„Bis auf den FC Bayern ist jeder Verein auch ein Verkaufsverein“
Wer in Berlin weite Strecken zurückzulegen hat, muss Zeit mitbringen, um ans Ziel zu kommen. Und da ist es oftmals sogar egal, auf welches Fortbewegungsmittel man zurückgreift. In der Hauptstadt dauert es eben.
Am Mittwochvormittag hatte der 1. FC Union Berlin zu einem Medientermin geladen. Und wer sich dieser Tage zum Bundesligisten begibt, braucht Geduld. Denn in Berlin ist eine weitere Brücke als so marode eingestuft worden, sodass nicht nur diese gesperrt wurde, sondern auch die Straße, die unter ihr hindurchführt. Aber dennoch fanden zahlreiche Medienvertreter rechtzeitig den Weg zu einem Termin mit den Verantwortlichen des Männer- und des Frauen-Teams von Union.
Der Klub hatte geladen, um auf die vergangene Saison zurückzublicken – und das eine oder andere in Bezug auf die kommende zu erzählen. Die wird vor allem für die Frauen des 1. FC Union eine ganz besondere. Ihnen gelang binnen zwei Jahren der Durchmarsch von der Regionalliga in die Bundesliga. Am vergangenen Sonntag feierten sie vor der Rekordkulisse von 20.132 Zuschauern den Aufstieg. „Die Freude darüber ist natürlich groß. Wir möchten alles daransetzen, uns in der Bundesliga zu etablieren“, sagte Jennifer Zietz, Geschäftsführerin Profifußball Frauen bei Union. Mit einem Etat, der im siebenstelligen Bereich liegt, will der Aufsteiger den Klassenerhalt angehen. Jenes Ziel, das beim Männer-Team vor wenigen Wochen noch in weiter Ferne war.
Union hofft auf eine konstante Saison
Nach einem 0:1 im Heimspiel gegen Holstein Kiel Anfang März erwarteten viele Beobachter einen langen und harten Kampf um die Erstligazugehörigkeit. Stattdessen holte die Mannschaft aus sechs Spielen gegen Topteams wie den FC Bayern, Eintracht Frankfurt und Bayer Leverkusen zwölf Punkte und war gerettet.
Wenig überraschend ist deswegen auch der Wunsch von Mittelspieler Rani Khedira für die kommende Spielzeit: „Mal eine konstante Saison spielen.“ Der Führungsspieler und Bruder von Weltmeister Sami Khedira hat wie auch Kapitän Christopher Trimmel seinen Vertrag unlängst verlängert. Sie sind die Eckpfeiler in einem Team, dass schon in der Saison 2023/24 lange hatte zittern müssen. Erst am letzten Spieltag gelang damals der Klassenerhalt.
Danach sollte mit Bo Svensson, dem erst im Juli 2024 verpflichteten Trainer, alles besser werden. Doch auf ein Hoch zu Saisonbeginn folgte ein Einbruch – und rund um Weihnachten dann die Entlassung von Svensson und die Einstellung von Steffen Baumgart.
Der Coach, der etwas Zeit brauchte, um die Trendwende zu schaffen, saß am Mittwoch auch in der Eisernen-Lounge im zweiten Stock des Stadions „An der Alten Försterei“. Er wirkte zufrieden – und irgendwie auch erleichtert. Und vor allem klar, in dem, was er sagte. Als die Frage kam, ob man mit Blick auf die kommende Saison auch eine Qualifikation für das europäische Geschäft als Ziel in Betracht ziehen würde, sagte er: „Nein, das werden Sie von mir nicht hören – und auch von keinem anderen im Verein. Es gibt nur ein Ziel, und das ist der Klassenerhalt.“
Union wandelt sich zum Klub für Talente
Nach dem Aufstieg 2019 hatte Union das erste Bundesliga-Jahr auf Platz elf beendet, ehe man sich im Anschluss erst für die Conference League, dann für die Europa League und schließlich noch für die Champions League qualifizierte.
Spiele in der Königsklasse sind nur Träumerei. In der Realität geht es darum, einen konkurrenzfähigen Kader für die kommende Saison zusammenzustellen. „Wir sind in Gesprächen. Die Planungen laufen“, sagte Horst Heldt, der Geschäftsführer Sport des Bundesligisten, bei dem es inzwischen eine auffällige und ungewohnte Jugendbewegung gibt. Neben dem 24 Jahre alten Benedict Hollerbach werden Aljoscha Kemlein (20), Leopold Querfeld (20), Tom Rothe (20) und auch David Preu (20), der in Augsburg erstmals in der Startelf stand, auf viele Einsatzzeiten drängen. Kemlein, der in den vergangenen Wochen verletzt fehlte, verlängerte am Mittwoch seinen Vertrag. Über die Laufzeit wurde nichts bekannt.
„Wir haben Aljoscha seit seiner Jugend begleitet und sehen in ihm großes Potenzial. Er bringt jetzt schon viel Qualität mit, hat sein Spielverständnis und seine Art bereits auf höchstem Niveau bewiesen“, sagte Heldt. Der Mix zwischen jungen und alten Spielern in einem Team müsse stimmen, ergänzte der frühere Bundesligaprofi. So habe man am Ende der abgelaufenen Saison beispielsweise gesehen, wie wichtig es für die Mannschaft gewesen sei, dass erfahrene Spieler auf dem Platz gestanden hätten.
Bei Union, das fällt auf, hat der Nachwuchs eine Chance – und auch Zukunft. Das überrascht insofern, da es gut ausgebildete Talente bundesweit in der jüngsten Vergangenheit schwer hatten, sich im Oberhaus zu behaupten und auf Einsatzzeiten zu kommen.
„Wir möchten uns verjüngen“
Fabian Wohlgemuth, Sportvorstand des VfB Stuttgart, hatte jüngst in einem Doppel-Interview mit Alexander Wehrle, dem Vorstandschef des VfB, gegenüber WELT AM SONNTAG gesagt: „Es fällt auf, dass immer weniger Spieler, die in Deutschland ausgebildet worden sind, in der Bundesliga ankommen.“ Wohlgemuth mahnte an, dass man die Spieler bereits in der frühen Ausbildung besser auf die finalen Anforderungen im Lizenzfußball vorbereiten müsse. Es sei an der Zeit, die verbandsseitigen Vorgaben zum Einsatz von Nachwuchsspielern weiter anzuziehen. „Bundesliga-Spieler werden im letzten Schritt in der Bundesliga entwickelt und nicht im Nachwuchs“, sagte Wohlgemuth und verwies auf ein Statement von Jürgen Klopp. Dieser habe klar formuliert, dass die Qualität da sei, es aber Gelegenheiten für die Spieler fehlen würde.
Horst Heldt sagte am Mittwoch in Bezug auf das Thema, wie wichtig es sei, jungen Spielern eine Chance zu geben. Nur durch den Wettkampf könne man sich entwickeln und lernen zu behaupten. „Für junge Spieler ist es toll, wenn sie sehen, dass es Vereine gibt, bei denen sie die Chance bekommen, sich zu zeigen. Wir wollen schon versuchen, uns ein wenig zu verjüngen.“
Offen ist hingegen auch für Horst Heldt noch, ob Spieler, die Begehrlichkeiten geweckt haben, bleiben oder gehen. Zu den Kandidaten zählen Hollerbach (neun Saisontore/drei Torvorlagen) – und die Top-Innenverteidiger Diogo Leite und Danilho Doekhi. Leites Marktwert beträgt laut transfermarkt.de aktuell 17 Millionen Euro, der von Doekhi, der alle 34 Saisonspiele über die volle Distanz bestritten hat, 13 Millionen.
Union lebt von Transfererlösen
Auf WELT-Nachfrage, ob es für Union eine Schmerzgrenze geben würde, sollten Angebote für die Spieler kommen, sagte Heldt: „Ich glaube, bis auf den FC Bayern ist jeder Verein auch ein Verkaufsverein. Auch wir leben davon, Transfergeschäfte zu machen. Das ist ein Teil unserer Finanzierung. Das gab es in der Vergangenheit schon und das wird es auch in der Gegenwart geben, dass ein Verein kommt und sagt, hier ist Summe X und wir müssen dann überlegen und gegebenenfalls eine Entscheidung treffen. Das ist so – und anders als bei Bayern München.“
Union, das ist klar, schaut sich in anderen Regalen um als der deutsche Rekordmeister. Was Zugänge betrifft, wurde zuletzt bereits über Oliver Burke von Werder Bremen spekuliert. Der Stürmer wäre ablösefrei.
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