Gaza: Hilfsgüterverteilung mit vielen Fragezeichen
Im Gazastreifen hat die umstrittene private Organisation «Gaza Humanitarian Foundation» mit der Verteilung dringend benötigter Hilfsgüter begonnen. Dabei kam es zu chaotischen Szenen, es fielen Schüsse, Dutzende Menschen wurden verletzt. Die aktuelle Situation und die Hintergründe erläutert Susanne Brunner – sie ist SRF-Auslandredaktorin und war von 2018 bis 2022 Korrespondentin für SRF im Nahen Osten.
Warum das Chaos bei der Hilfsgüter-Lieferung nach Gaza?
Erfahrene Hilfswerke kritisieren, dass die «Gaza Humanitarian Foundation» (GHF), welche von Israel mit der Verteilung von Hilfsgütern beauftragt wurde, keine Erfahrung hat mit grossen Verteilaktionen. Diese Stiftung ist zwar in Genf registriert, hat dort aber kein Büro und keinen Vertreter. Chef der Stiftung war bis letzten Sonntag Jake Wood. Er begründete seinen abrupten Rücktritt damit, dass es weder machbar noch mit humanitären Prinzipien vereinbar sei, in dieser Art Hilfsgüter zu verteilen. Für eine ziemlich unbekannte Organisation ist es tatsächlich eine extrem schwierige Aufgabe, an zwei Millionen hungernde Menschen im Gazastreifen Hilfsgüter zu verteilen.
Warum bringen nicht anerkannte Organisationen die Hilfsgüter nach Gaza?
Israel hat das Palästinenserhilfswerk UNRWA verboten, weil es diesem vorwirft, Terroristen in seinen Reihen beschäftigt zu haben. Die UNRWA ihrerseits bestreitet, terroristisch unterwandert zu sein. Den anderen etablierten Hilfsorganisationen traut die Regierung nicht zu, dass sie dafür sorgen können, dass Hilfsgüter nicht in die Hände der Hamas gelangen. Deshalb hat sie die GHF mit der Verteilung von Hilfsgütern beauftragt. Ob die GHF wirklich dafür sorgen kann, dass die Hamas keine Hilfsgüter stiehlt, ist mehr als fraglich: Laut Aussagen von Hilfesuchenden im Gazastreifen wurden bei der Verteilung der Güter keine Kontrollen gemacht, es könnten sich also auch Leute der Hamas unter den Hilfesuchenden befinden.
Was bedeutet es, wenn es jetzt nicht klappt mit den Hilfsgütern?
Für die Menschen im Gazastreifen geht es nur noch ums Überleben. Viele haben nichts oder kaum mehr etwas zu essen, ihre Kinder verhungern: Der Schriftsteller Akram Surani, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Gaza-Stadt lebt, etwa sagt, dass seine zehnjährige Tochter vor Hunger Mahlzeiten auf Papier malt. Und dabei zählen sie noch zu den Glücklichen – sie hatten gestern noch etwas Linsen zu essen. Wenn im Gazastreifen die Nachricht kursiert, es gebe Lebensmittel, machen sich jeweils Zehntausende auf, um etwas davon zu ergattern – doch viele gehen leer aus. Die meisten Menschen im von Israel abgeriegelten Küstengebiet sind stark geschwächt nach anderthalb Jahren Krieg, der Dauerbombardierung und den ständigen Vertreibungen von einem Ort zum anderen.
Die internationale Kritik an Israel nimmt zu – auch aus der Schweiz?
Heute ging ein offener Brief an den Bundesrat, den rund 80 Privatpersonen und 14 Organisationen unterzeichnet haben. Mitunterschrieben haben auch jüdische Persönlichkeiten wie Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss, Bar Ephraïm – Rabbiner der jüdisch-liberalen Gemeinde Zürich – oder Guy Bollag von der Organisation «Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel / Palästina». Und auch in Israel gibt es Hunderte von Jüdinnen und Juden, die die Regierung kritisieren. Was diese jetzt im Gazastreifen mache, habe nichts mit Verteidigung gegen die Hamas zu tun, argumentieren sie.
Offener Brief an den Bundesrat
- Hier finden Sie den Brief zum Nachlesen als pdf
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