"Das Land mit einer klaren Forderung lahmlegen"
Blockierte Straßen, geschlossene Läden - und überall Porträts der Geiseln: Viele Israelis beteiligen sich an einem Generalstreik. Ihre Forderung: "Bringt die Geiseln zurück, beendet den Krieg." Die Regierung kritisiert die Aktion scharf.
In Israel haben landesweit Menschen für ein Ende des Gaza-Kriegs und ein Abkommen zur Freilassung der noch immer festgehaltenen Hamas-Geiseln protestiert. "Hunderttausende israelische Bürger werden heute das Land mit einer klaren Forderung lahmlegen", erklärte das Forum der Geiselfamilien, die größte Vereinigung von Angehörigen: "Bringt die 50 Geiseln zurück, beendet den Krieg."
Unter anderem das Forum der Geiselfamilien hatte in Solidarität mit den verbliebenen Geiseln dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Man werde "das Land zum Stillstand bringen", hieß es. Viele Cafés, Läden und Unternehmen blieben deswegen geschlossen. Auch die großen Theater in Tel Aviv stoppten ihre Aufführungen.

Bei vielen Demonstrationen wurden Porträts der Geiseln hochgehalten.
Gewerkschaften appellieren an Netanjahu
Der Dachverband der Gewerkschaften Histadrut hat sich an dem Aufruf zwar nicht beteiligt. Sein Vorsitzender Arnon Bar-David bekräftigte laut der israelischen Zeitung Haaretz aber die Unterstützung für das Anliegen.
Eine Beteiligung hätte den Protest zu einem politischen Kampf gemacht, sagte Bar-David. Es gebe in der Sache aber keine Linke oder Rechte. "Es geht darum, Menschen zurückzubringen, die aus ihrem Bett oder aus ihrem Panzer entführt wurden." Er forderte Premier Netanjahu auf, "das zu tun, was getan werden muss - einen Deal auszuhandeln und dies zu beenden."
Autobahn Tel Aviv - Jerusalem blockiert
Der Sonntag ist in Israel der erste Tag der Arbeitswoche. Mehrere wichtige Verkehrsachsen, darunter die Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem, wurden von Demonstranten blockiert. Bei den Protesten nahm die Polizei nach eigenen Angaben bis zum Mittag 32 Menschen fest, in Jerusalem ging sie mit Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor.
Bilder und Videos in israelischen Medien und auf Social Media zeigten, wie Demonstrierende Reifen anzündeten und erhebliche Staus verursachten, die Straßen waren in Rauch eingehüllt. Menschen hielten Fotos der Geiseln und schwenkten israelische Flaggen. Dazu gab es gelbe Fahnen, die zum Symbol der Solidarität mit den Entführten geworden sind. Auf dem sogenannten "Platz der Geiseln" im Zentrum von Tel Aviv wurde eine riesige israelische Flagge mit Porträts der Entführten präsentiert.

Wie hier in Tel Aviv blockierten Demonstrierende in mehreren Städten Straßen.
Smotrich: "Spielt Hamas in die Hände"
Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich verurteilte die Demonstrationen als "eine perverse und schädliche Kampagne, die der Hamas in die Hände spielt". Er behauptete, dass der öffentliche Druck, ein Abkommen zu erzielen, "die Geiseln in den Tunneln begraben" würde und den Staat Israel dazu zwingen würde, "sich seinen Feinden zu ergeben und seine Sicherheit und Zukunft zu gefährden".
Auch Premier Benjamin Netanjahu kritisierte die Proteste. "Diejenigen, die heute ein Ende des Krieges fordern, ohne die Hamas zu besiegen, verhärten nicht nur die Haltung der Hamas und verzögern die Freilassung unserer Geiseln, sondern stellen auch sicher, dass sich die Schrecken des 7. Oktober immer wiederholen werden und unsere Söhne und Töchter immer wieder in einem endlosen Krieg kämpfen müssen", sagte er nach Angaben seines Büros bei einer Kabinettssitzung.
Die Demonstrationen folgen auf die Ankündigung des israelischen Sicherheitskabinetts, den Einsatz gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen auszuweiten. Die Armee will nach eigenen Angaben die Stadt Gaza und die in Al-Mawasi im Zentrum des Gazastreifens liegenden Flüchtlingslager einnehmen. Sie bereitet bereits die Umsiedlung von Zivilisten vor.
Geisel-Videos sorgten für Entsetzen
Die Familien der Geiseln fürchten, dass die Ausweitung des Einsatzes zum Tod ihrer festgehaltenen Angehörigen führen könnte. 50 Geiseln sind noch immer in der Gewalt der Hamas und anderer Terroristen. Nach israelischen Informationen sind jedoch wahrscheinlich nur noch 20 von ihnen am Leben.
Zuletzt hatten Propaganda-Videos der Hamas von zwei extrem abgemagerten Geiseln international für Entsetzen gesorgt. Einer der beiden Männer war darin zu sehen, wie er nach eigenen Angaben sein eigenes Grab schaufelte.
50 Geiseln sind noch in Gaza
Die Terrororganisation Hamas und mit ihr verbündete Kämpfer hatten mit ihrem brutalen Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 den Krieg im Gazastreifen ausgelöst. Bei dem Angriff wurden nach israelischen Angaben mehr als 1.200 Menschen getötet, 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel geht seit dem Massaker der Hamas militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden bislang mehr als 61.800 Menschen getötet. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Sie werden von der UN als realistisch eingestuft, unterscheiden aber nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
Verhandlungen bislang vergeblich
Ägypten, Katar und die USA bemühen sich seit Monaten um eine Vermittlung zwischen Israel und der Hamas. Zuletzt hatte es im Januar eine temporäre Feuerpause im Gegenzug für einen Austausch von Hamas-Geiseln und palästinensischen Gefangenen aus Israel gegeben. Nach Ablauf der Waffenruhe waren weitere Verhandlungen um ein Ende des Krieges jedoch bis zuletzt ergebnislos geblieben.
Kritiker werfen Israels Premier Netanjahu vor, zur Sicherung seiner eigenen politischen Zukunft einen Deal zu torpedieren. Netanjahu wiederum wirft der Hamas vor, keinen Deal zu wollen und bekräftigt immer wieder sein Kriegsziel, die Hamas zu eliminieren.
Mit Informationen von Philip Kuntschner, ARD Tel Aviv
Philip Kuntschner, ARD Tel Aviv, tagesschau, 17.08.2025 11:02 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke