Vor dem Zehn-Millionen-Dollar-Spiel für Borussia Dortmund sind sie beim BVB recht entspannt. Was soll in der Gluthitze von Cincinnati an diesem Mittwoch (21.00 Uhr/Pro7 und DAZN) gegen die bereits gescheiterten Südkoreaner von Ulsan HD auch schon schiefgehen?

Die Dortmunder sind mit vier Punkten in einer richtig guten Ausgangsposition und haben alle Möglichkeiten, an diesem Abend im letzten Gruppenspiel gegen den noch punktlosen Tabellenletzten das Weiterkommen perfekt zu machen.

Um den fest eingeplanten Achtelfinaleinzug zu realisieren, benötigt die Borussia nur einen Zähler. Doch die sportliche Führungsriege um Sportdirektor Sebastian Kehl fordert gegen den Underdog mehr: Einen Sieg als Fingerzeig und fürs Konto. Das bringe ein bisschen Selbstvertrauen und auch „ein klein bisschen mehr Geld“, so Sportdirektor Sebastian Kehl.

30 Millionen Dollar hat der Bundesliga-Vierte inklusive Startgeld bislang eingenommen. Mit einem Sieg gegen Ulsan würde diese Summe auf knapp 40 Millionen Dollar anwachsen. Für jeden Sieg in der Vorrunde gibt es von der Fifa zwei Millionen und für das Erreichen des Achtelfinals noch mal 7,5 Millionen Dollar. Ein Betrag, der auch Hans-Joachim Watzke die Sache noch mehr versüßen würde. Der BVB-Chef ist Fan der Klub-WM, das Interview mit ihm wurde in Fort Lauderdale geführt. Er lud ins Mannschaftshotel „Four Seasons“ der Dortmunder ein.

Frage: Herr Watzke, mit der Verpflichtung von Jobe Bellingham gelang dem BVB zuletzt ein Coup – den Sie am Ende durch Ihren Besuch bei Bellingham festzurren konnten. Hat der Transfer gezeigt: Ohne Hans-Joachim Watzke geht es beim BVB nicht?

Hans-Joachim Watzke: Das will ich so nicht sagen. Aber ich bin ehrlich: Genau so habe ich mir meine Rolle vorgestellt, als ich die Sportverantwortung abgegeben habe. Ich kann dem Klub dann dienen, wenn er das Gefühl hat, dass es notwendig ist. In dem Moment war es so, dass mir zugetragen wurde, dass es gut wäre, wenn ich mit Jobe sprechen würde. Ich kenne die Familie schon länger und ihn, seit er ein kleiner Junge war. Ich habe mit Lars Ricken dann besprochen, was er von der Idee hält. Er sagte: „Mach das, bitte!“ Der BVB ist mein Verein. Und wenn ich helfen kann, mache ich das natürlich.

Frage: Haben Sie sich wie in einem Mafia-Film gefühlt, als Sie mit Sonnenbrille und Hut ins Hotel gelaufen sind?

Watzke: Es war schon speziell. Sunderland war gerade aufgestiegen, und als wir am Mannschaftshotel angekommen sind, standen sehr viele Fans vor dem Eingang. Ich hatte den Eindruck, die meisten hatten sehr wenig geschlafen und sehr viel getrunken. Ich wollte einfach nicht erkannt werden, deshalb habe ich das gemacht.

Frage: Was haben Sie Jobe Bellingham in dem Gespräch gesagt?

Watzke: Wir haben darüber gesprochen, was der richtige Weg für ihn ist. Er hatte vielleicht Sorge, zu sehr mit seinem Bruder verglichen zu werden. Ich habe ihm gesagt, dass man selbst den richtigen Weg gehen muss, unabhängig davon, wer ihn vorher schon gegangen ist. Das war der Kern eines sehr langen und sehr vertrauensvollen Gesprächs. Jobe sagte im Nachgang ja, dass die Worte gewirkt haben. Das hat mich sehr gefreut.

Frage: Hat er Sie dann eine Woche später angerufen, um mitzuteilen, dass er sich für den BVB entschieden hat?

Watzke: Ja, das stimmt. Ich weiß auch noch genau, wo ich in dem Moment war: im Auto auf der B1, Höhe Westfalen-Tower. Es hat mich riesig gefreut.

Frage: Wäre es für Dortmund ein Image-Schaden gewesen, wenn er sich für Frankfurt entschieden hätte?

Watzke: Man muss zunächst einmal sagen: Eintracht genießt eine riesige Wertschätzung bei mir, sie haben ihre Arbeit in den vergangenen Jahren richtig gut gemacht. Aber ich glaube nicht, dass Jobe Bellingham auch nur einen Tag vergessen hatte, wer der größere Klub ist. Und wer der erfolgreichere in den letzten Jahren war.

Frage: Sie sind gut mit Frankfurts Vorstand Axel Hellmann befreundet. Hat er Ihnen gratuliert?

Watzke: Ja. Wir haben aber sogar in der Zwischenphase gesprochen. Drei Tage nachdem ich bei Jobe war, hatte ich ein Mittagessen mit Axel. Nach dem Treffen hatte ich das Gefühl, es könnte klappen.

Frage: Wir sitzen hier in Fort Lauderdale, bestenfalls dauert die USA-Reise mehr als vier Wochen. Denken Sie in diesen Tagen gelegentlich darüber nach, dass es die letzte große BVB-Reise für Sie sein könnte?

Watzke: Höchstens, wenn mir in den nächsten Monaten etwas zustoßen würde, könnte man das sagen. Ansonsten geht mir das überhaupt nicht durch den Kopf. Wir spielen ja in der ­kommenden Saison in der Champions League …

Frage: Die Frage spielte natürlich darauf an, dass Ihr Plan, im November Präsident zu werden, in Gefahr geraten ist. Reinhold Lunow, der jetzige Amtsinhaber, will nun doch weitermachen – und Sie somit aus dem Klub drängen. Kann der Machtkampf zur Zerreißprobe für den BVB werden?

Watzke: Das kann passieren. Dass so etwas nicht gut ist, darüber brauchen wir nicht zu reden. Ich muss nun in den nächsten Wochen für mich entscheiden – und diese Entscheidungen kann mir auch keiner abnehmen –, was besser ist für den BVB.

Frage: Was meinen Sie damit genau?

Watzke: Eine Zerreißprobe in Kauf zu nehmen, um des Weges willen. Oder zu sagen, dass man darauf verzichtet. Wenn sich aber die beiden wichtigsten Kontrollgremien des Vereins, der Ältestenrat und der Wirtschaftsrat, einstimmig dafür aussprechen, dass ich kandidieren soll, bin ich mir der Tragweite zumindest durchaus bewusst. Und das nehme ich dann sehr ernst. Ich werde mich im Sinne von Borussia Dortmund entscheiden.

Frage: Dass Sie als Vorsitzender der Geschäftsführung weitermachen, ist ausgeschlossen?

Watzke: Ja.

Frage: Glauben Sie, dass es dem Klub schaden würde, wenn sich Reinhold Lunow durchsetzen würde?

Watzke: Das will ich nicht beurteilen, weil ich seine konkreten Ideen nicht kenne. Ich hatte bis auf die letzten Wochen immer das Gefühl, dass wir sehr ähnliche Wege verfolgt haben, schließlich habe ich ihn ja vor 20 Jahren als Schatzmeister – also meinen Nachfolger im eingetragenen Verein – vorgeschlagen.

Frage: Ihnen war es stets wichtig, den Klub in einem gesunden Zustand zu übergeben, wenn Sie aus der Geschäftsführung ausscheiden.

Watzke: Ja, und das werde ich auch schaffen. Wir haben eine intakte Geschäftsführung mit sehr fähigen Personen. Und ich bin sehr stolz, den BVB so zu übergeben, weil ich glaube, dass wir in unserer Vereinsgeschichte zuletzt zwanzig Jahre lang die größte Kontinuität hatten, die der Klub jemals erlebt hat. Wir haben nun zehnmal in Serie die Champions League erreicht, das haben neben uns nur sechs weitere Vereine in Europa geschafft. Hinzu kommt die soziale Komponente, die wir immer gelebt haben. Wenn du in Corona-Zeiten von den mehr als 1000 Mitarbeitern keinen entlässt, keinen Einzigen in Kurzarbeit schickst und dem Staat keinen Cent aufbürdest, ist das für mich gelebte soziale Verantwortung als Unternehmer. Dazu haben wir mit dem BVB Maßstäbe im Bereich des sozialen Engagements gesetzt. Unser Engagement für ein demokratisches Miteinander und unser Kampf gegen Antisemitismus sind beispielhaft im Weltfußball. Als uns die Vereinten Nationen kürzlich baten, unser Engagement im historischen UN-Hauptquartier vorzustellen, war ich sehr, sehr stolz auf das, was wir in diesem Bereich mit dem BVB geschaffen haben.

Frage: Ist ein Leben ohne BVB-Amt für Sie überhaupt vorstellbar?

Watzke: Natürlich ist das vorstellbar. Ich würde trotzdem die BVB-Spiele weiterhin anschauen. Im Ernst: Der BVB ist mein Verein. Und ich werde nie etwas anderes machen.

Frage: Hatten Sie während Ihrer Laufbahn mal Angebote von anderen Klubs?

Watzke: Ja, die gab es. Sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland. Aber das war für mich nie ein Thema.

Frage: Können Sie verraten, von welchen Vereinen?

Watzke: Klar, könnte ich, will ich aber nicht. (lacht)

Frage: Ist der BVB noch die zweitstärkste Kraft in Deutschland hinter dem FC Bayern?

Watzke: National bezogen auf den Sport derzeit nicht, was die Strahlkraft angeht: selbstverständlich. Da sind wir bei allen Parametern die Nummer zwei, sportlich hingegen haben wir Platz zwei zuletzt leider an Bayer Leverkusen verloren. Aber der Abstand ist nicht riesig. Und wir werden alles versuchen, sie wieder zu überholen. Leverkusen hat nun einen großen Umbruch, das wird nicht einfach werden. International ist das anders. Da sind wir neben dem FC Bayern eine große Konstante. Uns fehlt leider nur ein Spiel, dann würden wir über Ihre Frage gar nicht diskutieren.

Frage: Welches?

Watzke: Das Spiel gegen Mainz 2023. Wenn wir Bayern als Dauer-Meister abgelöst hätten und nicht Leverkusen ein Jahr später, würden wir auf einer ganz anderen Basis sprechen.

Frage: Dabei hat der BVB einen höheren Personalaufwand als etwa Leverkusen, Frankfurt oder Leipzig. Ist es da nicht die Pflicht, direkt hinter Bayern zu landen?

Watzke: Da müssen Sie bitte einen Punkt berücksichtigen: Wir zahlen sehr leistungsbezogen. Und wenn ein Verein international so erfolgreich ist wie wir etwa mit dem Finaleinzug 2024, müssen wir sehr viele Prämien zahlen. Wenn Leipzig in der Champions-League-Ligaphase drei Punkte holt, ist das prämientechnisch ein riesiger Unterschied zu uns.

Frage: Sind Sie nicht der Meinung, dass einige Spieler beim BVB überbezahlt sind?

Watzke: Es gibt immer Spieler bei jedem Verein, bei denen man das Gefühl hat, dass Bezahlung und Leistung in einer Dysbalance stehen, wobei das auch oft Momentaufnahmen sind. Das lässt sich auf dem Niveau nicht verhindern. Aber klar ist natürlich: Mit dem Personalaufwand, den wir haben, erwarten wir, dass wir in der Champions League spielen.

Frage: In der kommenden Saison dank Trainer Niko Kovac, der den Klub von Platz elf auf Platz vier führte. Haben Sie sich bei ihm bedankt, dass er das geschafft hat?

Watzke: Natürlich habe ich das gemacht. Niko und ich haben ein sehr gutes Verhältnis. In einem persönlichen Gespräch habe ich ihm meinen Dank dafür ausgesprochen, wie er die Mannschaft wieder auf Kurs gebracht hat. Er hat in einer schwierigen Phase die richtigen Entscheidungen getroffen. Aus der Rolle des Beobachters bin ich sehr zufrieden mit ihm.

Frage: In den vergangenen Jahren luden Sie die Trainer immer mal wieder zu sich nach Hause ein. Haben Sie Kovac auch schon eingeladen?

Watzke: Nein, die Situation ist ja jetzt eine andere. Ich stand jahrelang auf der Kommandobrücke, und der Trainer war einer meiner wichtigsten Ansprechpartner. Nun verantwortet Lars Ricken den Bereich. Aber dennoch ist es so, dass ich regelmäßig mit Niko telefoniere, er will alles über den BVB wissen.

Frage: Zuletzt lehnte der BVB ein Chelsea-Angebot für Jamie Gittens in Höhe von 55 Millionen Euro ab. War das auch in Ihrem Sinne?

Watzke: Das war eine 50:50-Entscheidung. Es sprach viel dafür, aber auch viel dagegen. Dafür sprach der Zeitpunkt, der uns eine Planungssicherheit gegeben hätte. Dagegen aber die Summe, denn wir denken, dass Jamie mit seinen Qualitäten und seinem Potenzial mehr wert ist als das, was uns geboten wurde. Aber in dem Moment war ich froh, dass ich diese Entscheidung nicht mehr treffen muss.

Frage: Aber Sie wurden gefragt.

Watzke: Ja. Ich habe unseren Verantwortlichen auch genau das gesagt: Dass ich froh bin, dass sie diese Entscheidung nun treffen müssen. Dass ich sie allerdings daran erinnern werde, wenn es irgendwann die falsche gewesen sein sollte. (lacht)

Frage: Sind Sie eigentlich froh, dass Florian Wirtz nicht zum FC Bayern gewechselt ist, sondern nach England zu Liverpool?

Watzke: Nein, als Chef der Liga hätte ich ihn deutlich lieber in der Bundesliga gesehen.

Frage: Obwohl er Bayern noch zusätzlich gestärkt hätte?

Watzke: Ja. Wenn der FC Bayern international stark ist, hilft das allen Klubs. Insofern ist sein Weggang nach England nicht so schön.

Frage: Bei RB Leipzig gab es den ­Gedanken, ob Jürgen Klopp, der eigentlich Head of Global Soccer ist, für eine Saison Aushilfs-Trainer wird. Sind Sie froh, dass er das nicht machen wird?

Watzke: Das ist alleine seine Entscheidung. Und da werde ich ihm als Freund sicher nicht reinreden.

Frage: Sprechen Sie noch regelmäßig?

Watzke: Nur noch ab und zu. Unsere Gesprächsthemen sind deutlich weniger geworden, da wir uns überhaupt nicht mehr über den BVB unterhalten, weil er nun für Leipzig arbeitet.

Frage: Kehrt Mats Hummels denn nach seinem Karriereende zum BVB zurück?

Watzke: Er muss sich erst mal selbst darüber klar werden, ob er überhaupt im Fußball Verantwortung übernehmen möchte. Ich habe vor ein paar Wochen mit ihm gesprochen, und wir sind so verblieben, dass er jetzt erst einmal so lange Urlaub machen soll, wie er es für richtig hält. Das finde ich auch sehr vernünftig. Anschließend muss er sich Gedanken darüber machen, ob er seine Zukunft eher im Bereich des Trainer-Daseins oder im Management sieht. Wenn diese Frage geklärt ist, dann konkretisieren wir es irgendwann.

Frage: Lassen Sie uns abschließend über die Klub-WM reden. Wäre das Turnier in Deutschland ein größerer Erfolg als in den USA?

Watzke: Angesichts der Begeisterung, die in Deutschland für neue Projekte vorherrscht, bin ich der Meinung, dass es eine gute Entscheidung war, es woanders zu machen. Es muss bei uns ja immer erst einmal gemerkt werden, dass es doch nicht so eine schlechte Idee war, neue Dinge ins Leben zu rufen. Hier vor Ort bekommen wir mit, wie begeistert die Südamerikaner, die Asiaten und die Afrikaner dieses Turnier begleiten, für sie hat es einen Wert wie für uns die Champions League. Vielleicht sind wir Europäer aber auch etwas zu arrogant. Aber diese Arroganz holt uns gerade etwas ein, denn wir sehen nun, wie stark der südamerikanische Fußball ist.

Frage: Wird sich die Klub-WM auch bei den Deutschen etablieren?

Watzke: Die Nations League ist ja das beste Beispiel: Am Anfang haben viele gemeckert, wie blöd der Wettbewerb sei. Bis die Leute gemerkt haben, dass es vielleicht doch interessanter ist, gegen Portugal und Frankreich zu spielen, als dauernd auf die Färöer zu reisen. Ich bin mir sicher: Die Klub-WM wird in den nächsten acht oder zwölf Jahren nicht aufzuhalten sein und ein erfolgreicher und sehr relevanter Wettbewerb werden. Auch wenn man klar sagen muss, und das weiß wirklich jeder bei der Uefa: Es darf ab jetzt keinen einzigen Wettbewerb mehr zusätzlich geben!

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

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