Die Bodenoffensive in Gaza-Stadt hat begonnen - das bestätigte Israels Armee, nachdem in der Nacht massive Angriffe gemeldet worden waren. Bei den Angehörigen der Geiseln wächst die Angst. Sie machen Premier Netanjahu schwere Vorwürfe.

Das israelische Militär hat den Beginn der Bodenoffensive in der Stadt Gaza bestätigt. Nach der Anweisung der politischen Spitze hätten israelische Truppen "den Bodeneinsatz in die Hamas-Hochburg ausgeweitet, in die Stadt Gaza", sagte ein Sprecher vor Journalisten. Es handele sich um ein "schrittweises Manöver", an dem Luft- und Bodenstreitkräfte beteiligt seien.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hatte Medienberichten zufolge zuvor gesagt, Israel habe "eine intensive Operation in Gaza-Stadt begonnen".

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, über die Offensive in Gaza-Stadt und die Reaktionen in Israel

tagesschau24, 16.09.2025 12:00 Uhr

Ziel sei es, die Hamas-Kräfte in diesem Gebiet auszuschalten, sagte der Sprecher nun. Unter der Stadt befinde sich ein ausgedehntes, unterirdisches Tunnelnetzwerk der Terrormiliz. Israel gehe davon aus, dass sich bis zu 3.000 kampfbereite Hamas-Mitglieder in der Stadt Gaza aufhalten.

Man werde alles unternehmen, um die Sicherheit der verbliebenen Geiseln und Zivilisten in Gaza zu gewährleisten, so der Sprecher. Rund 40 Prozent der Zivilisten - mehr als 350.000 Menschen - hätten die Stadt nach israelischen Militärinformationen bereits verlassen. Neben dem Einsatzplan gebe es auch einen Plan zur humanitären Versorgung der Zivilbevölkerung.

Auswirkungen auf humanitäre Lage

Internationale Hilfsorganisationen haben immer wieder vor einer Verschärfung der schlimmen humanitären Lage im Gazastreifen gewarnt.

Auch die Nahost-Expertin der Heinrich-Böll-Stiftung, Bente Scheller, schätzt die Auswirkungen der Offensive auf die Zivilbevölkerung als dramatisch ein. Im Interview mit tagesschau24 erklärte sie, die Lage sei schon vor den jüngsten Angriffen menschenunwürdig gewesen. Nun werde sich der Mangel an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten noch weiter verschärfen. Zudem hätten die Menschen keinen sicheren Ort, wohin sie flüchten könnten, so Scheller.

Die Europäische Union forderte angesichts der jüngsten Offensive der israelischen Armee ein Ende des "Kreislaufs von Gewalt, Zerstörung und Leiden". "Eine militärische Intervention wird zu mehr Zerstörung, mehr Tod und mehr Vertreibung führen", sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Zudem werde dies auch "die bereits katastrophale humanitäre Lage verschärfen und die Leben der Geiseln gefährden", fügte er hinzu.

Bente Scheller, Heinrich-Böll-Stiftung, zu Israels Bodenoffensive in Gaza-Stadt

tagesschau24, 16.09.2025 11:00 Uhr

Katz: "Gaza brennt"

In der Nacht hatte Israels Militär die Angriffe auf Gaza-Stadt massiv intensiviert. "Gaza brennt", schrieb der israelische Verteidigungsminister Israel Katz auf Telegram. "Wir werden nicht nachlassen und nicht zurückweichen - bis die Mission abgeschlossen ist."

Laut palästinensischen Medienberichten drangen Panzer in die Stadt ein. Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa flogen israelische Kampfflugzeuge in der Nacht nahezu ununterbrochen heftige Attacken auf die im Norden des Gazastreifens gelegene Stadt, begleitet von Artilleriebeschuss. Es gebe zahlreiche Tote, hieß es.

Augenzeugen berichteten, Häuser seien zerstört worden und Bewohner unter den Trümmern verschüttet. Israelischen Medienberichten zufolge waren die schweren Explosionen im Norden des Gazastreifens auch in Israel zu hören.

Kurz zuvor hatte US-Außenminister Marco Rubio Zweifel geäußert, ob der Gaza-Krieg auf diplomatischem Wege beendet werden kann. "Wenn es also nicht auf diese Weise endet, dann muss es durch einen militärischen Einsatz beendet werden", wurde er nach einem Gespräch mit dem US-Sender Fox News während seines Aufenthalts in Israel zitiert. Er glaube, dass Israel diesen Weg selbst nicht bevorzuge.

Scharfe Worte aus Ägypten an Israel

Gestern hatte mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi erstmals seit Jahrzehnten ein Staatsoberhaupt des Landes Israel wieder öffentlich als "Feind" bezeichnet. Das bestätigte der Vorsitzende des Staatsinformationsdiensts SIS, Diaa Raschwan, im lokalen Fernsehen. In einer Rede am Montag beim arabisch-islamischen Gipfeltreffen in Katar hatte al-Sisi betont: "Der Feind" (gemeint ist Israel) müsse erkennen, dass die Länder der Region in ihrer Position gegenüber Israel geeint seien und nicht zersplittert. Bei dem Gipfel wurde Israels Vorgehen im Gazastreifen erneut scharf verurteilt.

Vertreter aus rund 60 arabischen und islamischen Ländern hatten am Montag in Katar zur Lage in der Region beraten. Anlass war Israels Angriff auf Hamas-Führungspersonal in der katarischen Hauptstadt Doha vergangene Woche. Ägypten und Katar vermitteln neben den USA im Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Die Gespräche über eine Waffenruhe und die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln kommen aber seit Monaten nicht voran.

Angehörige: "Könnte die letzte Nacht für die Geiseln sein"

Das Forum der Angehörigen der in Gaza festgehaltenen Geiseln äußerte derweil große Besorgnis angesichts der Berichte über die begonnene Einnahme der Stadt Gaza. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen "könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein", hieß es in einer Erklärung des Forums. Israels Premier Netanjahu entscheide sich bewusst dafür, "sie aus politischen Erwägungen zu opfern". Er ignoriere dabei völlig die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden.

Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, sind gegen eine Waffenruhe. Das israelische Sicherheitskabinett hatte im August die Einnahme der Stadt Gaza gebilligt. Das israelische Militär rief die Bewohner der Stadt auf, in sogenannte humanitäre Zonen weiter südlich im von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu flüchten.

Geiseln als menschliche Schutzschilde?

Israelische Medien berichteten unter Berufung auf palästinensische Quellen, die Hamas habe Geiseln aus unterirdischen Tunneln geholt und in Häuser und Zelte in der Stadt gebracht, um die israelische Armee an Einsätzen in bestimmten Gebieten zu hindern. Die Mutter eines verschleppten Mannes sagte demnach, ihr Sohn werde in Gaza als menschlicher Schutzschild missbraucht.

Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind. Viele von ihnen befänden sich jetzt in der Stadt Gaza, hieß es in der Erklärung des Forums der Angehörigen. Ministerpräsident Netanjahu trage die persönliche Verantwortung für das Schicksal der Geiseln. "Das israelische Volk wird die Opferung der Geiseln und Soldaten nicht verzeihen", hieß es weiter.

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