Verheissung Grönland – ein Traum mit Tücken
Es ist eine alte Weisheit, aber sie gilt noch immer. Wer die Ozeane kontrolliert, bestimmt die Spielregeln des Welthandels: Er erhebt Zölle, errichtet Häfen und baut Militärbasen. Kein Wunder also, dass ein neues Meer in der Arktis geopolitische Begehrlichkeiten weckt – bei Russland, bei China und auch bei Donald Trump.
«Wir brauchen Grönland für die nationale und internationale Sicherheit», sagt der US-Präsident vor dem US-Kongress.
Die Gründe für die Ansprüche sind nicht nur das schmelzende Polareis und die gute verkehrstechnische und geostrategische Lage Grönlands, sondern auch seine grossen Rohstoffvorkommen. Doch wie realistisch sind die Erfolgsaussichten? Was braucht es, um die Rohstoffe abzubauen und wie gross sind die Chancen auf einen florierenden Schiffsverkehr in der Arktis wirklich?
Schifffahrtsrouten mit Potenzial – und Hindernissen
Im Sommer 2008 waren die polare Nordostpassage – von Europa nach Asien entlang der russischen Küste – und die Nordwestpassage – von der US-Ostküste über die Beringstrasse nach Asien – erstmals gleichzeitig eisfrei. Ein historischer Wendepunkt.
Tatsächlich nimmt in den letzten Jahren die Anzahl Fahrten über die Nordrouten zu. Allerdings auf sehr tiefem Niveau von jährlich wenigen hundert Schiffen.
Dennoch: Je weiter nördlich Start- und Zielhafen liegen, desto attraktiver könnten die arktischen Routen eines Tages werden. So ist etwa die Strecke von Shanghai nach Rotterdam über die Nordroute etwa 4000 Kilometer kürzer als die Südroute über den Suezkanal.
Für südlich gelegene Häfen bleiben die traditionellen Seewege über den Suez- oder den Panamakanal weiterhin kürzer und wirtschaftlicher, wie die Strecke Marseille – Singapur beispielhaft zeigt.
Doch auch die kürzeren Nordrouten werden den Südrouten nicht so schnell das Wasser abgraben. Denn sie haben erhebliche Mängel: Sie bleiben für viele Monate im Jahr unpassierbar – und das wohl noch auf Jahrzehnte hinaus. Erschwerend hinzu kommen die mehrmonatige Dunkelheit, rasch wechselnde Wind- und Wetterverhältnisse sowie gefährliche Eisdrift und schwerer Seegang. Ganz zu schweigen von den extremen Temperaturen, die Mensch und Material an ihre Grenzen bringen.
Schlechtere Karten als Mond und Mars
Herausfordernd ist auch das schlechte Kartenmaterial. Mond und Mars seien besser kartografiert, meinte noch vor wenigen Jahren ein US-Admiral. Das macht die Navigation im Nordpolarmeer schwierig und gefährlich. Zwar sind verschiedene Routen durch das Eis möglich, aber die Nordost-Passage wie auch Teile der kanadischen Route sind mit einer Wassertiefe von weniger als 20 Metern zu flach für grosse Frachter.
Fakt ist: Die Nord-Passagen sind heute vollkommen bedeutungslos für den Welthandel. Die allermeisten Schiffe wählen den Suezkanal (26'000 im Jahr 2023) oder den Panamakanal (14'000) und das dürfte noch sehr lange so bleiben, denn selbst wenn das Eis weiter schmilzt, bleiben die Bedingungen schwierig. Ein Gamechanger könnte die Polarroute werden, die direkte Verbindung über den Nordpol, aber auch sie wird erst in ferner Zukunft und auch dann nur im Sommer eisfrei sein.
Rohstoffe im Eis – Traum oder Trugbild?
Grönland punktet nicht nur mit seiner verkehrstechnisch günstigen Lage – es lockt auch mit Rohstoffen. Und je weiter das Eis schmilzt, desto mehr Land wird zugänglich. Und was für Land: Unter der Oberfläche schlummert ein Schatz an Ressourcen – von Lithium über Nickel bis Kobalt. Das halbe Periodensystem liegt hier unter der Erde:
Und zwar beinahe unangetastet. Fast alles gibt es hier. Metalle, vor allem: seltene Erden. Auch Gold. Und Öl. Und Gas.
Grönland ist reich an Rohstoffen – und gleichzeitig arm an allem, was man braucht, um sie zu fördern. Der Geologe Thomas Varming bringt es auf den Punkt: «An jedem anderen Ort der Welt wären einige dieser Rohstoffe längst abgebaut worden.»
Doch hier? Fehlanzeige. Denn wer in Grönland eine Mine bauen will, muss erst einmal die Welt mitbringen: einen Hafen, eine Strasse, Unterkünfte, Energie- und Wasserversorgung – vielleicht sogar eine eigene Landebahn. «Das Kapital, das Sie investieren müssen, bevor Sie mit dem Bergbau beginnen können, ist sehr gross», sagt Varming. Und der Weg dorthin oft jahrelang.
An jedem anderen Ort der Welt wären einige dieser Rohstoffe längst abgebaut worden.
Die grönländische Rohstoffministerin Naaja Nathanielsen betont jedoch, dass Grönland zwar kein einfaches oder billiges Land für den Bergbau sei – doch unmöglich sei er keineswegs. Das zeige sich auch am Interesse zahlreicher Unternehmen.
Grönlands Rohstoffe sind begehrt – für Windräder, Smartphones, Elektroautos. Und für die Rüstungsindustrie.
Grönland als geopolitisches Schachbrett
Die Arktis wird zum neuen geopolitischen Spannungsfeld – und Grönland liegt mittendrin. Russland besitzt mit 24'000 Kilometern die längste Küstenlinie in der Arktis und beansprucht weite Teile des arktischen Ozeans für sich. Für Moskau ist die Arktis Rohstoffquelle, Transitkorridor und Machtdemonstration zugleich. «Der grösste Teil der Arktis liegt in Russland», sagt der Politologe Ulrik Pram Gad. «Und den muss es schützen, denn es gibt viele Ressourcen, die durch das schmelzende Eis besser zugänglich werden.»
Wenn Russland auf Grönland blicke, so Gad, dann nicht der Insel wegen – sondern wegen den USA. Grönland wäre im Ernstfall Durchgangszone eines nuklearen Konflikts.
Der grösste Teil der Arktis liegt in Russland.
Für Donald Trump ist die Bedrohung real und global: «Wenn man sich die Wasserwege anschaut: Überall sind chinesische und russische Schiffe. Und wir werden das nicht einfach so hinnehmen. Wir verlassen uns nicht auf Dänemark oder jemand anderen, um sich darum zu kümmern. Und es geht nicht nur um Frieden für die USA – es geht um den Weltfrieden.»
Russlands Anspruch auf die Arktis ist dabei nicht neu – schon 2007 platzierte ein russisches U-Boot die russische Flagge auf dem Meeresboden unter dem Nordpol, in über 3000 Metern Tiefe. Ein symbolischer Akt, der bis heute nachhallt. Die Botschaft: Dies ist russisches Einflussgebiet. Dass Grönland dabei nicht im Zentrum russischer Wirtschaftspläne steht, ist trügerisch. Im Fall eines militärischen Konflikts würde die Insel zwischen die Fronten geraten. Geopolitisch ist sie längst Schachbrett, nicht Spieler.
Für die USA ist Grönland mehr als nur ein strategisch gelegener Fleck im Eis – es ist ein Frühwarnsystem im Fall eines russischen Raketenangriffs, ein potenzieller Rohstofflieferant und eine Chance, sich in der neuen Arktisordnung zu behaupten. Dass China in Grönland bislang nur im Fischhandel aktiv ist, beruhigt kaum – die Sorge vor verdeckten Einflussnahmen bleibt. Für Washington ist klar: Die Kontrolle über Grönland könnte zum Schlüssel in einem geopolitischen Wettlauf werden, der gerade erst begonnen hat.
Trumps Vorgehen bleibt schleierhaft
Grönland ist geopolitisch ein Sehnsuchtsort – für Strategen, Investoren, Präsidenten. Von der Lage am neuen arktischen Ozean bis zu den seltenen Rohstoffen unter dem Eis gibt es vieles, das die Insel begehrenswert macht. Doch was Donald Trump ein Kauf oder gar eine Eroberung tatsächlich bringen würde, bleibt schleierhaft. Sein Interesse hat zwar Bewegung ins Spiel gebracht – aber auch viel Missverständnis. «Er kann im Grunde alles, was er will, umsonst bekommen», sagt Varming. «Wenn er mehr Militärpräsenz will, reicht ein Anruf in Nuuk und Kopenhagen.»
Doch Trumps Aussagen haben Spuren hinterlassen – auch in Grönland selbst. «Wir sind traurig und bedauern die Rhetorik der US-Regierung zum Erwerb von Grönland», sagt Rohstoffministerin Naaja Nathanielsen. Aber: «Wir nehmen die Dinge, wie sie kommen – und geraten nicht in Panik.»
Wenn Trump mehr Militärpräsenz will, reicht ein Anruf in Nuuk und Kopenhagen.
Dass Grönland seine strategische Lage heute regelrecht «verkauft», bestätigt auch Politikwissenschaftler Ulrik Pram Gad: für fast 500 Millionen Franken jährlich – Subventionen von Dänemark. Es ist ein pragmatischer Deal, der die Selbstverwaltung und Stabilität Grönlands sichert.
Trumps Vision von Grönland bleibt also vorerst Wunschdenken. Die Schifffahrtsrouten sind unzuverlässig, die Rohstoffe schwer zugänglich und die Bevölkerung politisch selbstbewusst. Zwischen Machtfantasie und Realität liegt – wie so oft in der Arktis – eine dicke Schicht Eis.
Schauen Sie hier zum Thema die Reportage aus Grönland:
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