Mann? Frau? Der fragwürdige Umgang mit der Geschlechterfrage im Sport
Der Fall Imane Khelif wühlt erneut die Boxwelt auf. Und nicht nur die: Die Debatte um das Geschlecht der algerischen Boxerin, die im vergangenen Jahr die Goldmedaille in Paris gewann, wirkt über das Boxen hinaus. Es geht um Grundsätzliches: Wie umgehen mit intergeschlechtlichen Boxerinnen und Athletinnen, die sich als Frauen verstehen, so wie es Khelif tut, aber Muskeln wie ein Mann haben?
Die Debatte kocht aktuell wieder hoch, weil Olympiasiegerin Khelif, 26, von einem Box-Turnier in den Niederlanden ausgeschlossen wurde. Der verantwortliche Verband World Boxing hatte zuletzt Geschlechtstests eingeführt, dem sich Khelif bislang nicht unterzogen hat.

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Das gefiel nicht jedem. "Die Entscheidung zum Ausschluss von Imane ist nicht unsere. Wir bedauern dies", sagte der Mediendirektor des Turniers, Dirk Renders, der Nachrichtenagentur AP. Der Bürgermeister von Eindhoven äußerte sich ähnlich: "So weit es uns angeht, sind alle Athleten in Eindhoven willkommen. Athleten auf der Basis umstrittener Geschlechtertests auszuschließen, passt nicht dazu", schrieb Eindhovens Bürgermeister Jeroen Dijsselbloem in einem Brief an den niederländischen Box-Verband und den internationalen Verband. Er forderte die Organisatoren auf, Khelif zumindest zu der Veranstaltung einzuladen.
Online-Hass gegen Imane Khelif
Vergangenen Sommer war die Lage für Khelif eine andere. Olympia stand ihr offen. Das lag daran, dass das Internationale Olympische Komitee unter Noch-Präsident Thomas Bach ausnahmsweise für die Austragung des olympischen Boxwettbewerbs verantwortlich war, und nicht ein vom IOC anerkannter Verband. Bach legte fest, dass das im Pass eingetragene Geschlecht maßgeblich ist: "Sie wurde als Frau geboren, ist als Frau aufgewachsen, hat einen Pass als Frau und hat als Frau Wettbewerbe bestritten." Khelif selbst betrachtet sich als Frau, und nicht als Transgender (was sie auch nicht ist), wie sie später betonte.
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Bach verteidigte die Teilnahme der Boxerinnen Khelif und Lin-yu ting aus Taiwan so konsequent, weil die Athletinnen heftigen Anfeindungen in den sozialen Medien ausgesetzt waren. Es schwappte eine Hasswelle durch das Netz, angeführt von Prominenten wie der Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling ("ein Mann, der Frauen schlägt") und dem notorischen Elon Musk. Maßgeblich befeuert wurde die Debatte durch die italienische Boxerin Angela Carini, die in der ersten Runde des Pariser Turniers nach 46 Sekunden gegen Khelif unter Tränen aufgegeben und den Handschlag verweigert hatte. Danach gab es kein Halten mehr, auf beiden Seiten der Argumentationslinie wurden schwere Geschütze aufgefahren. Carini entschuldigte sich später und verteidigte ihre Gegnerin gegen die verbalen Attacken. Es sei alles ein Missverständnis gewesen.
Zum Hintergrund muss man wissen: In der Vergangenheit war der Box-Verband IBA für die Ausrichtung des olympischen Turniers verantwortlich, wurde aber 2019 vom IOC wegen diverser Skandale suspendiert. Das IOC richtete deshalb die Box-Turniere in Tokio und Paris in Eigenregie aus. Wäre die IBA für Paris zuständig gewesen, hätte es den Ärger gar nicht gegeben, weil der Verband seinerseits Khelif 2023 nach einem Geschlechtstest von der WM ausgeschlossen hatte. Doch das IOC vertrat in der Frage eine andere Auffassung und ließ Khelif boxen, obwohl die IBA die Testergebnisse an das IOC weitergegeben hatte.
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Nach dem Aus der IBA ist jetzt World Boxing für das olympische Boxen zuständig. Die Einführung von Geschlechtstest durch den jungen Verband, der erst 2023 gegründet worden ist, kommt einem Schlag in das Gesicht des IOC gleich, dessen Auffassung konterkariert wird. Bei Olympia 2028 in Los Angeles wird Khelif nach aktuellem Stand nicht antreten.
Doch welcher Umgang mit intergeschlechtlichen Athleten ist angemessen? Bislang existieren so gut wie keine Regelungen. Neben World Boxing führt nur der Leichtahtletik-Weltverband IAAF Tests durch. Wird die Grenze von fünf Nanomol Testosteron pro Liter Blut (nmol/L) im Körper überschritten, werden Athletinnen gesperrt. Prominentestes Beispiel ist die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Der Testosteronwert der zweifachen Olympiasiegerin über 800 Meter lag jenseits der Grenze, aber sie weigerte sich, ihn mit Medikamenten zu senken. Seitdem ist sie von Wettbewerben auf ihrer Hausstrecke ausgeschlossen.

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Merkwürdigerweise gilt die IAAF-Regel nur für die Mittelstrecke, weil dort Muskelkraft und eine größere Zahl von roten Blutkörperchen besonders ins Gewicht fielen, argumentiert die IAAF. Der internationale Sportgerichtshof Cas fällte in dem Fall ein vielsagendes Urteil: Mit 2:1-Richterstimmen bestätigte das Gericht zwar die Ansicht Semenyas, dass eine Diskriminierung vorliege, diese sei "aber notwendig, angemessen und verhältnismäßig, um die Integrität der Frauenleichtathletik zu schützen".
Tests sind nicht eindeutig
Bei World Boxing wird hingegen nach dem männlichen Y-Chromosom gefahndet. Wird es festgestellt, werden die Athletinnen gesperrt, so wie jetzt Imane Khelif. Darüber hinaus ist von Geschlechts- oder Hormontest bei anderen Verbänden oder in anderen Sportarten nichts bekannt.
Doch wie aussagekräftig sind die Untersuchungen? Ein grundsätzliches Problem ist, dass Intergeschlechtlichkeit in mehr als 80 unterschiedlichen Formen und Ausprägungen auftritt. "Es gibt nicht die intergeschlechtliche Person. Der Begriff der Intergeschlechtlichkeit beschreibt Menschen mit biologischen Variationen der Geschlechtsentwicklung. Und die sind unglaublich vielfältig und heterogen", sagte der Soziologe Dr. Dennis Krämer der "Sportschau". Fragen nach dem Anteil von Talent, Training, äußeren Bedingungen und soziokulturellen Bedingungen werden durch die Untersuchungen nicht beantwortet. Die Debatte wird weitergehen.
Quellen: "Süddeutsche Zeitung", "Sportschau", NTV, "Spiegel", "Watson", Friedrich Ebert Stiftung, Nachrichtenagentur DPA
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