Warum Deutschland keine Militärbeobachter schickt
Seit Langem ist es üblich, zu militärischen Großübungen Beobachter aus dem Ausland einzuladen. Dieser Tradition folgte Belarus auch für das Manöver "Sapad 2025". Die Bundesregierung entsendet niemanden und nennt Gründe.
Jedes Jahr führen die russischen Streitkräfte Großmanöver mit Schwerpunkt in einer geografischen Region durch. Experten können dabei wertvolle Informationen sammeln, wie sich Russland militärstrategisch aufstellt. Von besonderem Interesse ist das alle vier Jahre stattfindende Manöver Sapad, zu Deutsch Westen. Es wird auch auf dem Territorium des Verbündeten Belarus ausgetragen, an den Grenzen zur NATO.
Russland nutzt diese Manöver auch, um Militärgerät in Regionen zu transportieren, die als Aufmarschgebiet dienen. Das traf zu bei "Sapad 2021", als die russischen Streitkräfte Ausrüstung nach Belarus verlagerten - für die Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022. Schon 2008 hatte Russland nach einem Großmanöver im südlichen Militärbezirk Panzer und die Ausrüstung dort einsatzbereit gehalten und war kurz darauf in Georgien einmarschiert.
Verteidigungsattachés vor Ort
Es ist aber auch Tradition, Militärbeobachter aus Partner- und Gegnerstaaten einzuladen. So hielt es Belarus auch in diesem Jahr, wo der Großteil der Übungen im Rahmen von "Sapad 2025" abgehalten wird: Die akkreditierten ausländischen Militärattachés, darunter Vertreter von neun NATO-Mitgliedstaaten, könnten als Beobachter teilnehmen, teilte das Verteidigungsministerium in Minsk am 13. August mit.
Reiner Schwalb, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und von 2011 bis 2018 Militärattaché an der deutschen Botschaft in Moskau, erklärt das Verfahren: Üblicherweise gebe es im Vorjahr Absprachen zwischen der jeweiligen Regierung im Gastland und dem Corps der Militärattachés, die dort akkreditiert sind. Schwalb nahm 2013 und 2017 als Beobachter an "Sapad" teil.
Eingeladen werden die ausländischen Militärvertreter bei Manövern üblicherweise zu den Abschlussübungen, bei denen die beteiligten Streitkräfte Fähigkeiten einiger Truppenteile präsentieren.
Möglichst viele Informationen sammeln
Schwalb sagt, mit militärischer Expertise könne man an solchen Vorführungen ablesen, ob nur eine Show aufgeführt oder militärisches Können demonstriert werde. Das betreffe zum Beispiel den Ablauf der Befehlsketten oder das taktische Handeln auf unterster Ebene. Davon abgesehen könnten sich die Verteidigungsattachés auch im Land bewegen und zum Beispiel an Verladebahnhöfen beobachten, welche Truppenteile Ausrüstung transportieren. Untersagt ist üblicherweise das Fotografieren.
Schwalb plädiert dafür, alle angebotenen Möglichkeiten zur Manöver-Beobachtung zu nutzen, auch wenn Länder wie Belarus und Russland so etwas propagandistisch ausschlachteten. Es gehe darum, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und Signale wahrzunehmen, zum Beispiel ob gedroht oder beruhigt werden solle.
Insbesondere im Rahmen des so genannten Wiener Dokuments sollten Experten als Beobachter entsendet werden, so Schwalb. Dieses Wiener Dokument wurde 1990 von den Teilnehmerstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beschlossen und zuletzt 2011 aktualisiert. Ziel ist es, auf militärischer Ebene Transparenz und Vertrauen zu schaffen, auch um Zwischenfälle und die Verschärfung von Konflikten zu verhindern - wie in der Nacht auf den 10. September geschehen, als zahlreiche russische Drohnen in den polnischen Luftraum eindrangen.
Abschreckung durch Transparenz
Deutschland kommt seinen Verpflichtungen im Rahmen des Wiener Dokuments weiter nach. Um militärische Fähigkeiten transparent zu machen, lud die Bundesregierung zum Beispiel am 12. und 13. Mai nach Deutschland ein. Laut einer Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums nahmen 57 Beobachterinnen und Beobachter aus 28 OSZE-Teilnehmerstaaten sowie ein Partnerstaat der Organisation teil.
Neben dem vertrauensbildenden Charakter hätten solche Maßnahmen zur Rüstungskontrolle eine weitere Funktion: "Sie leisten durch Transparenz und Offenheit auch einen Beitrag zur Abschreckung, indem sie die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte dokumentieren."
Dies sieht Schwalb als Argument dafür, auch Beobachter aus Russland zu NATO-Übungen einzuladen. Zudem könne man so klar zeigen, dass es sich um Übungen zur Verteidigung und nicht zum Angriff handele.
Vor 2022 sei Belarus und Russland regelmäßig Beobachtung angeboten worden, zum Beispiel im Rahmen der NATO-Großübung "Trident Juncture" 2018, teilte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage mit. Seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 seien Russland und Belarus jedoch nicht mehr zu Manövern oder Militärübungen eingeladen worden. Ein Grund sei, dass Russland die Implementierung des Wiener Dokuments seitdem vollständig ausgesetzt habe.
Keine deutschen Beobachter bei Sapad 2025
Zu "Sapad 2025" lud Belarus trotzdem neben den akkreditierten Militärattachés auch Beobachter der OSZE-Staaten ein. Man habe die Organisation bereits vergangenes Jahr über "Sapad 2025" informiert.
Die Bundesregierung nahm diese Einladung nicht an: "Vor dem Hintergrund des fortdauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat die Bundesregierung in enger Abstimmung mit unseren Partnern und Verbündeten entschieden, bis auf Weiteres keine Maßnahmen nach dem Wiener Dokument auf den Gebieten Russlands und Belarus durchzuführen", teilte die Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums mit.
Ihr und dem Auswärtige Amt zufolge wird in diesem Jahr auch kein akkreditierter Verteidigungsattaché zugegen sein. An "Sapad 2021" nahm der Verteidigungsattaché der deutschen Botschaft in Minsk noch als Beobachter teil.
Regeln umgangen
Experten wiesen schon bei "Sapad 2017" darauf hin, dass Russland die Regeln des Wiener Dokuments umgangen habe. So fanden im Zusammenhang mit dem Großmanöver kleinere Truppenübungen statt. Die daran teilnehmenden Soldaten und Panzer wurden jedoch in den offiziellen Angaben nicht mitgezählt.
Damit mussten bestimmte Pflichten im Rahmen des Wiener Dokuments, die zum Beispiel ab einer Größe von 13.000 Soldaten oder 300 Panzern gelten, nicht eingehalten werden. Auch deklariert Russland die Manöver als defensiv. Experten sahen in dem trainierten Szenario gegen den fiktiven Staat "Weischnoria" aber einen Großangriff auf NATO-Staaten.
Russland lehnte Anpassung ab
Sicherheitsexperten und Politiker drängen deshalb seit Jahren darauf, das Wiener Dokument den Entwicklungen anzupassen. Ein entsprechendes Modernisierungspaket habe Deutschland mit 33 weiteren Staaten schon vor sechs Jahren vorgelegt, so die Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums. Doch Russland habe dies "kategorisch abgelehnt", und weiter: "Solange der russische Angriffskrieg andauert, sind keine Fortschritte zu erwarten."
Die OSZE bestätigt: Es habe jahrzehntelang Bemühungen um die Weiterentwicklung des Wiener Dokuments gegeben, was auch immer wieder zu Aktualisierungen geführt habe. "Diese Arbeit wurde jedoch 2022 eingestellt."
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