Fußball-Schiedsrichter im Amateurbereich erleben oft Gewaltsituationen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unterstützt die Unparteiischen mit verschiedenen Maßnahmen und Projekten. Dabei gibt es aber noch einige Probleme, wobei auch die Bundesliga eine Mitschuld hat.

Sie stehen allein auf dem Fußballplatz und müssen in Sekundenschnelle wichtige Entscheidungen treffen – wodurch es regelmäßig hitzig wird. Für Schiedsrichter im Amateurfußball eskaliert die Lage immer öfters. Mal werden sie von Spielern, mal von Trainern oder Zuschauern beleidigt, bedroht oder sogar körperlich angegriffen. Um die Gewalt zu verhindern, hat der Deutsche Fußball-Bund in der vergangenen Saison zwei neue Konzepte gestartet. An der Umsetzung hapert es allerdings noch, das Kernproblem geht sogar tiefer.

Die Kriminologin Thaya Vester forscht zu Gewalt im deutschen Fußball an der Universität Tübingen, sie führt Gewaltsituationen darauf zurück, dass "die Grundaggression höher oder die Zündschnur insgesamt gerade ein bisschen kürzer ist", sagt sie. "Der Fußball ist kein isolierter Gesellschaftsteil." Gewaltpotenziale seien auch im Fußball jederzeit präsent.

Damit Schiedsrichter geschützt werden, hat der DFB seit Jahren zahlreiche Maßnahmen und Projekte gegen Gewalt ins Leben gerufen. Seit der Saison 2024/25 gilt die "Kapitänsregelung", wonach nur Kapitäne mit den Schiedsrichtern diskutieren dürfen. Die Regel wurde erstmals bei der Heim-Europameisterschaft 2024 angewendet - nach viel positiver Zustimmung, setzte sie auch der DFB in allen Spielklassen um. Ebenfalls neu im Amateurfußball ist das "DFB-STOPP-Konzept", was den Schiedsrichtern in hitzigen Situationen eine Beruhigungspause ermöglicht. Per Handzeichen zeigen sie diese Pause an, die Teams müssen dann in ihre jeweiligen Strafräume gehen, bis der Puls wieder etwas heruntergefahren ist. "In der Theorie sind es zwei hervorragende Maßnahmen", sagt die Kriminologin, "die Umsetzung ist aber schwieriger als gedacht."

Schutzkonzepte für Schiedsrichter lückenhaft

Für die Studie hat Vester in der Winterpause tausende Schiedsrichter des Württembergischen Fußballverbands zu der Umsetzung der DFB-Konzepte befragt. Grundsätzlich sieht der Amateurbereich die Konzepte als erfolgreich an. Allerdings berichten die Unparteiischen auch, "dass die Mannschaften nicht so gut über die Konzepte Bescheid wissen", sagt Vester. "Man möchte schnell reagieren und die Streithähne voneinander trennen, damit es nicht weiter eskaliert. Das setzt voraus, dass alle Beteiligten die Konzepte kennen und akzeptieren."

Ein Problem: Die neuen Regeln hat der DFB zu schnell eingeführt. Laut Vester ist nicht die Qualität, sondern die Informationsvermittlung noch eine Herausforderung. Der DFB hat beide Konzepte bundesweit an die Verbände getragen, das der Kapitänsregelung aber erst kurz nachdem die Saison im Juli 2024 gestartet war. Grundsätzlich sei die schnelle Umsetzung zwar positiv - entsprechende Schulungen konnten so aber nicht flächendeckend umgesetzt werden.

Neue Regeln werden teilweise nur als PDF per E-Mail an Vereinsfunktionäre geschickt. Ob sie dann auch bis zu Spielern und Trainern durchdringen, ist fraglich. "Wir müssen dafür sorgen, dass es wirklich auf den Platz kommt und in alle Köpfe", betont Vester. Ansonsten könnten die gut gemeinten Maßnahmen sogar ins Gegenteil kippen: Spieler wundern sich und fühlen sich durch den Schiedsrichter benachteiligt, wodurch die Emotionen noch höher kochen.

Bundesliga als schlechtes Vorbild

Die Kapitänsregel ist durch den Einsatz bei der Europameisterschaft 2024 zwar bekannter, aber auch da hapert es an der Umsetzung. Kapitäne glauben jetzt, sie hätten "ein Beschwerderecht und dass sie durchgehend kommentieren dürfen", sagt Vester. Parallel denken andere Spieler, "sie dürften gar nicht mehr mit dem Schiri sprechen."

Eine große Rolle spiele dabei die Bundesliga: "Der Profibereich ist ein wirklich schlechtes Vorbild", sagt Vester, "es kommen wieder alle auf den Schiedsrichter zu gerannt." Die Regel werde dort nicht mehr eingehalten, was auf Akteure im Amateurfußball abfärbt. Die Folge: Es bilden sich auch bei den Amateuren weiterhin Ansammlungen von Spielern, die den Schiedsrichter zu nah kommen und somit Grenzen überschreiten.

Das Kernproblem beim Gewaltpotenzial geht laut Vester aber noch einen Schritt weiter. Es brauche bei "allen Beteiligten eine deutlich bessere Regelkenntnis", sagt Vester. Aufschreiende Fans, sich beschwerende Spieler sind ein bekanntes Bild bei Fußballspielen auf Amateurplätzen - doch liegt der Schiri tatsächlich immer falsch? "Viele Spieler kennen einfach die Regeln nicht oder nicht so gut, um alle Feinheiten zu beherrschen", sagt Vester. Ihr Lösungsansatz wären Seminare und Fortbildungen für Kapitäne oder Führungsspieler - oder die Bereitstellung eines Fußball-Regelhefts.

Schiedsrichter unter Druck – aber mit Leidenschaft

Es werden oft Entscheidungen getroffen, die sich auf den Ausgang der Spiele auswirken. Jeder Schiedsrichter hat eine große Verantwortung und damit eine anspruchsvolle Aufgabe. Vester stellt jedoch klar, dass jeder Unparteiische diese Aufgabe mit Leidenschaft übernimmt: "Sie machen das, weil es so herausfordernd ist. Man muss kognitiv sehr fit sein. Für jeden Schiri ist das eine unglaubliche Lebensschule. Man entwickelt eine viel stärkere Persönlichkeit."

Sicher ist, dass der Fußball nur mit Schiedsrichtern stattfinden kann. Positiv ist deshalb, dass die zahlreichen Maßnahmen des DFB zur Gewaltprävention langsam Früchte tragen. In der Saison 2023/24 ist die Zahl der Gewaltvorfälle und der Spielabbrüche im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Die aktuelle Tendenz mit den neuen Konzepten geht in eine ähnliche Richtung. Der DFB berichtete 2024 außerdem, dass es zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder mehr Schiedsrichter gab. Demnach steig die Anzahl der Unparteiischen von 2022 auf 2023 um 6,6 Prozent, knapp 60.000 sind es insgesamt. Um den Fußballplatz zu einem sicheren Ort zu machen, liegt die Verantwortung nicht allein beim Schiedsrichter - sondern bei allen, die Teil des Spiels sind.

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