"Das Recht des Stärkeren setzt sich durch"
Allmählich kommt etwas mehr Hilfe nach Gaza - per Lkw und aus der Luft. Doch das reicht bei Weitem nicht, sagen Hilfsorganisationen. Sie kritisieren vor allem die Luftabwürfe - an denen sich auch Deutschland beteiligen möchte.
Gestern Abend kommen wieder Bilder aus dem Gazastreifen. Zu sehen sind auf den nicht unabhängig verifizierten Aufnahmen Dutzende Leichen vor einem Krankenhaus in Gaza-Stadt. Der Direktor des Krankenhauses sagt, am Grenzübergang in Zikim seien innerhalb von zwei Stunden 37 Menschen getötet und mehr als 270 verletzt worden. Sie hatten versucht, an Hilfsgüter zu gelangen.
Die Bilder scheinen den Erfolgsmeldungen der israelischen Armee zu widersprechen, die die Lastwagen auflisten, die täglich in den Gazastreifen kommen. In den vergangenen Tagen waren es angeblich zum Teil mehr als 200 - weit weniger, als vor Beginn des Gaza-Kriegs. Die von Israel unterstützte umstrittene amerikanische Organisation Gaza Humanitarian Foundation (GHF) berichtet, seit Ende Mai habe man fast 100 Millionen Essen verteilt.
Kaum eine Chance für die Schwächsten
Doch immer wieder gibt es Tote. An den vier Verteilstellen der GHF sind schon mehr als 1.000 Menschen getötet worden, zum Teil erschossen von israelischen Soldaten. Viele Lkw werden geplündert, entweder von verzweifelten Menschen oder von bewaffneten Banden. Vor allem die Schwächsten haben kaum eine Chance auf die Hilfen.
Menschen wie die verwitwete Nisreen Ismail aus Beit Lahia im Norden versuchen es dennoch immer wieder, wie sie der Agentur Reuters berichtet: "Vier oder fünf Monate leiden wir schon, seit sie den Übergang in den Süden geschlossen haben. Früher hatten wir Linsen und Pasta, heute nichts." Alles sei teurer geworden, die Menschen seien hilflos. "Meine Kinder sterben an Hunger, deshalb bin ich hier", sagt sie. "Sie leiden den ganzen Tag, sie schreien den ganzen Tag, sie wollen essen."
Vorwurf der Symbolpolitik
Israels Armee sagt, sie habe sogenannte humanitäre Korridore eingerichtet, in manchen Teilen des Gazastreifens gebe es nun täglich für ein paar Stunden Feuerpausen. Doch die Transporte sind kaum gesichert - immer wieder kommt es zu Plünderungen. Die Menschen versuchen dabei, so viel zu bekommen, wie sie tragen können. Ein Teil der Güter landet zu völlig überhöhten Preisen auf dem Markt.
Israel könnte die Transporte besser sichern, müsste als Besatzungsmacht im Gazastreifen dafür sorgen, dass die Hilfsgüter bei denen ankommen, die sie brauchen.
Hinzu kommt die Menge der Hilfsgüter, die in den Gazastreifen gelangen. Kritiker sagen, die Aufstockung der Hilfe in den vergangenen Tagen, bringe noch keine Verbesserung. Das sei vor allem Symbolpolitik. Genau wie die Luftabwürfe, an denen sich auch Deutschland beteiligen will. Dabei kann ein Transportflugzeug weniger Nahrung tragen als ein Lkw, die Abwürfe gelten als teuer, ineffizient und alles andere als zielgerichtet.
Mehr als 50 Paletten wurden in den vergangenen Tagen abgeworfen - ein Tropfen auf den heißen Stein. Und manchmal landen die Güter im Meer, berichtet Kamel Qoraan der Nachrichtenagentur AP. Er hat in Deir Al Balah versucht, an Hilfe zu kommen. "Sie haben die Güter abgeworfen und sie sind im Meer gelandet", sagt Qoraan. "Die Hälfte der Leute ist im Meer ertrunken, die Teeblätter sind voller Wasser, genauso das Mehl. Das ist unbrauchbar." Er fordert, die Grenzen zu öffnen und Hilfe herein zu lassen. "Diese Luftabwürfe sind entwürdigend. Das ist Entwürdigung, keine Hilfe", sagt er.
Politisches Problem statt logistisches?
Bundesaußenminister Johann Wadephul reist heute nach Israel. Bei seinem Besuch in der Region will er auch über die deutsche Beteiligung an den Luftabwürfen sprechen, die am Wochenende beginnen könnten. Lara Dovifat von Ärzte ohne Grenzen Deutschland sagt, die unzureichende Versorgung der Menschen im Gazastreifen beziehungsweise der weiterhin grassierende Hunger sei keine logistisches Problem, sondern ein politisches. Daran würde der Abwurf von Hilfsgütern nichts ändern.
"Die Luftabwürfe sind natürlich auch nicht zielführend. Wir haben vor allem Frauen, Kinder, Schwangere, die dringend Ernährungsprodukte bräuchten - und genau die kommen nicht zu diesen Abwurfstellen", erklärt Dovifat. Am Boden kämpften dann die Menschen um die wenigen Paletten. "Das Recht des Stärkeren setzt sich durch. Wir sind hier weit entfernt von einer bedarfsorientierten humanitären Hilfe."
Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen berichten, wie ihre Hilfsgüter an den Grenzen zum Gazastreifen von Israel blockiert werden - auch die Verteilung werde verhindert. Geht das so weiter, dürfte sich die humanitäre Krise im Gazastreifen weiter verschärfen.
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