Per Mausklick durch Assads Foltergefängnis
Das Foltergefängnis Sednaya steht beispielhaft für die Gräuel während der Assad-Herrschaft. Ein internationales Team hat in Syrien recherchiert und mithilfe von Zeugen ein 3D-Projekt entwickelt, das beklemmende Einblicke liefert.
Kein anderes Gebäude steht so sehr für den Horror des Assad-Regimes wie das Foltergefängnis Sednaya. Fast idyllisch liegt es auf einem Hügel außerhalb der syrischen Hauptstadt Damaskus.
Doch als sich im Dezember letzten Jahres nach dem Sturz des Diktators die Tore öffneten, wurde das Grauen greifbar: ausgezehrte Insassen, verzweifelte Angehörige, die ihre vermissten Liebsten suchen - und in jeder Hinsicht menschenunwürdige Zustände.
Noch Wochen später erinnerte der schwer erträgliche Geruch von Fäkalien, Zerfall und Verzweiflung an den Horror, der sich jahrzehntelang zwischen diesen Wänden abspielte. Diesen Geruch können sie nicht nachbilden, aber das Team des Syria Prisons Museum um die beiden Exilsyrer Amer Matar und Amr Khito will das Gefängnis in seinem Zustand unmittelbar nach dem Assad-Sturz zeigen.
Schon kurz danach war ihr Team vor Ort, um mit 360-Grad-Kameras den Zustand des Gebäudes zu dokumentieren. Jede Ecke, jede Zelle, jede Inschrift an den Wänden sollte aufgenommen werden - vielleicht war es eine letzte Botschaft eines Todgeweihten an seine Familie.
Digitales Mahnmal
Als 3-D-Modell im Internet soll das Gefängnis nun zum Mahnmal werden für Syrien und die Welt. Und es soll helfen, aufzuklären, was dort passiert ist. "Immer noch werden in Syrien viele Menschen vermisst, und keiner weiß, was mit ihnen geschehen ist", sagt Amer Matar. Er selbst sucht bis heute seinen Bruder.
Konzentriert schaut Matar an einem verregneten Sommernachmittag in einem kargen Büro in Berlin-Kreuzberg auf eine Wand, wo die virtuelle Rekonstruktion von Sednaya erscheint. Zugeschaltet sind verschiedene seiner Mitstreiter, sie wollen die Website testen.
Überlebende berichten vom Alltag im Gefängnis
Per Mausklick kann sich der Betrachter durch das Gefängnisgebäude mit seiner markanten dreiflügeligen Form bewegen - ein Ort, wo unzählige Menschen, manche viele Jahre ihres Lebens, eingepfercht auf wenigen Quadratmetern dahinvegetieren mussten. Folter, Hunger und Entbehrung waren Teil der Terrormaschinerie, um die Insassen zu brechen.
Die Animation stoppt, ein Überlebender erscheint, erzählt seine Geschichte. Das Team hat viele Interviews mit ehemaligen Insassen und ihren Familien geführt, um den Alltag im Gefängnis zu recherchieren. 22 verschiedene Sednaya-Zeugen kann der Besucher im virtuellen Museum "treffen".
Demütigungen, Schläge, unmenschliche Behandlung
Tischler Mustafa Taama wurde inhaftiert, weil er sich der Opposition gegen Assad angeschlossen hatte, Muhammad Ahmad Saad Eddin, weil er die Proteste gegen Assad filmte. Sie berichten von Demütigungen, Schlägen, der unmenschlichen Behandlung durch Wärter und Ärzte.
Beide waren tagelang in Einzelhaft, nackt, in völliger Dunkelheit, ohne Essen, umgeben von Ratten. "In neun Jahren Haft habe ich die Sonne nur einmal gesehen", berichtet Muhannad Faysal Khamees, der aus Assads Armee desertiert war. Mitgefangene wurden vor seinen Augen ermordet oder verschwanden einfach.
Eindrücklich dokumentiert das Projekt die systematische Grausamkeit des Assad-Regimes, der die Häftlinge hilflos ausgeliefert waren. Die beiden Gründer des Syria Prisons Museum saßen selbst in Assad-Gefängnissen ein. Sie hatten gewagt, als Journalisten 2011 über den Aufstand gegen den Diktator zu berichten.
Amr Khito flüchtete später nach Kanada, Amer Matar nach Deutschland, wo er einen seinen Folterer, der ebenfalls geflohen war, wiedererkannte und als Zeuge mit dafür sorgte, dass dieser beim Staatsterror-Prozess in Koblenz verurteiltet wurde - in einem rechtsstaatlichen Verfahren.

In einem Flur des Sednaya-Gefängnisses wird für das 3D-Projekt ein Interview geführt.
Unrecht dokumentieren
Matar geht es nicht um Rache, betont er, sondern darum, Unrecht zu dokumentieren, aufzuklären und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen - mit Mitteln der Justiz und des Journalismus.
Begonnen hatten Matar und Khito vor einigen Jahren zunächst mit der Dokumentation von Gefängnissen des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Syrien und im Irak. Als das Assad-Regime im Dezember zusammenbrach, war beiden sofort klar, dass sie ihr Projekt erweitern. Unterstützt werden sie von Kameraleuten und Rechercheuren vor Ort und einem internationalen Team.
Motiondesigner Gary Snyder ist US-Amerikaner und kommt aus der Filmindustrie, er hat an großen Hollywood-Produktionen mitgearbeitet. Die jordanische Projektkoordinatorin Zain Hajahjah ist Architektin. Die Projektredakteure Omar Al-Asaad und Nour Abo Faraj arbeiten von Paris und London aus. Zum Team gehört auch die deutsche Journalistin und Medienexpertin Dagmar Hovestädt, die lange für die Stasi-Unterlagenbehörde gearbeitet hat.

Nach und nach soll auf der Website veröffentlicht werden, was das Team über die grausamen Erlebnisse der Inhaftierten in syrischen Gefängnissen rekonstruiert hat.
Weitere Rekonstruktionen geplant
Mit ihrem digitalen Gefängnisprojekt wollen Matar, Khito und ihr Team die Aufarbeitung in Syrien unterstützen, die bislang nur langsam vorankommt. Ihre Sednaya-Rekonstruktion ist dabei nur der Auftakt - mehr als 160 Assad-Gefängnisse und Haftanstalten hat das Team identifiziert, 72 davon umfassend dokumentiert.
Die Rekonstruktionen sollen nach und nach auf der Website des Syria Prisons Museum erscheinen. Es soll eine Plattform für die Überlebenden sein, aber künftig auch eine Datenbank zu den Verschwundenen enthalten - und die neuen Machthaber in Damaskus daran erinnern, dass die Zivilgesellschaft wachsam ist.
Denn Amer Matar ist beunruhigt angesichts der aktuellen Entwicklungen in Syrien: "Die meisten syrischen Regime-Gefängnisse werden jetzt wieder als Gefängnisse genutzt." Zwar wisse man nicht, ob dort aktuell gefoltert oder Gewalt ausgeübt werde so wie früher, "aber allein schon die gleichen schrecklichen Gebäude zu benutzen, ist grauenhaft".
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke