Die derzeitige politische Krise in Japan liegt auch an einer neuen Partei am rechten Rand: der Sanseito. Die "Japaner First"-Populisten vergleichen sich mit der AfD - und mischen die politische Landschaft auf.

Ob man ihn den "japanischen Donald Trump" nennen dürfe, wurde Sohei Kamiya in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder gefragt. "Nein, nein", lächelt der Parteichef der Sanseito dann stets. Er und Trump, das sei nicht dasselbe.

Dass dieser Vergleich allerdings nicht allzu weit hergeholt ist, dazu reicht schon ein Blick auf den Leitspruch seiner vor fünf Jahren gegründeten Partei: "Nihonjin First" - "Japaner zuerst". Auch ideologisch findet sich viel von dem wieder, was Populisten weltweit zum Erfolg verhilft: Das politische Establishment, die sogenannten Altparteien seien an allem schuld, Globalisierung sei schlecht und Ausländer seien ein großes Problem.

Im Gespräch mit dem ARD-Studio Tokio wirkt Kamiya deutlich gemäßigter als auf seinen Kundgebungen. Der 47-Jährige, der vor seinem Politikerleben den Supermarkt seiner Eltern leitete, ist ein ruhiger Gesprächspartner.

In seine im Interview bisweilen charmante Rhetorik verpackt er seine Vorstellung vom Japan der Zukunft: einem Land mit möglichst wenigen Ausländern. Schließlich mache ihm die meiste Angst, dass die japanische Kultur und Sprache zerstört werden könne. Das ließe sich nicht so leicht zurückbringen, behauptet Kamiya.

Wachsende Zuwanderung als Thema

In Japan leben knapp 3,8 Millionen Ausländer. Gemessen an der Gesamtbevölkerung sind das rund drei Prozent. In Deutschland liegt der Anteil bei rund 15 Prozent. Dass die japanische Kultur durch eine massenweise Einwanderung von Ausländern zerstört wird - davon kann also keine Rede sein.

Tatsache ist aber auch: Der Zuwachs der ausländischen Bevölkerung hat zuletzt drei Mal hintereinander Rekordwerte erreicht. Für das ethnisch sehr homogene Japan ist das durchaus eine Veränderung. Doch ist diese Veränderung mit Blick auf die demographische Entwicklung des überalterten Landes vielleicht notwendig?

Er spüre eine große Unsicherheit in der Bevölkerung, sagt Kamiya. Wirtschaftlich sei es in den vergangenen 30 Jahren immer weiter bergab gegangen. Der schwache Yen und hohe Preise wie etwa beim wichtigsten Lebensmittel Reis, treffen Japanerinnen und Japaner tatsächlich stark: Ein Kilo Reis kostet heute etwa doppelt so viel wie noch vor einem Jahr.

Gleichzeitig kommen so viele Touristen wie noch nie ins Land - von denen viele derzeit ausgabefreudiger sind als die Japaner. Entsprechend steigt der Unmut in der Bevölkerung - auch über Ausländer im Allgemeinen.

Politischer Einfluss überschaubar

Genau in diese Gefühlslage stoßen Kamiya und seine Sanseito-Partei. Mit Erfolg: Bei der Wahl zum Oberhaus stieg die Zahl der Sitze der Partei von nur einem auf 15. In der wichtigeren Parlamentskammer, dem Unterhaus, verfügt sie allerdings nur über drei Sitze.

Keine Frage: Die Sanseito hat einen schnellen Aufstieg hingelegt und an Einfluss hinzugewonnen. Sie bleibt aber eine kleine Partei, die in absehbarer Zeit kaum realistische Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat.

Ihre Stärke ist in erster Linie eine Schwäche der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs praktisch durchgängig regierenden konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP). Die mit Abstand größte Volkspartei steckt seit mehreren Skandalen in einer Glaubwürdigkeitskrise. Nach dem Attentat auf den ehemaligen Premier Shinzo Abe fehlt zudem gerade für Wählerinnen und Wähler rechts der Mitte im traditionell sehr konservativen Japan eine Alternative.

Eine neue politische Heimat finden viele nun bei der Sanseito. Das gilt auch für junge, bislang nicht oder nur wenig politikinteressierte Menschen. Sie werden von der Sanseito vor allem in den sozialen Medien angesprochen. Denn Instagram-Reels oder TikTok-Shorts findet man bei den konservativen Politikern der LDP kaum.

Austausch mit der AfD

Es ist ein Vakuum, das in Deutschland auch die AfD nutzt - und offenbar noch weiter ausbauen will. AfD-Chef Tino Chrupalla hat sich bei Sohei Kamiya persönlich erkundigt, wie der Japaner dem ARD-Studio Tokio erzählt: "Wir haben uns eine Stunde lang unterhalten, und ungefähr 70 Prozent davon wollte er etwas über die Sanseito wissen. Er hat mir die ganze Zeit Fragen gestellt."

Andersrum möchte sich die "Partei der politischen Teilhabe", was Sanseito wörtlich übersetzt bedeutet, in der Migrationspolitik an ihrem deutschen Pendant orientieren. Die Forderungen sind scheinbar einfach: Ausländische Straftäter in ihre alte Heimat zurückschicken, Sozialleistungen für Migranten runterfahren, Hürden für die Visavergabe erhöhen.

Kamiya wolle vor allem im Hinblick auf muslimische Einwanderergruppen "ethnische Konflikte" vermeiden, bevor sie entstünden, sagt er. Das ginge nur, solange die Probleme klein seien. Kritiker werfen Kamiya wegen solcher und ähnlicher Äußerungen Fremdenfeindlichkeit vor.

Etabliert sich die Sanseito?

Politikwissenschaftler wie Nozumo Yamazaki von der Chuo-Universität glauben nicht, dass die Sanseito schnell wieder von der politischen Bildfläche Japans verschwindet. Vor allem, weil sie regional gut aufgestellt sei und weil das Thema Einwanderung allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung groß bleiben werde.

Noch mehr wird aber von den anstehenden Personalentscheidungen bei der konservativen LDP abhängen: Wer wird Nachfolger oder Nachfolgerin des vor wenigen Wochen zurückgetretenen Ex-Regierungschefs Shigeru Ishiba an der Spitze von Partei und Land?

Ein modernerer Kandidat, der die Sorgen der Bevölkerung besser versteht, könnte Sohei Kamiya und seiner Sanseito schnell den Wind aus den Segeln nehmen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke