Lewis Hamilton und Ferrari stecken vor dem Imola-Heimspiel der Scuderia in der Krise. In Italien werden erste Stimmen laut, die die vermeintliche Traumhochzeit der Formel 1 bereuen - auch, weil Hamilton die italienische Gefühlswelt noch nicht verstanden hat.

Es gibt Tage, da strahlt selbst das trübste Grau. Der 20. Januar 2025 war so einer. Am Vormittag jenes tristen, verregneten Wintertages kam Lewis Hamilton nach Maranello und präsentierte sich der Weltöffentlichkeit als Ferrari-Fahrer.In schlichtem, elegantem Schwarz ließ sich der Brite vor der einstigen Wohnung Enzo Ferraris ablichten. Mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen gefiel das Bild auf Instagram, keinem Formel-1-Foto flogen je mehr Herzchen zu. Sir Lewis Hamilton, Rekordweltmeister der Königsklasse, endlich bei Ferrari. Legenden-Vereinigung. Die Tifosi – sie hyperventilierten vor Ekstase.

Vier Monate und sechs Grands Prix später ist von der Euphorie kaum etwas übrig. Die vermeintliche Traum-Ehe der Formel 1 steckt nach einer heftigen Anfangs-Romanze in ihrer ersten Beziehungskrise. Vor dem Europa-Auftakt in Imola belegt Hamilton in der Fahrer-Weltmeisterschaft einen enttäuschenden siebten Platz. In der Konstrukteurs-Wertung ist Ferrari nur Vierter – weit weg von Spitzenreiter McLaren.

"Ich hatte erwartet, dass es sehr hart werden würde, aber ich wusste einfach nicht, wie hart es werden würde", sagte Hamilton nach seiner Ankunft in der Emilia-Romagna: "Ich wusste, dass es eine Herausforderung werden würde, und es ist in jeder Hinsicht so herausfordernd wie nur möglich." Ein wenig klang es wie das Eingeständnis, die Sache unterschätzt zu haben. Dabei hatten die Vorzeichen im Januar doch so günstig gestanden. Die Hoffnung, der Hype, die Vorfreude – alles ließ sich begründen. Schließlich hatte Ferrari die Saison 2024 auf einem Hoch beendet, den ersten Hersteller-Titel seit 16 Jahren nur um mickrige 14 Punkte verpasst.

Hamilton kam als Erlöser nach Maranello

Hamilton schien genau den richtigen Zeitpunkt gewählt zu haben, um sich auf der Zielgeraden seiner einzigartigen Karriere nach all den Erfolgen mit Mercedes den ultimativen Traum zu erfüllen, den jeder Formel-1-Fahrer träumt: Ferrari fahren. Mehr noch: Schaffen, woran Meister wie Sebastian Vettel, Fernando Alonso oder Alain Prost einst gescheitert waren, stattdessen anknüpfen an Michael Schumacher. Ferrari zurück auf den Formel-1-Thron hieven. Wem, wenn nicht dem siebenmaligen Champion und 105-maligen Grand-Prix-Sieger, sollte das gelingen? Es schien eine Missione Possibile.

Hamilton kam als Erlöser nach Maranello. Stimmen (auch in Italien), die den Wechsel des 40-Jährigen hinterfragten und kritisierten, Ferrari hätte lieber ein Jahr mit dem grundsoliden Carlos Sainz verlängern sollen, um mit Blick auf den Fahrermarkt für 2026 alle Optionen zu haben, gingen im jubilierenden Concerto Grosso unter.

Vor dem Grand Prix der Emilia-Romagna sind es die Skeptiker, die den Zeitgeist prägen. "Es wäre besser gewesen auf die Chance zu warten, Verstappen zu bekommen", schrieb "La Gazzetta dello Sport". Der Holländer sei der einzige Fahrer, der wirklich den Unterschied mache. Eine Ohrfeige für Hamilton, dem sie in der Mailänder Redaktionsstube offenkundig nicht zutrauen, dass Ferrari-Schiff auf Erfolgskurs zu bringen. Für die Formel 1 sei die Hochzeit aus erfolgreichstem Fahrer und Team der Geschichte fraglos bene. Aber für Ferrari? Die Beziehung sei aktuell jedenfalls nicht ausgewogen. Man könnte auch sagen: wenig harmonisch.

"Macht eine Tee-Pause, während ihr dran seid. Come on!"

Beim letzten Grand Prix in Miami war die Krise vor aller Welt hörbar. "Macht eine Tee-Pause, während ihr dran seid. Come on!", ätzte der Engländer seinem Renningenieur Ricardo Adami via Team-Radio ins Ohr.

Hamilton war stinkig, dass ihn die Scuderia gegen Rennmitte nicht sofort am Stallrivalen Charles Leclerc vorbeilotste, obwohl er die schnelleren Reifen hatte. Als Sir Lewis dann überholen durfte und in den Genuss freier Fahrt kam, konnte er sich nicht absetzen, musste dem Monegassen später wieder Platz machen. "Soll ich den auch noch durchlassen", giftete Hamilton kurz darauf, als der arme Adami ihm seinen Vorsprung auf Williams-Pilot Sainz durchfunkte. Britischer Sarkasmus traf italienischen Stolz. Südlich der Alpen kam das überhaupt nicht gut an.

So sehr den Ferraristi das extravagante Auftreten Hamiltons, dessen Liebe zu italienischer Mode und einem Teller Pasta gefällt –, so wenig mögen sie einen Fahrer, der die Würde Ferraris antastet.

"Dieses Rummeckern und die sarkastischen Sprüche – das kann man unter englischen Mechanikern machen, aber nicht in Italien und nicht bei Ferrari", stellt Christian Danner im Gespräch mit sport.de klar. Der RTL-Experte sieht bei Hamilton und Ferrari auch nach bald fünf Monaten "Kommunikationsprobleme in der Gesamtheit". Scuderia-Capo Frédéric Vasseur sei gefordert, "Hamilton einzufangen und zu sagen: 'Pass auf, wir machen das hier so und dann machst du das auch so.'"

Danner ist sicher, dass ein entsprechendes Gespräch vor dem Rennen auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari stattfindet oder schon stattgefunden hat. "Fred Vasseur hat ihm das garantiert eingesungen." Für Hamilton sei derartiges neu, in seinen letzten Mercedes-Jahren habe der Superstar unter Teamchef Toto Wolff "immer bekommen, was er haben wollte und noch ein Zuckerchen dazu. Das ist jetzt anders. Das heißt nicht, dass Hamilton das nicht auf die Reihe kriegt, aber es ist nicht einfach, er muss sich da schon ein bisschen anpassen."

Hat Hamilton die nötige Energie für Ferrari?

Anpassen muss sich Hamilton auch an seinen Ferrari. Das Auto aus Maranello ist grundsätzlich zu langsam und passt nicht zum Fahrstil des Rekordchampions. Hamilton möge es eine Kurve mit hoher Eingangsgeschwindigkeit zu "attackieren", erläuterte BBC-Experte Jolyon Palmer kürzlich bei "F1.com". Dafür brauche Hamilton aber ein "stabiles Heck", was ihm der SF-25 nicht bietet. Folge: Er muss seinen Fahrstil "überarbeiten" – und das im gesetzten Rennfahrer-Alter von 40 Jahren. Eine veritable Herausforderung.

"Den eigenen Fahrstil dem Auto anpassen, das hat noch keiner so richtig hinbekommen", prophezeite Danner schon vor dem Saisonstart bei ntv. Es sei deshalb an Ferrari, dem Engländer ein Auto hinzustellen, dass "nun mal besser dem Hamilton-Style entspricht". Bisher ist das nicht gelungen. Ob es beim Europa-Start in Imola, wo eigentlich alle Rennställe kleinere oder größere Upgrade-Pakete mitbringen, besser wird, ist fraglich.

Dass Hamilton nach wie vor die fahrerische Klasse hat, um ganz vorne mitzufahren, steht für Danner außer Frage. "Er ist ganz klar ein Genie hinterm Lenkrad." Zweifel hat der RTL-Experte eher daran, ob Hamilton bereit ist, für sein Ferrari-Projekt "die Energie aufzuwenden, die er aufwenden muss".

Sebastian Vettel glaubt an Lewis Hamilton

Womöglich hat sich der langjährige Formel-1-Cäsar das Leben bei der Scuderia mit Blick auf die starken Ferrari-Leistungen zum Ende der Vorsaison leichter vorgestellt. Nun liegt ein steiniger Weg vor ihm. "Das ist ganz harte Arbeit. Da muss er sich in jedem Meeting über jede Strategie mit jedem Reifen mit allen Leuten immer wieder hinsetzen, das alles durchkauen und nachhaken. Das kostet Kraft, Zeit und in Summe viel Energie", sagt Danner. "Dass Lewis das kann, weiß man. Ob es so kommt, wird man sehen."

Lewis Hamilton und Ferrari: Wird aus der kriselnden Beziehung noch wahre Amore? Die Tifosi hadern, wie so oft, wenn es bei den Roten sportlich nicht läuft. Die erkaltete Euphorie lässt sich allerdings auch schnell wieder entfachen. Ein harmonisches Imola-Wochenende mit einem soliden Ergebnis könnte ein (Neu-)Anfang sein.

Sebastian Vettel traut seinem langjährigen Rivalen die Wende zu. Hamilton sei mit einem "realistischen Ansatz" zu Ferrari gekommen und wisse dank seiner Erfahrung, mit der schwierigen Situation umzugehen. "Wenn es einer schafft, dann er", sagte der frühere Ferrari-Pilot im Interview mit RTL/ntv und sport.de.

Vettel weiß allerdings, wie sich ein Scheitern in Rot anfühlt. Auch er war 2015 als großer Hoffnungsträger in Maranello aufgeschlagen. Der Titel mit Ferrari, eine Erfolgsgeschichte à la Schumacher, war das Ziel. Ende 2020 verließ Vettel die Scuderia als Geschlagener. Im Zeitalter der Mercedes-Dominanz hatte es nur zu zwei Vize-Weltmeisterschaften gereicht – hinter Lewis Hamilton. Der muss jetzt beweisen, dass er es besser kann. In Maranello misst man nur in Titeln.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke