Er hat einen der schwierigsten Jobs im deutschen Fußball übernommen: Frank Baumann. Im Interview erklärt der neue Sportvorstand des FC Schalke 04, wen er vor seinem Amtsantritt um Ratschläge bat, warum ihn die Kindheitsgeschichte vom neuen Trainer beeindruckte und wie er mit den Leistungsträgern plant.

Frage: Herr Baumann, lange Zeit teilten sich die Vorstandsmitglieder auf Schalke die Büroräume, um den Austausch zu fördern. Haben Sie ein eigenes Büro bekommen?

Frank Baumann: Ja, ich habe mein eigenes, kleines Büro bezogen. Der Austausch von Büro zu Büro läuft, und langsam nimmt der Raum Konturen an. Zuletzt wurde ein großes Bild der Veltins-Arena aufgehängt, es wird langsam wohnlich.

Frage: Wie viele Anrufe kostet Sie Schalke pro Tag?

Baumann: Das sind schon viele. Ich hatte einen Vorteil: Dass ich acht Wochen vor meinem Amtsantritt schon für den Klub gearbeitet habe und damals noch gependelt bin. Ich war zwei, drei Tage pro Woche in Gelsenkirchen, den Rest in Bremen. Insofern saß ich viele Stunden im Auto und konnte bereits wichtige Telefonate führen.

Frage: Mit wem haben Sie gesprochen?

Baumann: Natürlich mit vielen Beratern. Es haben sich auch viele Personen bei mir gemeldet, die gern einen Job auf Schalke bekommen würden. Und ich habe viele Menschen angerufen, die hier schon gearbeitet haben, um mir einen besseren Eindruck zu verschaffen.

Frage: Zum Beispiel?

Baumann: Unter anderem Peter Knäbel und Rouven Schröder, die hier ja in einer ganz schwierigen Phase gearbeitet haben. Ich wollte wissen, wie sie die Vo­raussetzungen einschätzen, wie gewisse Abläufe sind. Als die beiden ihren Job nach dem ersten Abstieg hier angetreten haben (2021, die Redaktion), war die Ungewissheit noch viel größer als heute. Jetzt bin ich der Meinung, dass der Verein zwar sportlich einen Tiefpunkt erreicht hat, die Voraussetzungen aber gegeben sind, um etwas aufzubauen. Auch wenn nicht alles von heute auf morgen funktionieren kann.

Frage: Sie sagten, dass Sie längst nicht jedem Klub zugesagt hätten und dass Schalke eine Ausnahme war. Heißt: Bayern und Dortmund hätten sie im Gegensatz zu Schalke abgesagt?

Baumann: Ja, das wäre so passiert (schmunzelt). Wahrscheinlich hätten die beiden Vereine mich aber gar nicht gefragt, weil sie sehr gut besetzt sind. Ich war nicht aktiv auf der Suche nach einem neuen Job. Meine Tendenz war so, dass ich eher keinen Klub mehr übernehmen wollte. Dann habe ich häufiger gehört, dass andere die Herausforderung auf Schalke als zu groß erachtet haben – und genau das war der Reiz für mich.

Frage: Wo waren Sie, als der erste Anruf von S04 kam?

Baumann: Der erste Anruf kam von der Agentur, die mit der Suche beauftragt war. Bernhard Peters (Ex-Hockey-Bundestrainer und Direktor Sport beim HSV, die Redaktion) rief mich im November an. Da war ich zu Hause.

Frage: Ihr erster Gedanke?

Baumann: Sehr spannend! Aber der falsche Moment. Schalke hat den neuen Vorstand zunächst für Januar gesucht. Und für mich war klar, dass ich bis Sommer eine Auszeit nehmen möchte. Ich habe in dem Gespräch aber gesagt: Wenn sie für Januar keinen anderen Kandidaten finden, können sie sich gern noch mal im Frühjahr melden. Im Februar klingelte mein Handy dann wieder.

Frage: Was haben Sie während Ihrer einjährigen Auszeit gemacht?

Baumann: Eigentlich war es mein Ziel, wieder eine sportliche Herausforderung für mich selbst zu finden. Während meiner Auszeit 2015/16 habe ich mir als Ziel gesetzt, einen Marathon zu laufen – was ich dann auch geschafft habe. Im vergangenen Jahr habe ich leider kein passendes Ziel gefunden, auch weil meine Hüfte solch lange Strecken nicht mehr mitmacht. Ich hatte also viel Zeit für meine Familie, wir waren ein paarmal im Urlaub, und ich habe viel reflektiert, was in den vergangenen Jahren passiert ist.

Frage: Wie haben Sie das gemacht?

Baumann: Ich habe mir einfach viele Gedanken gemacht und mich unter anderem mit einer Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung intensiver ausgetauscht.

Frage: Sie sagten bei Ihrer Vorstellung, dass man auf Schalke weniger quatschen, dafür mehr arbeiten müsse. Wird hier zu viel geredet?

Baumann: Ich habe in meinen Gesprächen vorab immer wieder gehört, dass die Schalke-Fans es nicht mehr hören können, wenn man irgendwelche Saisonziele oder Zwei- oder Dreijahrespläne ausgibt. Das kann ich nachvollziehen, das meinte ich mit meiner Aussage. Wir müssen uns auf den Kern fokussieren und auf Störgeräusche nicht mehr so sehr reagieren. Auch wenn auf Schalke deutlich schneller alles schwarz oder weiß gesehen wird, dürfen wir uns davon nicht ablenken lassen. Weder in Phasen, in denen es schlecht läuft, noch in den guten.

Frage: Mit Miron Muslic haben Sie einen neuen Trainer gefunden, den fast alle Fans erst mal googeln mussten. Was ist Ihnen am meisten hängen geblieben aus den Vertragsgesprächen?

Baumann: Seine Kindheitsgeschichte, die er mir erzählt und gezeigt hat. Miron ist mit seiner Familie als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach Innsbruck gekommen. Er hat mir von der ersten Wohnung erzählt, in der damals Kakerlaken durch die Räume gelaufen sind. Die Familie musste aus beruflichen Gründen oft umziehen, Miron besuchte immer wieder neue Schulen und musste sich anpassen. Als Flüchtlingskind wurde ihm immer wieder eine gewisse Skepsis entgegengebracht, er musste immer wieder das Vertrauen gewinnen. Das hat ihn auf sehr positive Art geprägt. Er bringt allen Menschen sehr viel Respekt entgegen, das habe ich an dem Tag mit ihm in Innsbruck auch gespürt.

Frage: Wie denn?

Baumann: Wir sind durch die Stadt gelaufen und dann in ein Restaurant gegangen. Wie er mit den Menschen, mit den Kellnern umgeht, das hat mir imponiert. Man spürt, dass er mit viel Demut an die Sache herangeht – und sehr hart arbeiten kann. Das hat er von seinen Eltern mitbekommen.

Frage: Ist seine Verpflichtung die Ansage an die Mannschaft: „Jetzt wird gelaufen!“?

Baumann: Ich will nicht sagen, dass die Mannschaft nicht gelaufen ist. Aber klar ist: Wir können und müssen nicht einen, sondern mehrere Gänge hochschalten und werden von der Mannschaft viel fordern. Es geht nur gemeinsam vorwärts. Jeder auf dem Platz muss wissen, was der andere macht. Die Spieler müssen sich aufeinander verlassen können. Dann können wir deutlich intensiver spielen und den Gegner stressen.

Frage: Können Sie eine Enttäuschung bei den Fans verstehen, dass kein prominenterer Trainer gekommen ist? Der Name von Raúl geisterte lange durch Gelsenkirchen …

Baumann: Wir haben uns zunächst mit dem Fußball beschäftigt, den wir spielen lassen wollen, und danach haben wir den Trainer ausgesucht. Da haben andere Kandidaten einfach besser gepasst als Raúl, der mit Sicherheit ein guter Trainer ist. Für uns ging es nicht darum, einen Trainer zu holen, der den größten Applaus bringt – sondern den größten Erfolg. Miron hat uns im Gesamtpaket am meisten überzeugt.

Frage: Noch mehr als Lukas Kwasniok, der jetzt von Paderborn nach Köln ging?

Baumann: Ja. Lukas Kwasniok war einer der Kandidaten und ist ein sehr guter Trainer. Aber Miron hat uns am meisten überzeugt.

Frage: Wir haben ein paar Ja-oder-Nein-Aussagen für Sie mitgebracht.

Baumann: Ich bin gespannt.

Frage: Loris Karius geht als klare Nummer eins in die neue Saison.

Baumann: Ja.

Frage: Moussa Sylla und Taylan Bulut sollen beide verkauft werden.

Baumann: Nein.

Frage: Da muss eine Nachfrage gestattet sein: Wie planen sie?

Baumann: Aufgrund der wirtschaftlichen Situation werden wir wahrscheinlich einen der beiden Spieler verkaufen, passende Angebote vorausgesetzt. Wir haben bereits andere Spieler abgegeben und werden im Laufe der Transferphase sehen, wann wir den passenden Betrag zur Erfüllung der Eigenkapitalauflage eingenommen haben. Ist das der Fall, könnte einer der beiden bleiben.

Frage: Kenan Karaman soll Kapitän bleiben.

Baumann: Das ist die Entscheidung des Trainers. Aus meiner Sicht spricht überhaupt nichts dagegen – und wahrscheinlich wird es auch so kommen.

Frage: Schalke wird in der kommenden Saison eher 4:3 als 1:0 gewinnen.

Baumann: Ja.

Frage: Schalke wird in der kommenden Saison einen Kader haben, der aufsteigen kann.

Baumann: Darf ich einen Joker ziehen?

Frage: Warum?

Baumann: Ich habe ja schon anklingen lassen, dass ich in unserer Situation von langfristigen Plänen kein Freund bin. In der aktuellen Lage von Schalke ist es nicht angebracht, hohe Ziele zu formulieren. Bei uns geht es nicht von Spiel zu Spiel, sondern von Trainingseinheit zu Trainingseinheit.

Frage: Wie lange dauert es, bis der Kader wirklich Ihre Handschrift trägt?

Baumann: Ich bin davon überzeugt, dass die Mannschaft schon in diesem Sommer ein neues Gesicht bekommen wird. Aber es geht nicht darum, die besten Einzelspieler zu finden, sondern ein Team zusammenzustellen, das am besten zusammenpasst. Daran arbeiten Ben (Manga, Sportdirektor, die Redaktion), Youri (Mulder, Direktor Profifußball, die Redaktion), Miron und ich auch als Team gemeinsam – das ist mir wichtig. Das kann zwei bis drei Transferphasen dauern. Ich bin sicher – und da sind wir bei dem Punkt von eben: Wir können uns Stück für Stück einen Kader zusammenstellen, der irgendwann um den Aufstieg mitspielen kann.

Frage: Sie haben einen Fünfjahresvertrag unterschrieben. Wann würden Sie sagen, dass die Zeit auf Schalke erfolgreich war?

Baumann: Wenn ich den Vertrag erfülle, hätten wir nicht ganz so viel verkehrt gemacht (lacht). Für mich ist es immer wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, den Klub zu verlassen. Das habe ich bei Werder auch so gemacht. Und für mich gilt hier wie in Bremen: Der Verein muss wirtschaftlich, sportlich, personell und infrastrukturell sehr gut für die Zukunft aufgestellt sein. Diese Strukturen werden wir gemeinsam schaffen. Das ist mein Ziel.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) geführt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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