Hertha 03 Zehlendorf hat noch immer einen klangvollen Namen im deutschen Fußball. Der Klub aus dem Südwesten Berlins galt einst als Verein mit einer der besten Nachwuchsschmieden Deutschlands. Nationalspieler wie Christian Ziege, Maximilian Mittelstädt, Antonio Rüdiger, Carsten Ramelow oder Pierre Littbarski haben hier das Fußballspielen gelernt. Aktuell spielen in den höchsten drei deutschen Ligen 27 Spieler aus der Zehlendorfer Jugend.

Im vergangenen Sommer kehrte der Klub in die Regionalliga zurück und sicherte sich souverän den Klassenerhalt. Vereinspräsident Kamyar Niroumand sammelte in der vierthöchsten Spielklasse viele interessante Erfahrungen.

WELT: Die Premieren-Saison in der Regionalliga Nordost – war das mehr Lust oder Frust?

Kamyar Niroumand: Sportlich auf jeden Fall mehr Lust, weil das schon eine sehr interessante Liga mit vielen Zuschauern ist. Es ist schon ein besonderer Wettbewerb mit vielen Traditionsklubs. Die Spiele werden live im Fernsehen übertragen. Die Lust war auf jeden Fall viel größer. Das ist schon cool, wenn Lok Leipzig, Erfurt und Zwickau kommen. Oder wenn du nach Jena fährst und in so einem schönen Stadion vor so vielen Fans spielst.

WELT: Es gab aber auch eine Menge Frust.

Niroumand: Ja. Wir konnten nicht in unserem Stadion spielen, mussten ausweichen, weil der sogenannte Käfig für die Gästefans fehlt. Das ist auch eine lächerliche Nummer, seit 18 Monaten sind die Gelder dafür da, es ist alles genehmigt. Aber ein Amt blockt hier in Berlin das andere Amt. Bauamt, Grünflächenamt, Sportamt – da ist keiner, der sagt, ich möchte es jetzt durchziehen, und ich rede mit den Leuten. Wenn du sechs Leute anschreibst, bekommst du fünf Abwesenheitsnotizen als Antwort. Wir fühlen keine Unterstützung.

WELT: Sie mussten Ihre sportliche Heimat verlassen. Wie hoch war der finanzielle Mehraufwand?

Niroumand: Wir hatten in der gesamten Saison nicht einen Vorfall, haben aber trotzdem die hohen Auflagen durch den Verband. Wir haben einen Mehraufwand von 60.000 Euro, das sind etwa 15 Prozent unseres Etats. Dazu kommen noch die Ausfälle bei der Vereinsgastronomie, der Pächter zahlt weniger, wenn die Männer nicht bei uns spielen. Es gibt die Sicherheitsstufen rot, orange und grün. Die grünen Spiele müssten im eigentlichen Heimstadion des jeweiligen Klubs stattfinden dürfen. Das Spiel gegen Viktoria etwa durften wir in der Regionalliga nicht bei uns spielen, in der Oberliga wäre es in Ordnung gewesen.

WELT: Nicht der einzige Punkt, der Sie geärgert hat. Sie haben mit klaren Worten zu Spielerberatern für Aufsehen gesorgt.

Niroumand: Das war nötig, ich habe auch viel Zuspruch erfahren. Inzwischen sind so viele Möchtegern-Berater unterwegs, die selbst nur Landesliga oder Oberliga gespielt haben. Ich konnte mir das nicht vorstellen, dass alle Spieler von uns und auch fast alle Spieler der anderen Vereine inzwischen einen Berater haben. In der Regionalliga. Es gibt keinen einzigen, der keinen Berater hat.

WELT: Ihre Spieler sind doch aber Amateure.

Niroumand: Richtig. Ich sage immer, dass wir als Zwölfter in der Regionalliga Meister der Amateure geworden sind. Aber auch unsere Spieler legen ihr Schicksal in die Hände eines Beraters. Die schalten ihren Kopf nicht mehr ein. Dann kommt ein Berater und sagt: Wenn du mit mir einen Vertrag abschließt, besorge ich dir einen Profiverein.

WELT: Und funktioniert das?

Niroumand: Der Berater schleppt ihn dann zu einem Probetraining bei einem Profiverein. Das schaffst du mit ein paar Kontakten immer. Die spielen dann da ein, zwei Tage, und dann kündigen sie bei uns. Danach landen sie aber bei Klubs, die in der Regionalliga sogar noch hinter uns gelandet sind.

WELT: Wie läuft das mit den Beratern und den Spielern ab?

Niroumand: Ich habe noch nie einen Berater bei uns beim Training oder den Spielen gesehen. Wahrscheinlich hören sie, wer noch ohne Vertrag ist oder gehen die Liste bei transfermarkt.de durch und dann rufen sie den Spielern an und sagen: Du bist ein sensationeller Fußballer. Ich habe dich beobachtet, du könntest in der dritten Liga, in der zweiten Liga spielen.

WELT: Können Sie dagegen etwas unternehmen?

Niroumand: Die Berater treten direkt an die Spieler heran, gehen nicht über den Verein. Wir gehen auf unsere Spieler zu, und die antworten: Rede mit meinem Berater. Ich sage dann: Ich kenne dich seit 15 Jahren. Du bist bei uns im Klub groß geworden. Du vertraust einem Berater mehr als mir? Die Berater machen die Spieler verrückt. Einer unserer besten Spieler der vergangenen Saison ist 19 Jahre alt. Er hatte nicht mal eine Gelbe Karte gesehen. Dann sagt ihm sein Berater im März: Du musst dich mehr zeigen, wenn du zu einem Profiklub willst. Auf einmal sieht er in zwei Spielen nacheinander Gelb-Rot. Und danach ruft mich der Berater an und sagt: Jetzt ist er ja nächste Woche gesperrt. Kann er mal zum Probetraining nach Schalke?

WELT: Auch Hertha Zehlendorf sichtet mit Probetrainings.

Niroumand: Nach 14 Abgängen brauchten wir einen neuen Kader. Unser neuer Trainer hat Probetrainings angeboten. In vier Einheiten waren 180 Spieler aus ganz Europa da, jeder mit einem Berater.

WELT: Von welchen Summen reden wir?

Niroumand: Maximal 1000 Euro verdient ein Berater an so einem Wechsel in der Regionalliga. Wahrscheinlicher sind 300 oder 400 Euro. Trotzdem versprechen sie den Spielern das Blaue vom Himmel und nehmen keine Rücksicht auf die sportliche, schulische und persönliche Entwicklung der Jungs. Wir haben 19-Jährige, die hier in Zehlendorf aufgewachsen sind, mit dem Jurastudium angefangen haben und das alles aufgeben, weil sie wegen etwas mehr Geld nach innerhalb unserer Liga wechseln. Die hören mit dem Studium oder der Ausbildung auf. Wo ist denn da die Sinnhaftigkeit? Und dann gibt es sogar noch Berater mit Doppelfunktion.

WELT: Erzählen Sie.

Niroumand: Diese Berater haben teilweise auch Funktionen in den anderen Vereinen. Da ist ein Berater gleichzeitig Sportdirektor bei einem Klub in der Regionalliga und schleppt alle Spieler, die er unter Vertrag hat, zu seinem Klub. Die Spieler wissen meistens nicht, dass er auch gleichzeitig Sportdirektor da ist. Überall würde man da von einem Compliance-Problem sprechen.

WELT: Moralisch verwerflich ist auch das Abwerben von Jugendlichen. Ab welchem Alter geht es los?

Niroumand: Wir geben jedes Jahr 15 bis 20 Spieler an Nachwuchsleistungszentren ab. Wir hatten sogar einen Fall eines Spielers aus der D-Jugend.

WELT: Das sind elf- bis zwölfjährige Kinder.

Niroumand: Ja. Wir hatten einen Topspieler, der ist mit seinen Eltern aus Syrien nach Berlin gekommen. Er ist mit unserer D-Jugend Berliner Meister und Pokalsieger geworden. Der ist natürlich aufgefallen, und dann hat er einen Berater gehabt. Ein Berater oder ein Scout hat den Eltern erzählt, dass der Junge Profi werden und viel Geld erspielen kann. Er hat den Jungen nach Leipzig zu RB geschleppt. Der Kleine war da todunglücklich, er hat seine Eltern vermisst, geheult und konnte da nicht mehr bleiben. Das war nicht zum Aushalten. Jetzt ist er wieder zurück bei seiner Familie in Berlin. Leider denken viele Eltern so, beim Sport setzt manchmal das Gehirn aus.

WELT: Und bei den Spielern auch?

Niroumand: Es ist wichtig, dass die Spieler merken, dass sie etwas dazuverdienen können. Wir haben einem Spieler 700 Euro geboten, da sagt der Berater: davon kann er aber nicht leben. Stimmt, er kann aber auch nicht von 1200 Euro leben. Der Junge muss doch parallel arbeiten können, das bieten wir unseren Spielern. Und seriöse Berater würden genau das unterstützen.

WELT: Wie können Sie sich als Verein gegen die unseriösen Berater wehren?

Niroumand: Viele Klubs haben die Nase voll. Das sind Gelder, die man viel sinnvoller investieren könnte. Wenn die Vereine sich nicht zusammentun, haben wir keine Chance. Wir müssen die jetzt auch bezahlen, wenn wir einen Spieler holen – jeder Berater will Geld haben. Nach meinem Aufruf haben sich viele Klubs gemeldet, die das genauso sehen. Aber solange es Menschen in Doppelpositionen gibt, die Spielerberater und beim Verein angestellt sind, wird es schwierig.

WELT: Haben Sie denn auch gute Erfahrungen gemacht?

Niroumand: Ich habe nichts gegen seriöse Berater, die im Sinne der Spieler, der Vereine und einer gesunden sportlichen Entwicklung handeln. Ein guter Berater sollte das Ziel haben, seinen Klienten in den Profifußball zu bringen und nicht von einem Verein zum anderen zu verschieben, um schnell Geld zu verdienen. Das würde wohl 90 Prozent der aktuellen Berater in der Regionalliga überflüssig machen.

WELT: Zehlendorf tritt aber trotzdem kommende Saison in der Regionalliga an?

Niroumand: Na klar. Dafür macht die Liga viel zu viel Spaß. Wir wollen unseren jungen Spielern diese Plattform und unseren Jugendspielern diese Perspektive bieten. Wir werden unserem Konzept treu bleiben, junge Leute sportlich und menschlich weiterzuentwickeln.

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