„Inzwischen gehe ich nur auf blockieren, blockieren, blockieren. Das ist einfach traurig“
Die Tennis-Elite schlägt wieder in Wimbledon auf. Und zu den Geheimfavoritinnen zählt dieses Mal in der 37 Jahre alten Tatjana Maria auch eine Deutsche. Die Mutter zweier Kinder, die 2022 in Wimbledon mit dem sensationellen Halbfinaleinzug ihren größten Erfolg auf Grand-Slam-Ebene feierte, gewann kürzlich nicht weniger sensationell das WTA-500-Turnier in London. Allerdings: Bereits in der zweiten Runde von Wimbledon könnte sie auf die Weltranglistenzweite Jessica Pegula treffen.
Frage: Sie sind mit dem Sieg in London die älteste Siegerin eines WTA-500er Turniers. Von der Qualifikation kämpften Sie sich bis zu Ihrem vierten Turnier-Erfolg. Wann haben Sie daran geglaubt, dass Ihnen so ein Coup gelingen kann?
Tatjana Maria: Ehrlich gesagt, habe ich in der Woche nicht groß darüber nachgedacht. Ich weiß, das klingt immer blöd, aber ich habe Runde für Runde gespielt. Dass ich dann den Pokal hochgehalten habe, war unfassbar. Dass ich solche Turniere gewinnen kann, war immer schon mein Glaube, auch wenn es mir noch nicht gelang. Aber innerlich wusste ich immer, dass ich das Tennis und die mentale Stärke dafür habe.
Frage: Sie haben mit Elena Rybakina die Wimbledon-Siegerin von 2022 geschlagen und mit Madison Keys die aktuelle Australian-Open-Gewinnerin. Macht das diesen Erfolg noch bedeutsamer, als er ohnehin schon ist?
Maria: Definitiv. Der Turnier-Sieg an sich ist schon super, aber ich habe eben diese Gegnerinnen geschlagen, Top 20 und Top 10, eine der besten der Welt. Das macht es besonders und gibt mir viel Selbstvertrauen für die Zukunft. Ich habe gesehen, es ist möglich und ich kann mit meiner Spielweise Top-Spielerinnen schlagen.
Frage: Ist für Sie nach wie vor Ihr Slice Ihr großer Trumpf?
Maria: Das ist definitiv mein Spiel-Stil, den ich auch behalten werde. So werde ich meine Karriere irgendwann beenden. Ich versuche natürlich, mich in meinem Spiel weiterzuentwickeln. Aber es wird sicher keine Tatjana Maria ohne Slice geben. Das ist einfach mein Spiel. Doch selbst den Slice muss man an manchen Tagen mehr trainieren, mal läuft es nicht so. Aber allgemein ist es für das Leben wichtig, dass man sich immer weiterentwickelt, auch in Spielweisen. Auch Top-Spieler stellen den Aufschlag oder andere Schläge um.
Frage: Wie unterscheidet sich Ihr Slice von 2005 mit 17 von jenem 2025 mit 37 Jahren?
Maria: Vielleicht ist er jetzt aggressiver. Ich habe immer sehr viel beidseitig Slice gespielt. Aber es ist immer eine Moment-Aufnahme.
Frage: Sie sind seit rund 20 Jahren auf der Tour. Warum kommt ihr größter Turnier-Sieg erst mit 37 Jahren?
Maria: Jeder geht einen anderen Weg. Bei mir ging es eben spät los mit den Titeln. Den Ersten gab es mit 30, vier Jahre nach der Geburt von Charlotte. Es ist schön, den Leuten zu zeigen, dass man seine Ziele auch erreichen kann, wenn man älter wird. Solange man nicht aufgibt.
Frage: Sie haben alle ihre vier Titel als Mutter gewonnen. Zufall?
Maria: Familie war mir immer schon sehr, sehr wichtig. Seit ich meinen Mann kenne und wir eine Familie haben, gab es mir das Gefühl, dass Tennis mein Beruf ist und ich Tennis liebe, ich meine Familie aber im Hintergrund habe. Das ist für mich wichtiger als Tennis. Erfolge kommen, wenn man sich auch außerhalb des Tennisplatzes wohlfühlt. Und ich fühle mich super wohl, weil wir mit unseren zwei Kindern reisen und immer zusammen sind. Dann entstehen solche Erfolge.
Frage: Ihre Final-Gegnerin von London, Amanda Anisimova, sagte, sie traue Ihnen den Wimbledon-Sieg zu. 2022 standen Sie ja sogar schon mal im Halbfinale.
Maria: Das habe ich realisiert, dass sie das sagte. Wir haben im World Team Tennis (Mannschafts-Wettbewerb mit Mixed-Teams, die Redaktion) zusammengespielt. Sie ist ein super Mensch. Es war schön, gegen sie das Finale gespielt zu haben. Aber ich bin in Wimbledon nicht gesetzt, da kommt es sehr auf die Auslosung an. Zumindest weiß ich aber, dass ich mit den besten mithalten und gewinnen kann. Auch da gilt aber: von Runde zu Runde schauen, mental und körperlich fit zu sein.
Frage: Träumen Sie vom Wimbledon-Sieg?
Maria: Alle Spielerinnen träumen davon, einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Das ist bei mir genauso. Aber ich bin realistisch genug zu wissen, dass es ein neues Turnier ist und von vorn losgeht. Und obwohl ich Queens gewonnen habe, war dort kein Match einfach. Man muss immer voll da sein, um zu gewinnen.
Frage: Sie sind wieder die deutsche Nummer 1, haben Eva Lys abgelöst. Bedeutet Ihnen das etwas?
Maria: Es ist für mich nicht wichtig, ob ich die Nummer 1, 2 oder 3 in Deutschland bin. Das ist schön, aber nicht das Wichtigste für mich.
Frage: Mit 37 Jahren kratzen Sie auch an Ihrem besten Ranking. Das war Position 42. Sie waren vergangene Woche die Nummer 43 und sind seit Montag durch das Erstrunden-Aus in Bad Homburg an Position 45.
Maria: Das ist schon schön, aber ich fühle mich so, dass ich schon mal in den Top 20 war. Denn für Wimbledon 2022, als ich im Halbfinale war, bekam man damals keine Punkte, weil keine russischen und belarussischen Spieler zugelassen waren. Aber das Halbfinale hätte mich in die Top 20 gebracht. Mental ist es in meinem Kopf drin, dass ich das geschafft habe, auch wenn es auf dem Papier nicht so ist.
Frage: Bevor Sie nach London kamen, haben Sie neun Matches am Stück verloren, waren also neun Turniere in Serie sofort raus. Haben Sie sich dann einen Mental-Trainer genommen, oder wie ist so ein Comeback möglich?
Maria: Mental war ich immer schon stark. Ich bin eine, die gut mit Niederlagen umgehen kann. Die hängen mir nicht so lange nach. Und neun Niederlagen am Stück – das passiert. Erstens war es auf Sand, zweitens waren auch richtig gute Matches dabei, die ich knapp verloren habe. Es ging dann auf einen neuen Belag, da ging es von null los. Auch in meinem Kopf. Ich habe also keinen Mental-Trainer. Das sind nur ich und mein Mann, der wirklich sehr, sehr wichtig ist, der an mich glaubt und mir auf dem Platz hilft, spielerisch wie taktisch. Ohne ihn wäre das nicht möglich.
Frage: Wird beim Abendbrot über Tennis gesprochen?
Maria: Es dreht sich alles um Tennis, aber wir können dann auch abschalten. Auf dem Platz trainieren wir, aber wenn wir vom Court runter sind, haben wir ein normales Familien-Leben, kümmern uns um unsere Töchter, genießen die Zeit und versuchen, etwas anderes zu machen. Das ist auch extrem wichtig.
Frage: Ihre älteste Tochter Charlotte ist elf Jahre alt, will selbst Profi werden. Macht das was mit ihr, wenn sie einen Turnier-Sieg von Mama live in der Box erlebt?
Maria: Definitiv! Für sie ist das auch etwas Besonderes. Es war superschön für sie, dass ich den Pokal habe. Das sind Momente, die man nie vergisst. Es war eine super Woche. Die Atmosphäre war toll, es war immer voll und ich habe Geschichte geschrieben. Etwas Schöneres gibt es fast nicht.
Maria: Hat Charlotte Sie auch bei diesem Turnier eingespielt wie so oft?
Maria: Ja, am ersten Tag noch, dann durfte sie nicht mehr auf die Plätze, weil sie keine 16 ist. Sie wollten die Courts schonen wegen des Herren-Turniers. Sie hat mich dann woanders eingespielt, das ist nach wie vor so.
Frage: Bestärkt Sie so ein Erfolg, tatsächlich so lange weiterzuspielen, bis Sie mit Ihrer Tochter gemeinsam auf der Tour spielen?
Maria: Ja, das Doppel mit ihr ist mein persönliches Ziel und ich hoffe, dass ich das schaffe. Es wäre superschön, dass wir Doppel zusammen spielen auf der Tour.
Frage: Gibt es auch kritische Stimmen, wenn man die Karriere der Tochter so gezielt plant wie Sie?
Maria: Da habe ich noch nichts gehört. Wer mit mir darüber sprach, sah es immer positiv. Die sehen uns, und sie sehen Charlotte und wie viel Lust sie hat, Tennis zu spielen und wie sie jeden Tag mit Freude trainiert. Es kommen auch Spielerinnen und sagen: „Hey, lass uns mal spielen!“ Jüngst hat sie mit Aryna Sabalenka (Nummer 1 der Welt, die Redaktion) Bälle geschlagen.
Frage: In den vergangenen Wochen nahm das Thema Hass-Attacken in den sozialen Netzwerken wieder Fahrt auf. Viele Spielerinnen machten öffentlich, wie sie vor allem aus der Wettszene bedroht und beleidigt werden, bis hin zu Morddrohungen. Wie ist Ihre Erfahrung?
Maria: Ich glaube, dass es wirklich jede Spielerin betrifft. Es gehört leider dazu, dass man beschimpft wird und derartige Nachrichten über Social Media bekommt. Es wäre wichtig aufzupassen, dass die Jugend nicht zu früh mit Social Media in Kontakt kommt. Charlotte hat zwar eine Instagram-Seite, aber die betreuen wir. Sie hat noch nicht mal ein Handy, das braucht sie einfach nicht. Ich sage nach meinen Matches meinen Brüdern: „Geht da rein, löscht alles, was ihr da findet, bevor ich da reinschaue.“ Inzwischen gehe ich nur auf Blockieren, blockieren, blockieren. Das ist einfach traurig, was da passiert.
Frage: Bekommt Ihre Tochter das mit?
Maria: Nein, tut sie nicht. Wir haben auch noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Wir werden immer mit ihr auf der Tour sein, auch wenn sie mal ein eigenes Team haben sollte. Aber wir werden sie auf jeden Fall auf das vorbereiten, was da kommen könnte.
Frage: Die Frauentennis-Organisation WTA hat ja ein Papier veröffentlicht, wie sie den Spielerinnen helfen will. Was halten Sie davon?
Maria: Ich habe es noch nicht gelesen. Wie aber will die WTA helfen? Wir erhalten die Nachrichten ja trotzdem. Die kann ja nicht in unsere Konten und die Anfeindungen löschen. Ich weiß nicht, wie man das umsetzen will. Und Wetten verbieten ist fast unmöglich, denn es gibt ja sogar Turniere, die von Wettanbietern gesponsert werden. Und es betrifft ja nicht nur das Tennis. Wenn jemand in anderen Sportarten verliert, wird er auch beleidigt.
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