«Netanjahu sieht nie eine Alternative zum Krieg»
Israel habe alle Kriegsziele erreicht und stimme dem Vorschlag von US-Präsident Donald Trump für eine Waffenruhe mit dem Iran zu, sagte Premier Benjamin Netanjahu. Über die Ziele und Visionen Netanjahus im Nahen Osten weiss Moshe Zimmermann mehr. Der israelische Historiker und Antisemitismusforscher war Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem.
SRF News: Es ist unklar, wie schwer das iranische Atomprogramm getroffen ist, und das iranische Regime ist nicht gestürzt: Jetzt sagt Netanjahu, alle Kriegsziele seien erreicht. Und in Gaza spricht er vom absoluten Sieg, der erzielt werden müsse. Was meint Netanjahu damit?
Moshe Zimmermann: Das weiss er selber nicht so genau – aber es ist der Versuch, die Israelis zu überzeugen, er wisse sehr wohl, welche Ziele das seien. Dieses Vorgehen des Premiers ist nötig, um die Leute hinter sich zu scharen, und es ist auch sehr effektiv: Jeder in Israel kann darin jene Ziele sehen, die für ihn selber wichtig sind. Für den einen ist es die Antwort auf die Blamage vom 7. Oktober 2022, für einen anderen ist es der Versuch, Gaza endlich für israelische Siedler zu räumen. Jeder definiert also seine eigenen Ziele.
Es stellt sich die Frage, was nach der Militäraktion mit Gaza passiert. Sie haben kürzlich das Bild einer Villa im Dschungel gemalt. Was meinen Sie damit?
Das Bild kommt von Netanjahus Vorgänger als Regierungschef, Ehud Barak. Er spricht von einem Staat Israel, der zwar in Gefahr leben kann, der sich aber quasi als eine Villa mitten im wilden Dschungel befindet. Im Dschungel sind die Araber, Palästinenser oder Iraner – und Israel muss irgendwie mit ihnen zurechtkommen, immer in der Verteidigung. Auch Netanjahu verbreitet immer wieder dieses Bild.
Israel hat frühere Alternativen verpasst: etwa das Abkommen mit der palästinensischen Seite – das Abkommen von Oslo.
Sehen Sie aus historischer Sicht eine Alternative zur ständigen Gewalt, mit der es sich gegen seine Feinde verteidigt?
Es gibt grundsätzlich immer Alternativen. Und Israel hat frühere Alternativen verpasst: Wir unterzeichneten 1993 ein Abkommen mit der palästinensischen Seite – das Abkommen von Oslo. Das wäre eine Alternative, mit den Palästinensern zu verhandeln und irgendwie zu einer Einigung zu kommen. Sogar mit dem Iran gäbe es Alternativen – etwa mit einem Atomabkommen wie jenem von 2015. Oder aber man greift eben zu den Waffen, wie Israel das jetzt wieder gemacht hat. Netanjahu sieht nie eine Alternative zum Krieg.
Gewalt gehört zum Alltag in Israel – seit vielen Jahrzehnten. Was macht das mit der israelischen Gesellschaft?
Das Problem ist, dass die Gewalt keine Grenzen kennt. Wenn man sich in der internationalen Politik daran gewöhnt, Probleme mit Gewalt zu lösen, dann tendieren die Menschen auch zu Gewalt bei der Lösung ihrer persönlichen Probleme.
In Israel gibt es immer mehr Mord und Totschlag – vor allem unter den 20 Prozent arabischen Israelis.
Das spürt man in Israel immer stärker: Es gibt immer mehr Mord und Totschlag, vor allem unter den 20 Prozent arabischen Israelis. Das ist keine normale Entwicklung – es ist auch eine Folge des Verständnisses, dass Gewalt als Mittel auch in der internationalen Politik eingesetzt wird.
Werden kritische Stimmen, wie die Ihre, in Israel überhaupt noch gehört?
Sie werden von der Mehrheit der Israelis nicht ernst genommen. Diese steht hinter einer nationalistischen Politik: Annektierung der besetzten Gebiete, Vorgehen mit Gewalt gegen Palästinenser. Die Stimmen, die sich dagegen wenden, machen bloss rund 15 Prozent der israelischen Juden aus.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.
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