berlin, ist Deutsche Meisterin über 500 Meter und im Massenstart in ihrer Altersklasse. Aber ich mache ihr keinen Druck“, sagt Pechstein. Sie trainiert sie nicht selbst, sondern ist derzeit mehr Ratgeberin. „Ich sage ihr immer: Du darfst den Spaß nicht verlieren.“ Den aber verlor Pechstein 2009. Für lange 16 Jahre.

Bei der WM in Hamar war der Wert ihrer roten Blutkörperchen zu hoch. Ein Indiz für Blut-Doping. Zwei Jahre Sperre folgten. Doch Pechstein wehrte sich durch alle Instanzen. Positiv getestet wurde sie in über 700 Kontrollen nie, aber die Suspendierung blieb. Schließlich wurde der Grund für die Werte gefunden: Eine vererbte Blut-Anomalie ihres Vaters war die Ursache. Doch auch das konnte die Gegenseite nicht beschwichtigen. Erst, nachdem das Bundesverfassungsgericht ihre Schadensersatzklage gegen den Weltverband ISU für zulässig erklärt hatte, wurde Pechstein im Februar 2025 endgültig rehabilitiert und entschädigt.

„Ich wollte so lange laufen, bis der Fall zu Ende ist. Aber ich habe nicht gedacht, dass es so lange dauert“, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich so viel Unterstützung von meinem Lebensgefährten Matthias und meiner Familie hatte, denn allein hältst du das nicht durch.“ Ihr Freund, der Unternehmer Matthias Große (58), ist inzwischen sogar Präsident der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft.

Als sie wieder laufen durfte, gab es zwar nicht die ersehnte zehnte Olympia-Medaille, aber erfolgreich war sie dennoch mit weiteren acht EM- und WM-Medaillen. Für Pechstein selbst wohl ihre größte Leistung: „Dass ich mit diesem Rucksack überhaupt halbwegs anständige Leistungen bringen konnte, mit 45 Jahren noch zwei Weltcup-Siege geholt habe, das ist einfach krass.“

Nun gibt Pechstein ihre sportlichen Erfahrungen an den Nachwuchs weiter, bleibt dem Sport also erhalten. In Inzell arbeitet sie als Bundesstützpunkt-Trainerin für die 17- bis 21-Jährigen. „Die Stelle ist bewilligt, aber ich bekomme nicht das sogenannte ‚Sportfachliche Votum‘. Das heißt, das Bundesinnenministerium müsste die Stelle bezahlen, tut es aber nicht. Das ist für mich nicht zu begreifen“, sagt die sechsmalige Weltmeisterin.

Und so hat sie einen neuen Kampf an einer neuen Front und ist gewohnt direkt: „Solange der DOSB und das Ministerium nicht ihre Hausaufgaben machen, brauchen wir von einem Platz unter den fünf besten Sportnationen bis 2035 nicht zu reden. Der DOSB muss wieder sportlich denken, die Trainer unterstützen. Die verdienen nicht genug – das muss deutlich attraktiver werden.“

Drei Angebote vom Playboy abgelehnt

Weiteres Dilemma laut Pechstein: „Das Erste, was an den Schulen ausfällt, ist der Sport. Keine Noten mehr zu geben, was soll das? Wir haben die Zensuren auch überlebt.“

Da waren die „Probleme“ aus der Zeit um 2002 herum eher lustiger Natur. So wollte sie der Playboy ablichten. „Gleich dreimal haben sie angefragt. Aber ich habe immer abgelehnt, obwohl sie jedes Mal mehr geboten haben. Aber ich brauchte das nicht.“ Was ihre Einstellung unterstreicht: „Ich sollte bei ‚Promi Shopping Queen‘ mitmachen. Aber ich hasse shoppen. Warum sollte ich das dann im Fernsehen tun?“

Pechstein könnte noch so viel erzählen. Sie hat schon ein Buch geschrieben („Von Gold und Blut“), wagte einen Ausflug in den Bahnrad-Sport und kandidierte 2021 für die CDU bei der Bundestagswahl. Klingt nach einem zweiten Buch. Pechstein: „Und das kommt auch, wie auch ein Film.“ Genug Geschichten gibt es ja ...

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