Geht die sozialistische Ära nun zu Ende?
Überschattet von einer schweren Wirtschaftskrise wird heute in Bolivien gewählt. Nach 20 Jahren könnten die Sozialisten erstmals nicht die Regierung stellen, zu zerstritten ist die Partei. Davon könnten die Rechten profitieren.
Eine indigene Garde bewacht ihn rund um die Uhr: Evo Morales hat Bolivien 14 Jahre lang regiert, länger als jeder andere. Er gab der indigenen Bevölkerung des armen Andenstaates eine Stimme. Ab 2006 sorgte er für wirtschaftlichen Aufschwung und Stabilität und wurde dadurch zur Lichtfigur der lateinamerikanischen Linken. Heute droht er, Bolivien ins Chaos zu stürzen, denn er darf laut geltender Rechtsprechung bei der heutigen Präsidentenwahl selbst nicht mehr antreten.
"Jetzt haben sie der Mehrheit den Kandidaten genommen und sie an den Rand gedrängt", sagt Morales. "Ich habe Angst, dass das Volk sich erhebt. Wir haben einst einen Klassenkampf vermieden, weil wir dem Volk die Möglichkeit der Wahlen gegeben haben. Aber jetzt zwingen sie das Volk zum Aufstand."
Morales verschanzt sich im Dschungel
Evo Morales hat zahlreiche juristische Probleme. Er wird wegen Missbrauchsvorwürfen per Haftbefehl gesucht und verschanzt sich seit Monaten in der Zentrale der Kokabauern in der Provinz Chapare, einer Dschungelregion im Herzen Boliviens. Die Hauptverkehrswege des Landes führen durch die Region.
Bereits im Juni gab es zahlreiche Proteste und Straßenblockaden. Menschen starben oder wurden verletzt.
Machtkampf zwischen Arce und Morales spaltet die Sozialisten
Morales einstiger Finanzminister, Luis Arce, ist heute Präsident und ein erbitterter Rivale des Sozialisten. "Sie waren ein Anführer Boliviens und haben Gutes für unser Vaterland getan", sagt Arce an Morales gewandt. "Setzen Sie unser Land nicht in Brand. Zündeln sie nicht mit der Demokratie, zerstören Sie nicht die Hoffnungen der Menschen, und nicht unsere Wirtschaft."
Der Machtkampf zwischen den beiden hat die linke Partei "Bewegung zum Sozialismus" gespalten. Bei den Wahlen droht ihr eine historische Niederlage. Der frühere Präsident Morales ruft seine Anhänger dazu auf, ungültig zu wählen. "Was ist mit den ungültigen Stimmen? Was, wenn sie 30 Prozent erreichen und der Zweitplatzierte 20 Prozent. Das würde heißen, die ungültigen Stimmen gewinnen." Und der Kandidat der ungültigen Stimmen heiße Morales.
Leere Tanks und leere Staatskasse
Unterdessen sinkt das Land immer tiefer in die Krise, kilometerlange Schlangen reihen sich vor beinahe jeder Tankstelle Boliviens. "Es gibt kaum Benzin, kaum Diesel", sagt Autofahrer Guido Hernandez. "Wir fahren von Tankstelle zu Tankstelle, um irgendwo etwas zu bekommen, das letzte Mal musste ich von zehn Uhr bis drei Uhr nachmittags warten."
Auch Aron Vilca ist wütend. "Das ist zum Verrücktwerden. Monate geht das schon so", sagt er. "Ich verliere Arbeitszeit, das Geld reicht nicht mehr, diese Regierung ist ein Desaster, was sollen wir denn tun, wir leben von dem, was wir jeden Tag verdienen!"
"Hier geht einfach alles den Bach runter"
Nach einem Jahrzehnt des relativen Wohlstandes, gestützt auf Boliviens Erdgasboom, sind die Reserven erschöpft. Es fehlt an Treibstoff, die Staatskasse ist leer, die Preise steigen - auf der Straße wächst der Frust.
"Im Moment herrscht Chaos, überall", sagt Carmiel Galarza. "In der Politik ist auch Chaos, bei den letzten Wahlen gab es Betrug, jetzt streiten sich alle, ich hoffe, dass nicht nochmal wer von der MAS (Anmk. der Redaktion: gemeint ist die Movimiento al Socialismo, die Partei von Evo Morales) gewinnt, sondern irgendjemand anderes. Hier geht einfach alles den Bach runter."
Opposition profitiert von Krise im Land
Von dem Frust profitiert die Opposition - aber auch sie ist gespalten. Zwei rechtsgerichtete Kandidaten liegen in den Umfragen derzeit vorn. Beide versprechen, das sozialistische Erbe von Morales zu beseitigen und Boliviens Wirtschaft zu liberalisieren.
"Wenn ich den Leuten sage, dass wir eine kapitalistischere Wirtschaft brauchen, dann erhalte ich heute vielerorts Applaus", sagt der frühere Wirtschaftsminister Samuel Doria Medina. Heute ist er der erfolgreichste Geschäftsmann Boliviens und wirbt für eine soziale Marktwirtschaft. "Vor drei Jahren hätte man mich noch mit Steinen beworfen", sagt Medina. "Es ist ein Wandel zu spüren, vor allem bei den jungen Leuten."
Stichwahl zeichnet sich ab
Sein größter Konkurrent ist der ehemalige Präsident Jorge Tuto Quiroga Ramirez. Er ist als Fan des Kettensägen-Modells à la Javier Milei aus dem Nachbarland Argentinien bekannt. Keinem Kandidaten wird wohl ein Sieg im ersten Wahlgang gelingen. Das bedeutet: Stichwahl im Oktober. Und bis dahin könnte Bolivien zwei Monate mit großer Unsicherheit erleben, glaubt der Journalist Fernando Molina.
"Es wäre das erste Mal, dass in Bolivien eine Stichwahl stattfindet", sagt er. "Sollten zwei Kandidaten der Opposition das Rennen machen, wissen wir nicht, wie die Institutionen reagieren, wie die Wirtschaft reagiert." Die Wahl sei stark von Desinformation und einer Schmutzkampagne in den sozialen Medien geprägt, sagt Molina. "Das wird sicher noch mal zunehmen. Das heißt, es kann eine ziemlich hitzige und harte Zeit werden."
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