Vor einem Jahr wurde der Anführer der Hisbollah, Nasrallah, bei einem israelischen Luftangriff in Beirut getötet. Noch immer wird er im Libanon verehrt - nicht nur von Anhängern der Terrormiliz.

Dort, wo mal ein mehrstöckiges Wohnhaus stand, klafft ein riesiges Loch. Ein Jahr später erinnern Schuttberge inmitten eines Wohngebiets im Süden Beiruts immer noch an den Moment, der die gesamte Region veränderte: "Wir haben eine große und bedeutende Persönlichkeit verloren, einen arabischen Anführer, der siegreich und standhaft war", sagt Moussa Ali Gamlouche, der ein Restaurant um die Ecke betreibt. Das Viertel gilt als Hochburg der Anhänger der Schiitenmiliz Hisbollah.

Rückblick: Am 27. September 2024 warf Israels Armee tonnenschwere Bomben über einem dichtbesiedelten Beiruter Vorort ab. Ihr Ziel: Der Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah, der sich dort in einem unterirdischen Bunker befand. Seine gezielte Tötung schockierte seine Anhänger weit über die Grenzen des Libanon hinaus.

Särge stehen am Ort des Luftangriffs auf Nasrallah, um der Opfer der Attacke vor einem Jahr zu gedenken.

Weiterhin als Führer verehrt

Nasrallah wurde von vielen als spiritueller Führer kultisch verehrt. Bilder des bärtigen Mannes mit schwarzem Turban hängen heute noch von vielen Balkonen. Mehr als drei Jahrzehnte lang hat Nasrallah die Hisbollah in deren sogenannten Kampf gegen Israel angeführt. Den letzten Krieg startete er im Oktober vor zwei Jahren - nach eigenen Angaben - aus Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen.

Für seine schiitischen Anhänger, aber auch für viele Libanesinnen und Libanesen war der Anführer der personifizierte Widerstand gegen Israel - so auch für Riya, die sich politisch nicht mit Hisbollah identifiziert. Die 30-Jährige mit offenen Haaren und Designer-Brille sagt, Nasrallah sei seit ihrer Kindheit eine wichtige Persönlichkeit im Libanon gewesen: "Es ist, als ob sie einen Helden getötet haben."

Ein Jahr nach Nasrallahs Tod greift Israels Armee den Libanon weiterhin an, besetzt Stellungen im Süden des Landes - trotz der mit der Hisbollah unter Vermittlung der USA vereinbarten Waffenruhe im November letzten Jahres. Die im Süden stationierten UN-Friedenstruppen dokumentieren nach eigenen Angaben fast täglich Verstöße gegen die Vereinbarungen.

Hisbollah kämpft weiter

Die Hisbollah hingegen ist militärisch geschwächt und ihr neuer Anführer Naim Kassim nicht annähernd so charismatische wie Nasrallah. In seiner Ansprache vergangene Woche gab sich Kassim trotzdem kämpferisch: "Die Prioritäten müssen sein: den Angriff zu stoppen, Israel zu bekämpfen, die Besatzer zu vertreiben, mit dem Wiederaufbau zu beginnen."

Die Miliz weigert sich vehement, die Waffen niederzulegen. Genau das will die libanesische Regierung aber jetzt durchsetzen - offen bleibt, wie. Klar ist: Der internationale Druck ist groß. Besonders aus den USA. Ohne die Entwaffnung fließt kein Geld in den maroden Staat. Besonders die libanesische Armee braucht dringend Investitionen, wenn sie künftig allein das Land verteidigen soll.

Droht also ein neuer Bürgerkrieg? Khalil Helu, pensionierter General der libanesischen Armee, bezweifelt das: "Wenn die Hisbollah doch überraschend die Waffen niederlegt, gibt es kein Problem. Wenn sie sich nicht darauf einlassen, sind sie dennoch nicht in der Lage zu einem Staatsstreich, bei dem sie die libanesische Regierung entmachten. Sie sind dazu nicht in der Lage."

Angst vor weiteren israelischen Angriffen

Egal, wen man im Libanon fragt - einen neuen Bürgerkrieg will niemand. Im Süden Beiruts sprechen sich Anhängerinnen der Schiitenmiliz aber dagegen aus, die Waffen niederzulegen. Nicht, solange Israel den Libanon weiterhin angreift, meint Fatima Naim: "Wenn wir die Waffe abgeben, dann sind wir verloren. Die Waffe ist die einzige Stütze, die wir noch haben."

Fatima spricht aus, was viele Libanesinnen und Libanesen fürchten: Israels Armee könnte den Libanon weiter bombardieren und weitere Teile des Südens besetzen. Libanons Armee wäre dann allein nicht in der Lage, das Land zu verteidigen.

Nina Amin, ARD Kairo, tagesschau, 26.09.2025 18:48 Uhr

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