Das gestohlene Getreide der Ukraine
Die Ernte in den besetzten ukrainischen Gebieten wird für die russische Landwirtschaft immer wichtiger, teils wird sie exportiert. Ukrainische Agrarunternehmen fühlen sich betrogen und fordern, mehr Druck auf Russland auszuüben.
Ruslan Masurenko steht auf dem Gelände seines Getreidelagers in der Region Kiew. Gerade schaut er zu, wie mehrere Tonnen Leinsamen auf einen Lkw geladen werden, fertig für den Export ins europäische Ausland.
Der Geschäftsführer des ukrainischen Landwirtschaftsunternehmens Harveast blickt zufrieden auf die diesjährige Ernte. "Es gab zwar einen sehr trockenen Monat, aber wir pflanzen auch viele Winterkulturen an, die nicht so viel Feuchtigkeit aufnehmen müssen", sagt Masurenko. In der Region Kiew bewirtschaftet sein Betrieb 25.000 Hektar Land, ein Gebiet so groß wie etwa 35.000 Fußballfelder. Der Großteil davon wird mit Mais und Sonnenblumen bewirtschaftet, auch Raps und Weizen werden angebaut.
Von Donezk nach Mariupol nach Kiew
Eigentlich stammt Masurenko aus Mariupol. Mit Beginn der russischen Großinvasion 2022 haben er und das Unternehmen jedoch die Region im Südosten der Ukraine verlassen. Schon zum zweiten Mal musste Harveast umziehen. Bis 2014 war der Hauptsitz in Donezk. Ursprünglich besaß das Unternehmen dort 200.000 Hektar Land.
Heute werden die Flächen von Russland kontrolliert, das die Gebiete im Osten der Ukraine besetzt hält. "Diese Gefühle sind schwer zu beschreiben. Es ist so verletzend und unverständlich", sagt Masurenko dazu. Dass Russland nun die Ackerflächen kontrolliert und mit dem Getreide Geschäfte macht, sei nichts anderes als Banditentum.
"13 Millionen Tonnen, die wir im Jahr verlieren"
Kornkammer Europas - so wird die Ukraine genannt. Getreide ist das Exportgut Nummer eins, laut UN mit 24 Prozent aller ukrainischen Exporte im vergangenen Jahr. Trotz Krieg konnte die Ukraine ihre Ausfuhren wieder steigern. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums wurden 2024 Agrarprodukte im Wert von knapp 21 Milliarden Euro exportiert. Damit näherte sich die Ukraine wieder dem Niveau vor der russischen Großinvasion.
Möglich wurde das auch durch militärische Erfolge der ukrainischen Seestreitkräfte im Schwarzen Meer. Denn vor allem dort wird das Getreide verschifft. Russland hatte das Schwarze Meer zeitweise mit seiner Marine blockiert, doch mit selbst entwickelten Seedrohnen hatte die Ukraine die Handelsroute wieder freigekämpft.
Trotzdem kann die Ukraine weiterhin auf einen Teil ihres landwirtschaftlichen Ertrags nicht zugreifen, denn Russland hält etwa 20 Prozent der Ukraine besetzt. "Wenn wir den Ertrag im Jahr 2021, vor Beginn der aktiven Phase des Krieges, mit dem von heute vergleichen, dann sind das 13 Millionen Tonnen, die wir im Jahr verlieren", sagt Oleh Chomenko vom Verband der Ukrainischen Agrarwirtschaft UKAB. Das sei ein ziemlich großes Volumen im Vergleich zur gesamten landwirtschaftlichen Produktion.
Gestohlenes Getreide immer wichtiger für Russland
Dieses gestohlene Getreide aus den besetzten Gebieten wird offenbar immer wichtiger für die russische Landwirtschaft. 2024 lieferten die besetzten Gebiete von Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja drei Prozent der gesamten russischen Getreideernte, teilte das Landwirtschaftsministerium in Moskau mit. Ohne diese Regionen wäre die Ernte damals noch schlechter als ohnehin schon ausgefallen. Wegen schlechten Wetters im Süden Russlands hatten die Landwirte erhebliche Ausfälle zu beklagen.
In diesem Jahr wiederum rechnen die russischen Besatzungsbehörden allein in Luhansk mit etwa einer Million Tonnen Getreide für 2025, das wäre doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Ein Teil davon soll ins Ausland exportiert werden.
Der ukrainische Landwirtschaftsexperte Oleh Chomenko hält die Zahlen noch für untertrieben. "In Luhansk und Donezk war die Landwirtschaft sehr aktiv und entwickelte sich auch sehr stark. Die Besatzungsbehörden können Fakten und Zahlen manipulieren, um mögliche Sanktionen zu verhindern."
Sporadischer Kontakt zu ehemaligen Kollegen
Masurenkos Unternehmen Harveast zählte vor der russischen Großinvasion 1.200 Mitarbeitende. Jetzt sind es nur noch 250. Manche von ihnen flüchteten vor dem Krieg ins Ausland, andere blieben in den besetzten Gebieten. "Eine Zeit lang hielten wir engen Kontakt zu allen Mitarbeitern", erzählt er.
Die Kommunikation per Internet funktioniere aber nicht immer zuverlässig. "Hier ist alles zivilisiert, aber dort ist es etwas komplizierter. Die Messenger werden abgeschaltet, und es ist sehr schwierig, mit den Kollegen zu kommunizieren."
Wer genau nun die Äcker in den besetzten Gebieten bewirtschaftet, weiß Masurenko nicht. Er ist sich aber sicher, dass die Erntemaschinen des Unternehmens benutzt werden. Im Frühjahr 2022 konnte er noch ihr GPS-Signal empfangen. "Da sah ich, dass unsere Traktoren im besetzten Gebiet unterwegs waren. Alle fuhren nach Makijiwka, Horliwka - und nach Rostow und Taganrog in Russland."
Masurenko ist überzeugt: Eines Tages werden die Ackerflächen in den besetzten Gebieten wieder von der Ukraine kontrolliert. Aber bis dahin konzentriert sich sein Unternehmen vorerst weiter auf den Anbau in der Region Kiew - wenn auch in deutlich kleinerem Rahmen als vor 2022.
Der Geschäftsführer hofft, dass die ukrainischen Verbündeten Russland mit weiteren Sanktionen noch stärker unter Druck setzen.
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