Eine der wundersamsten Geschichten im deutschen Sport schrieb im vergangenen Jahr Sabine Winter.

Die Frau aus dem Taunus ist 33 Jahre alt und Tischtennis-Spielerin. Vor eineinhalb Jahren dachte sie über ihr Karriereende nach. Sie wurde damals nicht für Olympia nominiert, andere Spielerinnen weitaus besser. Aufhören oder doch noch weitermachen? Diese Frage stellte sich Sabine Winter – und sie entschied sich für Letztes. Aber es musste sich nach 15 Profijahren etwas für sie ändern – und zwar radikal.

Eine Rückhandschlägerseite wie eine Revolverschaltung im R4

Statt auf eine Rakete setzte Winter fortan auf einen Renault R4, um endlich wieder vorwärtszukommen. Und um es vorwegzunehmen: Sie stieg damit tatsächlich zur besten Spielerin Europas auf. Sie klebte sich einen völlig anderen Belag auf ihren Schläger. Eine Rückhandschlägerseite wie eine Revolverschaltung im R4, bloß mit Anti-Topspin – und damit eine der besten und auch riskantesten Ideen des Sport-Jahres 2025. Kaum einer glaubte, dass es funktionieren würde, nicht einmal die Bundestrainerin. Winter dagegen schon.

Wer einen Internetshop für Tischtennis-Bedarf aufsucht, kann dort zwischen mehr als 400 verschiedenen Belägen für unterschiedliche Spielweisen wählen. Es ist eine Wissenschaft für sich. Auf Weltklasse-Niveau achten allerdings fast alle Spieler darauf, bei ihren Schlägen möglichst viel Tempo und Effet zu erzeugen. Nicht Winter.

Ihr Belag hat eine glatte, reibungsfreie Oberfläche und einen Dämpfungsschwamm. Schlägt die Gegnerin den Ball mit viel Härte und Spin über das Netz, nimmt Winter damit Tempo und Rotation aus den Ballwechseln heraus. Manchmal fällt einer ihrer Rückhandbälle kurz hinter dem Netz auf den Tisch – was viele Gegnerinnen irritiert, frustriert oder nervös macht.

Ihr raffinierter Rückhandbelag stell einen Alptraum für ihre Gegnerinnen dar. Die größte Herausforderung im Frauen-Tischtennis: eine der dominierenden Chinesinnen zu schlagen. Sieben der besten acht Spielerinnen in der aktuellen Weltrangliste kommen aus China. 23 der vergangen 24 Weltmeister-Titel im Einzel gingen bei den Frauen an die Tischtennis-Weltmacht.

Früher, sagte Winter, sei vor einem solchen Duell für sie nur die Frage gewesen, „ob ich das in fünf oder in zehn Minuten verliere“. Dieses Jahr aber schlug sie die Weltranglisten-Dritte Chen Xingtong beim Grand-Smash-Wettbewerb in Malmö und vergab im November im Finale des internationalen Turniers in Montpellier einen Matchball gegen die Team-Weltmeisterin Wang Yidi. „No risk, no fun“, sagt Winter. Sie hat wieder gut lachen.

Patrick Krull ist Sportredakteur der WELT. Er hat beobachtet, dass bei Sommerfesten seiner Freunde zunehmend Tischtennis-Platten im Garten in Koexistenz zum Bartresen stehen. Weil er zwar gern feiert, aber immer wieder zu Duellen an der Platte aufgefordert wird, Schwächen im Einzel wie Doppel und nur beim Rundlauf Chancen gegen echte Könner hat, könnte Sabine Winters Entdeckung seine Rettung sein.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke