„Für die Niedersachsen-Auswahl war ich zu schlecht“
Die Oklahoma City Thunder sind in den gerade laufenden NBA-Finals gegen die Indiana Pacers der Favorit. Im Team aus dem Mittleren Westen der USA steht Isaiah Hartenstein. Der 27-jährige Center hat die Chance, als zweiter Deutscher nach Dirk Nowitzki in der NBA zu triumphieren. Maxi Kleber stand mit den Dallas Mavericks in der vergangenen Saison in den Finals und verlor gegen die Boston Celtics, zwei Jahre zuvor zog Daniel Theis mit den Celtics gegen die Golden State Warriors den Kürzeren.
Frage: Herr Hartenstein, Sie stehen zum ersten Mal im NBA-Finale. Was würde Ihnen der Titel bedeuten?
Isaiah Hartenstein: Als Jugendspieler habe ich davon geträumt, einmal im NBA-Finale zu stehen. Ich weiß noch, wie ich als Junge nachts vor dem Fernseher saß und Miami gegen Dallas geguckt habe. 2006 und auch 2011, als Dirk Nowitzki den Titel gewann. Auch an das Finale 2013, als Miami die San Antonio Spurs schlug, kann ich mich genau erinnern. Chris Bosh holt den Rebound, und LeBron James verwandelt den Dreier aus der Ecke. Ich habe kaum eine Minute verpasst, obwohl ich eigentlich schlafen und am nächsten Morgen zur Schule gehen musste. Damals habe ich mir bildlich vorgestellt, wie ich selbst eines Tages im NBA-Finale spiele. Jetzt geht mein Kindheitstraum in Erfüllung – unglaublich.
Frage: In Ihrer Karriere gab es viele Höhen, aber auch Tiefen. Spüren Sie Genugtuung?
Hartenstein: Ich sehe es als Belohnung für meinen harten Weg. Ich habe viel geopfert. Früher wurde ich unterschätzt. Kaum jemand hat mir eine große Karriere zugetraut. Mit 14 oder 15 war ich sogar für die Niedersachsen-Auswahl zu schlecht und wurde nicht nominiert. Auch für die Junioren-Nationalmannschaften war ich lange kein Kandidat. Ein Auswahltrainer sagte mal zu mir, er glaube nicht, dass ich das Zeug zum Profi habe. Das hat mich aber nur noch mehr angespornt.
Frage: Wie genau?
Hartenstein: In Quakenbrück haben sie mir einen Schlüssel für die Halle gegeben. Ich war jeden Tag dort, um allein zu trainieren. Vor und nach der Schule. Ich habe immer mehr gemacht als die anderen. Das hat sich ausgezahlt. Zum Glück hatte ich meinen Vater, der bei den Artland Dragons mein Jugendtrainer war und immer an mich geglaubt hat. Er wusste, wie gut ich werden kann und hat mich immer gefördert – und gefordert.
Frage: Was genau hat er Ihnen beigebracht?
Hartenstein: Er hat mich zu einem kompletten Spieler gemacht. Teilweise hat er mir bei Spielen aufgetragen, in einem bestimmten Viertel nicht selbst auf den Korb zu werfen, sondern nur zu passen. Davon profitiere ich heute.
Frage: Mit 17 Jahren wechselten Sie zum litauischen Spitzenklub Zalgiris Kaunas. Bestand in Deutschland kein Interesse?
Hartenstein: Damals bekamen junge deutsche Spieler kaum Spielzeit in der BBL. Kaunas war der richtige Schritt, um mich weiterzuentwickeln.
Frage: Ein Jahr später ging es zu den Houston Rockets in die NBA. Doch dort war der Start schwierig …
Hartenstein: Houston hat mich damals ins Farmteam geschickt, mit dem ich 2019 das G-League-Finale erreichte. Trotzdem hielt man mich nicht für NBA-tauglich. Jetzt stehe ich im NBA-Finale und habe bewiesen, dass ich ein Topspieler bin. Das macht mich stolz.
Frage: Im Sommer wechselten Sie von den New York Knicks zu OKC. Haben Sie damals schon an den Titel gedacht?
Hartenstein: Klar. Ich hatte mehrere Angebote – auch, bei den New York Knicks zu verlängern. Aber die Möglichkeit, die Meisterschaft zu gewinnen, sprach für OKC. Es ist beeindruckend, wie Sam Presti diese Organisation leitet. Natürlich hat auch das Geld eine Rolle gespielt (Dreijahresvertrag über umgerechnet 81 Millionen Euro, die Redaktion). Aber der Hauptgrund war die Titelchance. Außerdem wusste ich, dass ich OKC wirklich helfen kann. Ich bringe viel Physis mit, kann aber auch passen und bin vielseitig.
Frage: Wie viel Prozent bei Ihnen sind Talent, wie viel Arbeit?
Hartenstein: Ich bin 2,13 Meter groß. Das ist schon mal Glück für einen Basketballer. Und ich kann mich gut bewegen, das ist Talent. Aber 70 Prozent sind harte Arbeit. Viele Jugendspieler können von meinem Weg lernen. Wenn keiner an dich glaubt, musst du umso härter arbeiten. Wenn du konstant mehr machst als alle anderen, zahlt sich das aus. Nicht in ein oder zwei Jahren, aber in drei oder vier.
Frage: Im Finale gegen Indiana sind Sie Favorit. Belastet Sie das?
Hartenstein: Gar nicht. Unser Trainer sagt vor jedem Spiel: Let’s go hunt! Lasst uns jagen! Wir verstehen uns als Jäger, nicht als die Gejagten.
Frage: Worauf kommt es im Finale an?
Hartenstein: Die Pacers spielen sehr schnell und setzen auf eine große Rotation mit zehn Spielern. Das ist sehr ähnlich zu uns. Tyrese Haliburton spielt sehr gute Play-offs. Aber wir sind stark genug, sie zu schlagen.
Frage: Sie wirken immer sehr ruhig. Ist das Ihr Naturell?
Hartenstein: Das war nicht immer so. Früher war ich nicht so ruhig, aber ich habe viel an meiner mentalen Stärke gearbeitet. Das hat ein paar Jahre gedauert. Ich habe viele Bücher zu dem Thema gelesen. Eines, was mir sehr geholfen hat, ist „The obstacle is the way“ („Das Hindernis ist der Weg“) von Ryan Holiday.
Frage: Haben Sie ein Ritual vor Spielen?
Hartenstein: Ja, ich meditiere vor jedem Spiel. Außerdem stelle ich mir bestimmte Spielsituationen bildlich vor. Und ich höre Musik von dem deutschen Rapper Billa Joe, mit dem ich befreundet bin. Meistens läuft das Lied „Inner peace“.
Frage: Sie können nach Nowitzki der zweite deutsche NBA-Champion werden. Nowitzki verbot im Finale 2011 seinem Vater Jörg aus Aberglaube, vor Ort zu sein. Wie ist das bei Ihnen?
Hartenstein: Natürlich ist mein Vater vor Ort. Meine Eltern sind ja sogar meinetwegen nach Oklahoma City gezogen. Als es bei mir in der NBA nicht so gut lief, hat er seinen Job in Deutschland aufgegeben und ist nach Amerika gekommen, um für mich da zu sein. Ohne ihn stünde ich nicht im NBA-Finale. Im Training nutze ich ihn oft als Verteidiger. Er kann sich immer noch gut bewegen. Ein Finale ohne ihn kann ich mir nicht vorstellen.
Frage: Wie feiern Sie, falls Sie NBA-Meister werden?
Hartenstein: Mir wurde gesagt, dass jeder Spieler den Pokal eine Woche lang bekommt. Also: Wenn wir gewinnen, komme ich mit dem Pokal nach Ulm und zeige ihn dort auf dem Ihart-Festival am 3. August. Das wäre eine coole Sache.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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