Wird heute das Korruptionsgesetz zurückgenommen?
Das ukrainische Parlament stimmt heute darüber ab, ob die Einschränkung der Unabhängigkeit von Antikorruptionsbehörden rückgängig gemacht wird. Doch nimmt Präsident Selenskyj die Korruptionsbekämpfung jetzt ernster?
Das ukrainische Parlament wird sehr wahrscheinlich das wieder rückgängig machen, was in der vergangenen Woche für großes Aufsehen gesorgt hatte: die de facto-Entmachtung von zwei zentralen Antikorruptionsbehörden. Sie sollen wieder unabhängig von den Entscheidungen des Generalstaatsanwalts werden - und damit unabhängig von politischem Einfluss.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab zu: Die Neuregelungen, die er durchs Parlament gebracht hatte, seien ein Fehler gewesen.
"Partner überzeugen, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg bleiben"
Doch mit dem Reparaturgesetz sei in der Ukraine längst nicht wieder alles in Ordnung, sagen Experten für Korruptionsbekämpfung wie Andrij Borowyk von der Organisation Transparency International: "Hier gibt es keinen Grund zum Feiern. Selenskyj sollte nicht nur seinen Fehler korrigieren."
Vielmehr solle er jetzt auch eine Reihe anderer Gesetzesvorhaben anpacken, die für den EU-Beitritt der Ukraine notwendig seien und die bei ihm auf dem Tisch lägen. "Er sollte jetzt mehr tun, um unsere Partner zu überzeugen, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg bleiben. Aber darüber sprechen unsere Politiker nicht", meint Borowyk.
"Die Regierung überschreitet eine rote Linie"
Für viele Experten war Selenskyjs Versuch, die Antikorruptionsbehörden kalt zu stellen, kein Ausrutscher. Sie beobachten, dass die Korruptionsbekämpfung für den Präsidenten nicht an erster Stelle steht. Projekte, die auch von der Europäischen Union eingefordert werden, kommen nicht voran.
Ein Beispiel ist das neu geschaffene Büro für ökonomische Sicherheit, kurz BEB, das Steuer- und Wirtschaftskriminalität verfolgen soll. Selenskyj weigert sich, dessen Leiter zu ernennen, obwohl das Gesetz dies vorschreibt und der Leiter schon von einer unabhängigen Kommission ausgewählt wurde.
Darja Kalenjuk von der Organisation Zentrum für Korruptionsbekämpfung erklärt: "Der Kandidat ist einer der führenden Ermittler des Nationalen Antikorruptionsbüros NABU. Er ist schon mehrfach vom Geheimdienst auf seine Zuverlässigkeit überprüft worden." Die Regierung überschreite hier eine rote Linie. Denn sie erlaube sich, ein Gesetz einfach nicht auszuführen.
Der Vorwurf, der hier im Raum steht: Selenskyj verhindere, dass das Büro für ökonomische Sicherheit voll funktionsfähig wird - und damit eine weitere Behörde, die er nicht kontrollieren kann.
Stillstand - und teils Rückschritte
Es ist eine ähnliche Situation beim Verfassungsgericht. Dies ist unterbesetzt und deshalb kaum handlungsfähig. Selenskyj liegen seit Monaten vier Richter-Nominierungen vor, ebenfalls ausgewählt von einer unabhängigen Kommission, aber nur einen Richter hat er bisher bestätigt. Auch das Verfassungsgericht ist eine unabhängige Behörde, die Regierungshandeln kontrolliert.
Es gibt also an vielen Stellen Stillstand - und an manchen sogar Rückschritte. So sei es etwa bei der Gerichtsreform, sagt Mychajlo Schernakow von der Organisation De jure. In einer wichtigen Kommission wird es vorerst keine internationalen Vertreter mehr geben. Die Kommission hat indirekt Einfluss darauf, wer künftig Richter wird.
"Das Mandat der internationalen Experten ist ausgelaufen. Das höchste Richterorgan will diese wichtige Kommission nun mit Hilfe von Organisationen neu besetzen, die absolut nicht reformiert sind", sagt Schernakow. "Wenn das so durchgeht, wird das ein weiteres Zeichen, dass sich die Ukraine faktisch von einem EU-Beitritt entfernt. Hier braucht es ein Gesetz, das die internationalen Experten in diese Kommission zurückbringt."
Dazu muss man wissen: Wenn ukrainische Experten eine Organisation als "nicht reformiert" bezeichnen, dann heißt das: Es gehört zum alten, korrupten Gerichtssystem, das die Ukraine versprochen hatte, nach und nach abzuschaffen.
Die Einschätzung vieler ukrainischer Nichtregierungsorganisationen ist also: Das Parlament dürfte heute Selenskyj folgen und seinen Fehler von vergangener Woche ausbügeln. Damit hat der Präsident aber noch lange nicht bewiesen, dass er die Korruptionsbekämpfung wirklich ernst nimmt.
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