„Ich lese Papa am Grab immer die Ergebnisse vor“
„Unsere Nummer 10 der Herzen.“ Dieser Satz ist ein Ritual. Bei jedem Heimspiel des VfL Wolfsburg rufen die Fans beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung den Namen „Krysztof Nowak“, der ehemaligen Nummer 10 des Vereins. 1998 kam der polnische Mittelfeldstratege zum VfL. Die hoffnungsvolle Karriere des Nationalspielers endete nach 83 Einsätzen in der Fußball-Bundesliga.
Im Alter von nur 29 Jahren starb Nowak am 26. Mai 2005 an der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). Bis zu seinem Tod verfolgte er die Spiele seines Teams im Rollstuhl. Nowaks Schicksal bewegt Millionen Fans bis heute.
An diesem Montag gedenkt der VfL Wolfsburg seiner Klub-Legende: Um 16.30 Uhr beginnt vor der Volkswagen-Arena eine Kundgebung, an der auch Nowaks Frau Beata (48), Sohn Maksymilian (30) und Tochter Maria (24) teilnehmen. Die Kranzniederlegung auf dem Waldfriedhof findet vorher im engsten Kreis statt.
Frage: Maria, Sie waren viereinhalb Jahre alt, als Ihr Vater starb. Was ist die erste Erinnerung, wenn Sie an ihn denken?
Maria Nowak: Ich habe immer bei Papa auf dem Schoß gesessen, als er schon im Rollstuhl saß. Vielleicht war ich zu faul zum Laufen. Aber ich liebte es, nah bei ihm zu sein. Ich bin sicher, dass wir heute eine sehr gute Vater-Tochter-Beziehung hätten. Natürlich habe ich mir alle Videos angeschaut, die ich von ihm als Spieler finden konnte. Er hat alles aus seiner Karriere gesammelt, besonders Wimpel. Meine Mutter mochte das nie, wenn ich auf dem Dachboden in Papas Kisten gekramt habe. Aus Geschichten und Anekdoten konnte ich viel über meinen Vater erfahren und weiß, dass er sehr zielstrebig und direkt war. Er wollte als erster Pole beim FC Barcelona spielen.
Frage: Ihr Vater erkrankte nur wenige Monate nach Ihrer Geburt an ALS. Was haben Sie davon mitbekommen?
Nowak: Ich habe mir als Kind oft Vorwürfe gemacht, weil ich glaubte, dass seine Erkrankung meine Schuld gewesen wäre. Mit zehn oder elf Jahren fing ich an, im Internet zu recherchieren, was ALS bedeutet. Irgendwann wurde mir zum Glück bewusst, dass ich nichts für diese unheilbare Krankheit meines Vaters konnte. Ich wollte trotzdem alles darüber wissen – daraus konnte ich für mich wichtige Lebenserfahrungen mitnehmen.
Frage: Können Sie das beschreiben?
Nowak: Ich habe Menschen begleitet, die an ALS erkrankt sind. Daraus entstand ein Studentenprojekt an der Ostfalia-Uni mit dem Titel „Jeden Tag leben mit ALS wäre es der Letzte.“ Mir hat imponiert, mit welcher Lebensfreude diese Menschen mit ihrer Krankheit umgehen, wie sie trotzdem ihren Alltag mit Optimismus bewältigen. So wie es mein Vater bis zu seinem Tod getan hat. Er war immer bei den Spielen und beim Training im Rollstuhl am Spielfeldrand dabei, weil er seine Leidenschaft weiterleben wollte.
Frage: Sie haben ein kleines Tattoo mit den Initialen KN und der Zahl 10 am rechten Knöchel. Hätte Ihrem Vater das gefallen?
Nowak: Nein, das hätte aus seiner Sicht nicht zu unserem katholischen Glauben gepasst. Papa hätte mir richtig Feuer unterm Hintern gemacht, wenn ich mit einem Tattoo angekommen wäre. Für mich ist das Tattoo sehr wichtig: So trage ich meinen Vater immer bei mir, mit seiner Nummer 10, die meine Lieblingszahl ist. Papa hat sie als Spieler getragen, er hat zehn Länderspiele für Polen gemacht und zehn Tore in der Bundesliga für den VfL erzielt. Ich habe die Nummer 10 sogar selbst getragen.
Frage: Sie haben auch Fußball gespielt?
Nowak: Ja, die Leidenschaft habe ich von Papa. Ich war Verteidigerin bei der USI Lupo-Martini in Wolfsburg, weil ich immer die Größte im Team war.
Frage: Wie oft besuchen Sie das Grab Ihres Vaters?
Nowak: Aktuell arbeite ich im Ausland. Als ich noch in Wolfsburg gelebt habe, war ich einmal in der Woche dort. Der Besuch auf dem Friedhof ist für mich etwas Selbstverständliches, es ist der Besuch bei einem Mitglied der Familie. Ich mache dann rund um sein Grab alles sauber und quatsche mit Papa.
Frage: Was erzählen Sie Ihrem Vater, wenn wir fragen dürfen?
Nowak: Ich lese Papa am Grab immer zuerst die neuesten Fußball-Ergebnisse vor – vor allem wie der VfL und sein polnischer Lieblingsverein KS Ursus aus Warschau gespielt haben. Das Stadion von Ursus trägt übrigens seit diesem Wochenende seinen Namen.
Frage: Für die VfL-Fans ist Ihr Vater unsterblich. Spüren Sie das?
Nowak: Ja. Meine Mutter, mein Bruder und ich sind Wolfsburg, dem VfL und den Fans dafür sehr, sehr dankbar. Er ist für immer ein Teil des Klubs, das spüren wir jedes Jahr, wenn wir uns mit seinen ehemaligen Mitspielern und Fans am Grab treffen. Die Gründung der Krysztof-Nowak-Stiftung hat eindrucksvoll bewiesen, dass mein Vater auch weit über seinen Tod hinaus beim VfL nicht vergessen ist. Diese Erinnerungskultur bedeutet uns als Familie enorm viel.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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