„Wir mussten den Spielern untersagen, ihre Trikots zu tauschen. Das ist Wahnsinn“
Arminia Bielefeld durchlebt eine atemberaubende Entwicklung. Zwei Jahre, nachdem die Ostwestfalen in der vierten Liga zu verschwinden drohten, steigen sie in die zweite Liga auf – und greifen im DFB-Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart nach dem ersten großen Titel in ihrer Geschichte. Mitch Kniat weiß, wie es gehen könnte: Der Arminia-Trainer und seine Mannschaft haben auf dem Weg nach Berlin vier Erstligisten geschlagen.
WELT: Herr Kniat, wie oft waren Sie schon im Berliner Olympiastadion?
Mitch Kniat: Zweimal. Einmal, als ich vor drei Jahren „Zecke“ Neuendorf in Berlin besucht habe. Wir haben zusammen den Trainerschein gemacht, und er hatte mich zu einem Spiel von Hertha BSC eingeladen, wo er Trainer der U23 war. Und vor 21 Jahren, als Alemannia Aachen das DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen gespielt hatte. Damals habe ich in der A-Jugend der Alemannia gespielt. Die tolle Atmosphäre aufgrund der beiden großen Fanlager ist mir in Erinnerung geblieben. Das war sehr cool.
WELT: Das kann Spieler, die so eine Atmosphäre noch nicht erlebt haben, aber auch beeindrucken.
Kniat: Das schon, aber ich glaube trotzdem nicht, dass wir in Ehrfurcht erstarren werden. Als Fußballer beschäftigt es dich natürlich, in welchem Rahmen du spielst. Aber in dem Moment, wo du auf den Platz kommst, ist es dir egal, vor wie vielen Menschen du spielst. Du bist auf das Spiel konzentriert. Ich bereitete die Mannschaft jedenfalls genauso wie auf jedes andere Spiel vor. Aber natürlich: Dieses Pokalfinale ist für uns alle, Spieler und Trainer, das absolute Highlight unserer Karriere.
WELT: Es ist auch das Highlight für den Verein in seiner 120-jährigen Geschichte. Wie nehmen Sie den Hype in Bielefeld derzeit wahr – vor allem nach der geglückten Rückkehr in die zweite Liga?
Kniat: Die Entwicklung, die wir genommen haben, macht mich fast schon sprachlos. Vor einem Jahr haben wir erst am zweitletzten Spieltag den Klassenerhalt klarmachen können, jetzt haben wir es in die zweite Liga geschafft und stehen im Pokalfinale. Das ist unglaublich. Eine ganze Region freut sich mit uns, und Arminia ist bundesweit in aller Munde. Das letzte Mal war dies vielleicht nach dem Abstieg in die dritte Liga vor zwei Jahren der Fall, damals nach der verlorenen Relegation gegen Wehen-Wiesbaden ...
WELT: ... als es zu Fan-Ausschreitungen kam ...
Kniat: ... und es dem Verein nicht gut ging. In nur zwei Jahren hat sich alles gedreht. Es gibt eine Riesenvorfreude auf Berlin. Wir erleben es jeden Tag, die Fans rennen uns die Bude ein. Es gibt im Fanshop kaum noch Trikots, ich konnte zuletzt nicht mal welche für meine Verwandten besorgen. Wir mussten den Spielern sogar untersagen, ihre Trikots zu tauschen. Das ist Wahnsinn. In der Stadt sieht man überall schwarz, weiß und blau. Die Fans sind wieder richtig stolz auf die Arminia.
WELT: Das ist umso verblüffender, denn als sie vor zwei Jahren nach Bielefeld kamen, lag der Klub nach zwei Abstiegen in Folge am Boden – und hatte nicht mal eine Mannschaft, um in der dritten Liga an den Start zu gehen.
Kniat: An meinen ersten Tag habe ich gemerkt: Die Arminia, so wie ich sie vorher aus der Distanz gekannt hatte, gibt es nicht mehr. Ich erinnere mich noch an die erste Ansprache, die ich vor etwa 50 Mitarbeitern der Geschäftsstelle gehalten habe. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt, es war kein schöner Beginn.
WELT: Wie ist es möglich, von jetzt auf gleich eine komplett neue Mannschaft zusammenzustellen? Nur Fabian Klos war aus der Abstiegsmannschaft übrig geblieben.
Kniat: Mit viel, viel Arbeit. Das Problem war ja auch, dass Arminia in der Relegation abgestiegen war, also zu einem Zeitpunkt, an dem auf dem Transfermarkt schon sehr lange Bewegung war. Dann haben Michael Mutzel (Sport-Geschäftsführer, d.Red.) und ich einfach angefangen. Es mag sich komisch anhören: Aber da wir nicht mehr so viel Zeit hatten, haben sich die Entscheidungsprozesse verkürzt. Uns war klar: Wir werden, egal, wie die Saison läuft, auch die kommenden Transferfenster nutzen müssen, um am Kader zu feilen. Aber irgendwie ist es uns gelungen, das Blatt Papier, das im Sommer 2023 komplett weiß war, zu füllen – wenn auch unter Schwierigkeiten.
WELT: Haben Sie es damals bereut, nach Bielefeld gegangen zu sein?
Kniat: Nein. Ich bin jemand, der seine Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft – und dann ziehe ich es durch.
WELT: Wie gelingt es, einen Teamgeist zu kreieren, wenn alle Spieler sich ernst kennenlernen müssen?
Kniat: Das war die größte Herausforderung. Natürlich hofft man, gleich auf Anhieb die richtigen Charaktere zu holen, doch das war schwer. Du musst auf eine bestimmte Entwicklung hoffen und dann, wenn sie sich abzeichnet, sofort reagieren und etwas tun, um sie zu festigen. Im Winter haben wir Mael Corboz geholt. Er ist einer der besten Spieler der dritten Liga, unser Kapitän und eine Führungspersönlichkeit. Im vergangenen Sommer konnten wir weitere Anpassungen am Kader vornehmen. Was ich aber sagen muss: Vor allem Fabian Klos war in meinem ersten Jahr eine Riesenhilfe. Er kannte den Verein aus dem Effeff, bei ihm konnte ich immer wieder Rat einholen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
WELT: Dennoch konnte der Klassenerhalt im ersten Drittligajahr erst am vorletzten Spieltag klargemacht werden. Hinzu kam eine große Ungeduld bei den Fans. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Kniat: Das hat schon Druck erzeugt. Wir mussten uns halt immer die gleichen Sachen anhören. Als wir zum Beispiel bei den BVB-Amateuren im Stadion Rote Erde gewonnen haben, hieß es: „Ja, aber vor zwei Jahren haben wir nebenan an im Westfalenstadion gegen die erste Mannschaft vom BVB gespielt.“ Wir hatten zu Beginn wenig Kredit wegen der vielen Enttäuschungen in der Vergangenheit – für die wir allerdings nichts konnten.
WELT: Die Stimmung ist mittlerweile komplett anders. Und die einheimische Wirtschaft, vor allem das Bündnis Ostwestfalen, einem Zusammenschluss von regionalen Unternehmen, hat dem Verein die Stange gehalten.
Kniat: Dafür sind wir sehr dankbar, denn das ist alles andere als selbstverständlich. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass alle – Verein, Mannschaft, Staff, Fans, Sponsoren und Partner – am selben Strang ziehen. Der entscheidende Faktor aber ist die Mannschaft. Wir sind zusammengewachsen und auch noch einmal deutlich hungriger geworden. Das war der Schlüssel zum Aufstieg und wird von den Fans honoriert.
WELT: Dabei gelten Ostwestfalen ja nicht gerade als Menschen, die besonders euphorisch sind.
Kniat: Das kann man wohl sagen. Es dauert halt etwas länger, die Menschen hier zu überzeugen. Doch auch was diesen Pessimismus angeht, hat sich zuletzt ein bisschen was gedreht. Die Fans haben erkannt, dass wir etwas Gutes zusammen erreicht haben.
WELT: Woran machen Sie das fest?
Kniat: Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Nach unserem Sieg im Halbfinale gegen Leverkusen waren wir in Stadt, um zu feiern. Da ist ein Herr, ich schätze, er war zwischen 70 und 80, auf mich zugekommen. Er fragte mich freundlich, ob ich ein paar Sekunden Zeit hätte. Dann sagte er mir: „Herr Kniat, ich bin jetzt über 50 Jahre Armine, gehe schon so lange auf die „Alm. Doch das war das Schönste, was ich je erlebt habe.“ Er wollte sich einfach nur bedanken. Das hat mich sehr berührt. Da hatte ich verstanden, was wir – alle gemeinsam – geschafft haben.
WELT: Und das muss ja nicht einmal alles gewesen sein. Werden Sie das Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart genauso mutig angehen wie die Spiele gegen Union Berlin, Freiburg, Bremen und Leverkusen?
Kniat: (lacht) Natürlich. So ist unsere Denkweise. Wir wollen immer mehr investieren als der Gegner – egal, in welcher Liga der spielt. Wir wollen jede Mannschaft hoch anlaufen und mutig im Ballbesitz sein. Damit sage ich nicht, dass es immer funktioniert. Zu Beginn meiner Zeit bei der Arminia hat es das nicht getan, also mussten wir uns anpassen. Aber das Ziel, so zu spielen wie im DFB-Pokal, hatten wir immer.
WELT: Trotzdem ist schwer zu verstehen, dass Arminia ein internationales Topteam wie Leverkusen beherrschen kann – so wie es im Halbfinale der Fall war. Erklären Sie es uns bitte.
Kniat: Das ist relativ einfach. Uns war bewusst, dass wir fußballerisch unterlegen waren. Wenn ich das akzeptiere, erfülle ich schon mal die Voraussetzung. Es ist wie im Leben: Ich kann meine Schwäche zwar durch Training etwas verbessern, aber ich kann sie niemals zu meiner Stärke machen. Andererseits: Wenn ein Bundesligist gegen einen Drittligisten spielen muss, läuft er nicht gerne hinterher. Also müssen wir gegen einen Erstligisten nicht nur kämpfen, kratzen und laufen, sondern unbedingt auch selbst Ballbesitzanteile haben. Es geht um zwei Dinge: Du musst ihnen den Spaß am Spiel nehmen – gleichzeitig aber musst du auch angreifen. Denn wenn du dich beispielsweise gegen Leverkusen nur hinten reinstellst, hast du bestenfalls die Chance auf eine knappe Niederlage, aber nie die Chance auf einen Sieg. Also gehen wir ans Limit – und all-in.
WELT: Werden Sie am Samstag nicht doch ihre Alm vermissen?
Kniat: Natürlich. Aber es gab auch noch kein Spiel in der Geschichte des DSC, wo mehr Arminen-Fans dabei waren. So gehen wir es an: Wir wollen das Finale zu unserem Heimspiel machen. Und dann wird es noch geiler als unsere bisherigen Pokalspiele – vor fast 35.000 Bielefeldern auf den Rängen.
WELT: Was würde Ihnen der Gewinn des Pokals bedeuten?
Kniat: Alles, einfach alles. Ich hab immer gesagt: Meine größten Träume als Trainer wären es, mit meiner Mannschaft in eine Profiliga aufzusteigen und einen großen Titel zu gewinnen.
WELT: Es könnte der Sommer ihres Lebens werden. Können Sie ihn auch genießen?
Kniat: (lacht) Es wird mir oft geraten, ich solle Berlin doch einfach nur genießen. Das würde ich ja gerne auch. Aber das kann ich nur, wenn wir den Pott auch wirklich gewinnen.
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