Netanjahu will Einnahme des ganzen Gazastreifens
Israels Premierminister Netanjahu hat öffentlich bestätigt, die vollständige Einnahme des Gazastreifens anzustreben. Man wolle das Gebiet jedoch nicht dauerhaft halten, sagte er dem US-Sender Fox News.
Israel will laut Regierungschef Benjamin Netanjahu den gesamten Gazastreifen unter israelische Kontrolle bringen. "Wir haben die Absicht", sagte er dem US-Sender Fox News auf eine entsprechende Frage. Israel wolle das Gebiet aber nicht dauerhaft besetzen, sondern es von der Terrormiliz Hamas befreien und dann an "arabische Kräfte" übergeben, die es "ordnungsgemäß regieren" würden. Dies müssten Kräfte sein, die nicht wie die Hamas zur Vernichtung Israels aufriefen.
"Wir wollen ihn nicht behalten", so Netanjahu mit Blick auf den Küstenstreifen. "Wir wollen eine Sicherheitsgrenze haben. Wir wollen ihn nicht regieren."
Sicherheitskabinett berät
Nach Angaben von Fox News wurde das Interview kurz vor einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts geführt. Dieses kam Medienberichten zufolge zusammen, um über das weitere Vorgehen im Gazastreifen zu beraten. Demnach soll es um einen Plan gehen, der zunächst die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des Küstengebiets vorsieht. Die Kontrolle über das gesamte Gebiet könnte Schätzungen zufolge rund ein halbes Jahr dauern, heißt es in den Berichten.
Die Hamas bezeichnet die Pläne Netanjahus als "Putsch". Seine Erklärung zeige, dass er bereit sei, die israelischen Geiseln für seine persönlichen Interessen zu opfern, heißt es in der Mitteilung der radikal-islamischen Miliz.
Räumungsaufruf für zwei Stadtviertel in Gaza
Noch während der Beratungen des Sicherheitskabinetts veröffentlichte die israelische Armee einen Räumungsaufruf für zwei Viertel in der Stadt Gaza. Ein Militärsprecher forderte in arabischer Sprache die Einwohnerinenn und Einwohner der Altstadtviertel Daradsch und Tuffah dazu auf, sich sofort in Richtung Süden in die humanitäre Zone in Al-Mawasi zu begeben.
In dem X-Post des Militärsprechers hieß es, das Militär führe Einsätze in allen Gebieten durch, in denen "terroristische Aktivitäten" stattfänden und von denen aus Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert würden. Zuvor fing die Luftwaffe ein aus dem nördlichen Teil des Küstenstreifens abgefeuertes Geschoss ab. Rund um den Grenzort Nir Am gab es Raketenalarm.
Proteste in Israel gegen Ausweitung der Kämpfe
In Jerusalem und Tel Aviv sowie in weiteren israelischen Städten kam es nach Netanjahus Ankündigung zu Protesten gegen die geplante Ausweitung der Kämpfe. In Jerusalem versammelten sich Demonstrierende vor dem Amtssitz des Regierungschefs. Sie forderten ein Abkommen, in dessen Zuge die noch immer festgehaltenen Geiseln freigelassen werden sollen.
Auch in der Küstenmetropole Tel Aviv kamen zahlreiche Menschen zusammen. Vor dem Sitz der Netanjahu-Partei Likud entzündeten Demonstrantinnen und Demonstranten ein großes Lagerfeuer. Sie forderten ebenfalls ein Abkommen zur Beendigung des Krieges.
Warnungen von Armee und Opposition
Israels Armeeführung und Opposition hatten zuletzt vor einer kompletten Eroberung des Gazastreifens gewarnt. Oppositionsführer Jair Lapid sprach von einer "sehr schlechten Idee". Israel werde für die Ausweitung der Kämpfe einen hohen Preis bezahlen, sagte er. Er bezog sich dabei sowohl auf die Zahl der Opfer, die eine militärische Eroberung weiterer Gebiete wahrscheinlich mit sich bringen würde, als auch auf die Kosten einer Besatzung.
Armeechef Ejal Zamir warnte laut Rundfunkberichten in einer Vorbesprechung mit Netanjahu vor einer "Falle" sowie einer tödlichen Gefahr für die Geiseln und Soldaten. Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 20 lebende Geiseln in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas.
Auch die Vereinten Nationen (UN) hatten schon am Dienstag Pläne einer vollständigen Einnahme als "zutiefst alarmierend" bezeichnet. "Das Völkerrecht ist in dieser Hinsicht eindeutig: Der Gazastreifen ist und muss ein integraler Bestandteil des künftigen palästinensischen Staates bleiben", hatte der stellvertretende UN-Generalsekretär Miroslav Jenca gesagt. Die Einnahme des ganzen Gazastreifens durch Israel könne katastrophale Folgen haben und das Leben der verbliebenen Geiseln weiter gefährden.
Israels Armee kontrolliert bereits rund 75 Prozent der Fläche des durch den Krieg weitgehend verwüsteten Küstengebiets. Militärisch gesehen wäre es für die Streitkräfte nicht schwierig, auch den Rest des Gazastreifens zu erobern, sagten israelische Sicherheitsanalysten der US-Zeitung Wall Street Journal.
Philip Kuntschner, Tel Aviv, tagesschau, 07.08.2025 17:47 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke