Kurz nach Mitternacht setzt CR7 an seinem Gala-Abend ein letztes Zeichen
Wenn Fußballprofis nach einem Spiel keine Lust haben, in der Interview-Zone zu reden, checken das die dort wartenden Medienvertretern rasch. Entweder geht der Spieler einfach durch und ignoriert die Fragen – oder er hält sich sein Smartphone ans Ohr und tut so, als würde er telefonieren. Nach Niederlagen spielt sich das oft so ab. Der in der Branche betitelte „Handy-Trick“ ist ein Klassiker.
Nun hatte Cristiano Ronaldo am Mittwochabend nicht verloren. Ganz im Gegenteil, dem Superstar war mit Portugal durch ein 2:1 (0:0) gegen Deutschland der Einzug ins Finale der Nations League gelungen, weshalb er eigentlich gut aufgelegt gewesen sein dürfte. Dennoch trickste er alle noch wartenden Journalisten – mögen es 70 gewesen sein – mal eben kurzerhand aus, als er neun Minuten nach Mitternacht im Rücken von ihnen den Ausgang des Münchner Stadions zum Teambus passierte, der vor der Tür stand. Zeitlich perfekt abgepasst, als sich alle Reporter auf andere Spieler konzentrierten. Ronaldo war in den Katakomben des Münchner Stadions trickreich und schnell wie auf dem Rasen.
Es war letzte große Akt an einem Abend, der auch im Zeichen Ronaldos stand – jenem Superstar, der mit 40 Jahre noch immer alles und alle überstrahlt. Im sechsten Anlauf seiner nun schon 220 Länderspiele andauernden Karriere, die in der Nationalelf 2003 begann, war es ihm endlich gelungen, auch mal ein Spiel siegreich gegen die deutsche Elf zu bestreiten. Das gefiel ihm sehr. Er herzte nach dem Abpfiff viele Mitspieler und einige Betreuer, bevor er sich beim Anhang verabschiedete und den Rasen verließ.
Als er diesen betreten hatte, war es erstmals so richtig laut am Mittwoch in München geworden. Die knapp 10.000 Portugiesen in der Arena feierten Ronaldo frenetisch. Wenn er den Ball beim Warmmachen ins Tor schoss, hallte ihm das lang gezogene „Siuuu“ als Jubelruf entgegen. Ein Fan hielt es gar nicht mehr auf seinem Sitz. Er wollte Ronaldo nah sein, stieg über die Absperrung und rannte auf den Rasen, offenbar auf der Jagd nach einem Foto mit seinem Idol. Wenige Meter vor Ronaldo stoppten Sicherheitsleuten den Jungen.
Im Spiel hatte Ronaldo dann gleich mal zwei Chancen, in der 7. und 15. Minute, aber im Anschluss agierte er teils auch unauffällig. Insgesamt kam er auf 28 Ballkontakte, 15 gespielte Pässe und zwei Zweikämpfe – und dann hatte er diesen einen Moment in der 68. Minute, als er nach einem herausragenden Doppelpass von Bruno Fernandes und Nuno Mendes nur den Fuß für sein 137. Länderspieltor hinhalten musste und das 2:1 erzielte.
Kurz nach dem Seitenwechsel hatte er schon eine gute Torchance gehabt, als er nach einer Hereingabe von außen den Ball nur leicht mit der Fußspitze erreichte und dadurch das Tor verfehlte (47.). Vorausgegangen war ein Abspielfehler von Jonathan Tah, der gerade zum FC Bayern wechselte.
Mögen am Ende die eingewechselten Vitinha und Francesco Conceicao, die in der 55. Minute kamen, hauptverantwortlich für die Trendwende im Spiel gewesen sein – Cristiano Ronaldo trug keinen unwesentlichen Teil dazu bei.
Er besticht nach wie sportlich, wenn auch die Phasen, in denen er sich während eines Spiels auch mal herausnimmt, immer länger werden. Was die Anziehungskraft betrifft, hat sich nichts verändert: wo Cristiano Ronaldo ist, ist Hype. Das war in München so, das ist überall so.
Fans von Cristiano Ronaldo belagern Hotel in München
Schon bei der Ankunft in der bayrischen Metropole gab es einen großen Fanauflauf am Hotel. Da hatte ihn ein Fan im Rollstuhl vor lauter Aufregung mit seinem Rollstuhl leicht am Knie getroffen. CR7 reagierte entspannt, machte ein Selfie und schrieb ein Autogramm, um am nächsten Tag dann abends auf dem Rasen abzuliefern.
Julian Nagelsmann, der Bundestrainer, zollte Ronaldo Respekt. „Ich habe nicht auf alle Situationen von ihm explizit geachtet, aber ich finde schon, dass er mit 40 immer noch einen sehr guten Körper hat und alles dafür investiert, mit 40 noch so spielen zu können – Schlaf, Ernährung, Trainingsintensität. Ich glaube, er ist sich selbst bewusst, dass nicht mehr alles so geht wie mit 30, aber das ist auch normal. Trotzdem hat er ein Tor gemacht und hatte viele Aktionen.“
Teilnahme an der Klub-WM?
Am Sonntagabend (21 Uhr/ARD und DAZN) bestreitet Ronaldo mit seiner Mannschaft das Finale in München – Gegner ist der Sieger aus der zweiten Halbfinalpartie am Donnerstagabend zwischen Spanien und Frankreich.
Und dann?
Wenn es nach Gianni Infantino geht, dem mächtigen Fußballweltverband Fifa, könnte er neben Lionel Messi (37) das große Zugpferd der neuen Klub-WM in den USA werden – vorausgesetzt, Ronaldo wird noch von einem Teilnehmer kurzfristig verpflichtet. Dahinter steckt dann als großes Ziel: die WM im kommenden Jahr in Nordamerika.
Infantino will den Portugiesen, der mit seinem Verein al-Nassr (Saudi-Arabien) nicht qualifiziert ist, unbedingt bei seinem Milliarden-Turnier dabeihaben und heizte zuletzt Spekulationen um einen Wechsel im Sondertransfer-Fenster Anfang Juni an. Ronaldo postete in den sozialen Netzwerken mehrdeutig: „Dieses Kapitel ist vorbei. Die Geschichte? Wird weitergeschrieben.“
„Für mich sind 1000 Tore das Größte, was ich im Fußball erreichen kann“, hatte er im August 2024 erklärt. 931 hat er auf dem Konto. Dazu möchte er mit der Nationalmannschaft nach der EM 2024 (kein Tor, Aus im Viertelfinale) gern noch einmal ein Ausrufezeichen setzen.
Und dass er nach wie vor noch gebraucht wird und wichtig ist, zeigte sich erst am Mittwoch wieder – bei der „Seleção“ ist er mit nun sieben Treffern in sieben Spielen bisher bester Torschütze für Portugal in der Nations League. Möge er viele Kritiker haben – rein sportlich gesehen ist zusammen mit dem 23 Jahre alten Gonçalo Ramos der beste portugiesische Mittelstürmer. Kein einziger Landsmann in den Top-10-Ligen Europas erzielte diese Saison mehr als zwölf Ligatreffer. Für al-Nassr erzielte Ronaldo 35 Saisontore, davon 25 in der Liga.
Wer weiß – vielleicht kommt schon am Sonntag ein weiterer Treffer hinzu.
Lars Gartenschläger ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren über die Nationalmannschaft sowie über zahlreiche Fußball-Themen. Bereits mehrfach wohnte er während der Trainingslager der Fußball-Nationalelf im beschaulichen Herzogenaurach.
Julien Wolff ist ebenfalls Sportredakteur. Er berichtet für WELT aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen.
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