Sind die Tories noch zu retten?
Die Umfragewerte der britischen Konservativen sind historisch schlecht, die Führung ist unbeliebt. Auf dem Parteitag will Chefin Badenoch zwar Optimismus heraufbeschwören. Doch sie könnte ihren Posten bald räumen müssen.
"Da sind Ärger und Entmutigung" - so beschreibt Peter Cardwell, ehemaliger Sonderberater der britischen Regierung, die aktuelle Stimmung bei den Tories. Cardwell hat viele Kontakte in die konservative Partei des Vereinigten Königreichs und ergänzt: "Es gibt ein Gefühl, dass sich etwas ändern könnte." Aber ob das unter der derzeitigen Parteivorsitzenden Kemi Badenoch sein wird, da sei er sich nicht sicher.
Die Lage der ältesten britischen Partei ist dramatisch. Lange galt sie auch als die erfolgreichste Partei, die nicht nur die längste Zeit der vergangenen 100 Jahre regierte, sondern nach Niederlagen immer wieder auf die Beine kam. Doch dieses Mal sind sich viele Experten einig, dass die Conservative Party eine ihrer größten Krisen durchmacht.
Stetig bergab
Schon bei der Parlamentswahl 2024 wurden die Konservativen mit einem historisch schlechten Ergebnis abgestraft, erhielten mit 24 Prozent der Stimmen nur 121 Sitze. Nach dem Brexit-Fiasko, zahlreichen Skandalen, Führungs-Rochaden und harter Sparpolitik hatten die Wählerinnen und Wähler genug.
Doch seitdem ging es noch weiter bergab. Die nächste Parlamentswahl ist zwar erst 2029. Doch wäre sie heute, würden laut Meinungsforschungsinstitut Yougov nur noch 17 Prozent die Conservatives wählen. Die Partei käme auf maximal 68 Sitze, so wenig wie noch nie.
Längst hat Reform UK die Tories rechts überholt. Seit Beginn des Jahres liegen die Rechtspopulisten in den Umfragen vorn, bei etwa 30 Prozent. Mit ihren gerade einmal vier Abgeordneten gelten sie als wichtigste Oppositionspartei und dominieren den politischen Diskurs, allen voran mit ihrer scharfen Migrationspolitik. Ein großer Teil der Reform-Unterstützer sind Ex-Wähler der Konservativen. Und nicht nur das: Rund ein Dutzend Tory-Politiker traten zuletzt zur Konkurrenz über.
Politikwissenschaftler Tim Bale von der Queen-Mary-Universität beschreibt Reform UK als die Geister, die die Konservativen riefen: "Die Tories konnten dem Land nicht zu Wohlstand verhelfen, sie haben öffentliche Dienste durch ihre Sparpolitik lahmgelegt und Versprechungen zur Einwanderung gemacht, die sie unmöglich halten konnten. Großbritannien aus der EU zu drängen, hat die Probleme noch verschlimmert. So haben sie einen Raum für Reform UK geschaffen."
"Badenoch verfehlt Themen"
Und die Rechtspopulisten sind radikaler als die Konservativen, ihr Chef Nigel Farage ist schillernder. Kemi Badenoch, die aus dem rechten Parteiflügel kommt, sollte die Konservativen zwar aus dem Umfragetief ziehen und versprach "Erneuerung". Doch eine Vision für die Partei bleibe nach nunmehr einem Jahr im Amt aus, sagt Politikbeobachter Cardwell. Badenoch habe nach der starken Ablehnung der Tories durch die Wähler damit wahrscheinlich einen Job gehabt, der nicht zu schaffen war. "Aber sie hat sich bei den Briten auch nicht beliebt gemacht und keinen Draht zu den Wählern gefunden."
Badenoch verfehle Themen, sagt auch Politikwissenschaftler Bale. Sie scheine von Kulturkampf-Themen besessen zu sein, nicht von dem was die Menschen im Alltag umtreibt. So macht Badenoch zwar Schlagzeilen mit Äußerungen über Transgeschlechtlichkeit oder mutmaßlich gefährdete Meinungsfreiheit, für die sie innerhalb der Partei auch Beifall erhält. Doch sie fällt weniger auf mit Plänen, etwa zur Bekämpfung von Armut oder für mehr Bildungsgerechtigkeit.
"Reform light" nennen manche die Versuche, dem Konkurrenten rechtsaußen nachzueifern, vor allem bei der Klima- und Migrationspolitik. Auf dem Parteitag hat Badenoch bereits verkündet, dass die Konservativen Großbritannien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention lösen wollten, wenn sie die nächste Parlamentswahl gewönnen, um somit leichter abschieben zu können. Klimaziele wolle sie zurücknehmen. Beides sind schon lange Forderungen der deutlich beliebteren Reform-UK-Partei.

Robert Jenrick wird als Nachfolger von Kemi Badenoch an der Spitze der britischen konservativen Partei gehandelt.
Kann Badenoch sich halten?
Dabei liebäugeln bisherige moderate Unterstützer der Konservativen und einige unentschlossene Wähler auch mit den progressiven Liberaldemokraten. Diese sind den Konservativen derzeit mit 15 Prozent dicht auf den Fersen und könnten sie auf Platz vier in den Umfragen verdrängen. Erstmals werden die Konservativen nun von zwei Seiten in die Mangel genommen: durch Reform UK von rechts, von der sozialdemokratischen Labour-Partei, den Grünen und Liberaldemokraten von links. Das macht ihre Lage so prekär.
Cardwell meint, die Konservativen bräuchten vor allem eine neue Parteispitze. Robert Jenrick käme in Frage, der inhaltlich näher an Reform UK sei und schon letztes Jahr gemeinsam mit Badenoch für die Parteiführung angetreten war. Dieser könne besser kommunizieren, habe sich als starker Oppositionspolitiker bewiesen. Wahrscheinlich sei, dass die Konservativen bis zu den Kommunalwahlen im nächsten Mai mit dem Führungswechsel warten, sagt auch Experte Bale. "Danach werden Badenochs Rivalen die schlechten Ergebnisse als Argument nutzen, um sie loszuwerden."
Der Labour-Premierminister Keir Starmer ist sich bereits sicher: "Die Conservative Party ist tot." Doch er hat jüngst mit einer ungewöhnlich flammenden und deutlichen Parteitagsrede, in der er Labour klar von Reform UK abgrenzte, bewiesen, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. Möglich also, dass Badenoch das Ruder auf dem Parteitag doch noch herumreißt. Oder dass die Conservatives einmal ähnlich von der Krise profitieren wie heute Reform UK - sollte die Wirtschaft weiter kränkeln, Labour weiter schwächeln und sich Reform UKs Mangel an realitätsnahen Lösungen offenbaren.
"Es ist schwer, sich vorzustellen, wie sie aus diesem Tief wieder auferstehen wollen", sagt Bale. "Aber ich bin nicht sicher, ob die Conservative Party schon tot ist. Sie ist wohl eher auf der Intensivstation."
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