In der Transfersaga um Florian Wirtz geht der FC Bayern wohl leer aus. Doch das ist keine Überraschung: Der FC Liverpool hat einfach die besseren Argumente auf seiner Seite.

Einen Ratgeber, wie man mit Absagen umgeht, brauchen sie beim FC Bayern mutmaßlich nicht mehr. Das letzte Drama ist ja nur ein Jahr her: Im Februar 2024 beschließt der deutsche Fußball-Rekordmeister die Trennung von Trainer Thomas Tuchel. Darauf folgte eine Odyssee über den Trainerbasar: Mögliche Nachfolger kursierten an jeder Ecke, doch wenn es ernst wurde, kassierte Sportvorstand Max Eberl eine Absage nach der anderen. Es zog sich: Obwohl Eberl im April eigentlich schon "in die finale Phase" ging, fiel die Entscheidung erst Ende Mai.

Und nun gibt es wieder eine ähnliche Situation. Wieder befindet sich der Sportvorstand in der ungemütlichen Funktion, eine schlechte Nachricht zu überbringen. "Max Eberl hat mich informiert, dass Florian Wirtz wohl zu Liverpool tendiert. Wie das dann mit Leverkusen weitergeht, kann ich nicht sagen", sagte Präsident Herbert Hainer laut Medienberichten am Wochenende bei einem Fan-Fest in München. Damit ist klar: Die monatelange Werbekampagne um den 22-jährigen Nationalspieler, die von Uli Hoeneß höchstpersönlich forciert wurde, bleibt erfolglos.

Jetzt lässt sich argumentieren, dass diese Absagen nicht zu vergleichen wären. Dass jeder Trainer ein komplett individuelles Bedenken hatte. Dass auch Wirtz ganz eigene sportliche und private Überlegungen hatte (dazu gleich mehr). Doch damals wie heute ist bemerkenswert, wie sich praktisch jede Erwägung des FC Bayern in der Presse nachlesen ließ. So wie damals Trainernamen durch die Welt geisterten, weiß die Öffentlichkeit heute sogar, über welche Finanzierungsmodelle der FC Bayern in der Causa Wirtz nachgedacht hat (Reicht das Festgeldkonto?). Für die Fußballwelt ist das FC-Hollywood-hafte unterhaltsam, für die Beteiligten eher wenig.

Wirtz' Rolle fehlt Liverpool noch

Was bei Wirtz den Ausschlag für den FC Liverpool gegeben hat, das wissen nur er und seine Eltern. Die nächsten Tage und Wochen könnten für Aufklärung sorgen. Das offenbar professionellere Umfeld mag ein Beweggrund sein. Erst im letzten Akt der langen Transfersaga wagten sich die Reds aus der Deckung. Erst hieß es noch, das Ziel der England-Reise der Familie Wirtz vor einigen Wochen sei Manchester City gewesen - dabei ging es nach Liverpool. Als sie schon fast wieder zurück sind, wird das erst korrigiert. Diese Diskretion ist schon bemerkenswert. Jetzt verhandeln die beiden Klubs, bei Summen von bis zu 200 Millionen Euro kann da noch einiges schiefgehen.

Für Wirtz ist das aber zweitrangig. Er will den nächsten Schritt gehen, sagte er kürzlich in einem Interview. In Liverpool geht das: Die Reds wurden in der sehr umkämpften Premier League gerade souverän englischer Meister. Erst kürzlich klärten sie ihre wichtigsten Personalien. Torgarant Mohamed Salah, der sich in bestechender Form befindet, hat seinen Vertrag verlängert. Auch Kapitän und Abwehrhühne Virgil van Dijk bleibt den Reds noch weiter erhalten. Außenverteidiger Trent Alexander-Arnold geht, als Ersatz kommt wohl Wirtz' Leverkusener Mannschaftskollege Jeremie Frimpong. Der FC Bayern, nun ja, verharrt in einem Dauer-Umbruch, ohne wirklich näher an die europäische Spitze heranzurücken.

Und da ist auch Trainer Arne Slot, der Nachfolger von Jürgen Klopp. "Stellen Sie sich das so vor: Klopp hat die Lasagne zubereitet, sie in den Kühlschrank gestellt und alles dafür getan, dass die in Slots erster Saison auf den Tisch kommt. Das ist ihm perfekt gelungen", hatte der britische Fußball-Autor Andy Brassell erst kürzlich ntv.de erklärt. "Kaum jemand hat je einen Kader in einem besseren Zustand übergeben", kommentierte der "Guardian" die Meisterschaft. Doch Slot verwaltet nicht nur das Klopp-Erbe; er soll Wirtz im persönlichen Gespräch mit seinen Vorstellungen, so hört man, endgültig überzeugt haben.

Denn Liverpool kann Wirtz einen Vorteil bieten, den der FC Bayern nicht hat. Der DFB-Star kann da auf seiner angestammten Position spielen - der Zehn. Wirtz schafft es dort wie nur wenige gerade im Weltfußball, die richtige Entscheidung in den engsten Räumen zu finden. Genau das macht ihn derzeit so umworben; und genau dieser Spielertyp fehlt den Reds noch. Die offensive Position in der Mittelfeld-Dreierreihe füllte bislang Dominik Szoboszlai aus. Der Ex-Leipziger zeichnete sich zwar bislang aus, aber nur zwölf Scorerpunkte in der Liga sprechen nicht für Torgefahr - hier hat Wirtz große Vorteile.

Die große Sorge

Und vielleicht hat Wirtz auch die Warnungen aus der Expertenwelt vernommen. Beim FC Bayern hätte Wirtz gemeinsam mit Jamal Musiala gespielt - wie schon in der DFB-Elf. Das rief die Mahner auf den Plan, die ohnehin allgegenwärtig sind. Da wäre Dietmar Hamann ("Einer der beiden würde leiden") gewesen. Oder auch Lothar Matthäus ("Ich glaube, dass Wirtz und Musiala gut beraten sind, wenn sie vielleicht nicht tagtäglich zusammenspielen"). Oder Stefan Effenberg (Bei der Heim-EM ist"einer der beiden immer abgetaucht"). Nur: Sie alle haben diesmal einen Punkt.

Denn "Wusiala" müsste sich eine Position teilen, die Zehn. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte in ihrer Spielweise sind sich Wirtz und Musiala doch sehr ähnlich. Mit Folgen: Die gesamte Architektur des Bayern-Spiels hätte sich verändern müssen. Denn zwei Zehner in der Mitte bedeuten auch, dass auf den Flügeln weniger passiert. Schließlich fehlt dort jemand. Man beraubt sich damit auch einem Stilmittel: den Flanken. Wenn der Mittelstürmer Harry Kane heißt, sollte man sich das zweimal überlegen, ob man sich an dieser Stelle limitieren will. Bayern-Trainer Vincent Kompany hätte sein Spiel also noch einmal kräftig umbauen müssen.

Deshalb waren die Zweifel berechtigt. Klar, man könnte an dieser Stelle den Verweis auf das DFB-Team einwerfen. Aber der hat zwei Probleme. Einerseits unterscheidet sich Nationalmannschaftsfußball von der Klubebene. Die Teams haben kaum Zeit, irgendwelche Abläufe zu trainieren. Häufig geht es um Intuition und einfache Systeme. Da machen die besseren Einzelspieler schneller den Unterschied, vor allem, wenn sie so harmonieren wie Wirtz und Musiala. Und andererseits hatte auch Bundestrainer Julian Nagelsmann mehrere Versuche gebraucht, beide in sein System einzubauen. In der DFB-Elf ist alles auf die beiden Ausnahmefußballer ausgerichtet.

"Bayern wäre sicherlich auch nicht verkehrt gewesen", sagte der Bundestrainer nun bei Sky am Wochenende. Wirtz und Musiala seien aber "zwei Spieler, die sich auch so finden auf Nationalmannschaftsebene, wenn sie nicht beim gleichen Klub spielen". Und es gibt eben diesen einen entscheidenden Unterschied: "Wenn es Liverpool wird, wir wissen es ja noch nicht, ist es ein guter Schritt für ihn, weil er da auf seiner Position spielen kann", sagte Nagelsmann. Und für den FC Bayern bedeutet das: schon wieder eine Absage. Aber das letzte Mal wuchs daraus bekanntlich etwas Positives: Mit Kompany landete Eberl bekanntermaßen einen Glücksgriff. Vielleicht schafft er das nach der Wirtz-Absage wieder.

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