Der EuGH hat ein Urteil gefällt, das sich erheblich auf Polens Justiz auswirken dürfte. Nationale Gerichte müssen demnach Urteile einer höheren Instanz ignorieren, wenn diese Mindeststandards nicht erfüllt. Was bedeutet das?

Zehntausende Gerichtsurteile in Polen könnten angefochten werden. So groß ist die Tragweite des heutigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat entschieden, dass ein Gericht niedrigerer Instanz die Rechtmäßigkeit der Berufung der Richter eines höheren Gerichts überprüfen darf. Wenn es zum Schluss kommt, dass auch nur ein Mitglied des höheren Gerichts nicht die Anforderungen an richterliche Unabhängigkeit erfüllt, soll das Urteil als nichtig erachtet werden.

Ein Gericht in Krakau hatte sich an den EuGH gewendet. Es ging um die Aufhebung eines Urteils aus dem Jahr 2021 durch die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts Polens. Diese wurde zu Zeiten der PiS-Regierung installiert, ihre Rechtmäßigkeit wird durch einige juristische Kreise und den polnischen Justizminister angezweifelt, so auch vom Krakauer Gericht. Bereits 2023 hatte der EuGH entschieden, das Gericht der Kammer sei kein unabhängiges, unparteiisches und durch Gesetz errichtetes Gericht.

Von der PiS politisiert

Das heutige Urteil bezieht sich aber nicht nur auf das Oberste Gericht, sagt Michał Wawrykiewicz, Jurist und Europaabgeordneter der Bürgerkoalition: "Der Gerichtshof spricht nicht nur über die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten. Er spricht über ein Gericht höherer Instanz, das dem Erfordernis eines 'unabhängigen, unparteiischen und durch Gesetz errichteten Gerichts' im Sinne des Unionsrechts nicht genüge."

Und das betrifft in Polen sehr viele Gerichte. Denn in Polen werden alle Richter vom sogenannten Landesrichterrat – auf Polnisch kurz KRS - vorgeschlagen. Dieses Organ wurde bis 2018 durch Richter besetzt.

Dann allerdings politisierte die rechtspopulistische PiS-Regierung den Rat. Durch eine Gesetzesänderung werden die Mitglieder des Landesrichterrates nun durch das Parlament gewählt.

Von ihnen ernannte Richter werden als "Neo-Richter" bezeichnet, weil sie nicht die Anforderungen an richterliche Unabhängigkeit erfüllen. Diesen Schätzungen zufolge urteilen in Polen etwa 3.000 "Neo-Richter" in 325 Städten. Die Anzahl der Urteile, an denen sie beteiligt sind und waren, dürfte in die Zehntausende gehen.

Das habe eine riesige Tragweite, sagt Michał Wawrykiewicz, denn es gebe nicht nur den Gerichten, sondern auch der Exekutive, dem Justizminister "ein Instrument, um dringend das gigantische Chaos aufzuräumen, das PiS während der acht Jahre ihrer Regierung eingeführt hat".

Wie reagiert der Präsident?

Für die Regierung dürfte sich das Aufräumen allerdings weiterhin schwierig gestalten. Denn die Reformen müssen über Gesetze stattfinden, bei denen der Präsident, der von der PiS kommt, ein Vetorecht hat. Und die PiS argumentiert in gewohnter Weise, die EU solle sich nicht in polnische Rechtsangelegenheiten einmischen.

Die Regierungskoalition spricht von einem Instrument für die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit.

Für die polnischen Bürgerinnen und Bürger heißt es aber noch mehr: Justiz-Chaos. Denn auch Urteile über zum Beispiel Scheidungen, bei denen "Neo-Richter" beteiligt waren, können mit dem Urteil des Gerichtshofs angefochten werden.

Es gibt Stimmen, dass es sogar die Wahl des polnischen Präsidenten betreffen könnte. Schließlich bestätigt das Obere Gericht die Rechtmäßigkeit dieser Wahl.

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