Die Toten kommen in einem weissen Minibus. Der Mann am Steuer nennt sich «Bulldozer» – es ist sein Kampfname. Bulldozer ist nicht gross, aber er ist einer, den nichts so leicht umhaut. Er trägt eine Sonnenbrille und hat so gut wie immer eine Zigarette im Mund.

Legende: Bulldozer: «Ich versuche, nicht daran zu denken – sonst platzt mir der Kopf.» SRF

Bulldozer steuert den Bus auf einen Parkplatz in der Zentralukraine. Seine fünf Leichen müssen in andere Busse umgeladen werden. Die Männer liegen in weissen Säcken, sie sind vor Kurzem an der Ostfront getötet worden. Nun sind ihre sterblichen Überreste auf dem Heimweg.

Legende: Auf einem Parkplatz in der Zentralukraine trifft Bulldozer zwei Kollegen. Hier müssen die Leichen umgeladen werden. SRF

Zwei Kollegen von Bulldozer übernehmen den Weitertransport nach Westen. Es ist eine düstere Logistik. Der Geruch des Todes liegt über dem Umladeplatz.

Ein letzter Dienst für die toten Soldaten

Geschätzt 100'000 ukrainische Soldaten sind im Krieg bisher umgekommen. Bulldozer und seine Leute kümmern sich um die Toten. Tausende haben sie schon mit ihren Kühlwagen durchs Land gefahren. Angefangen hat Bulldozers Reise heute in einer Stadt unweit der Front.

Am frühen Morgen haben Soldaten ihm noch neue Tote direkt vom Schlachtfeld gebracht. Die Fahrt geht erst in die Grossstadt Dnipro. Dort sollen die Leichen umgeladen werden. Weil die russische Armee die Hauptstrasse beschiesst, müssen wir einen Umweg über holprige Landstrassen machen.

Diese Arbeit muss getan werden. Ich kann das machen – also mache ich es.
Autor: Bulldozer

Bulldozer hatte in seinem Leben schon viele Jobs: Er war Polizist, Casinodirektor, Soldat. Nun dirigiert er als Chef einer Nicht­regierungs­organisation eine Flotte von 14 Kühlfahrzeugen, die Leichen transportieren. Warum tut er das? Er sagt, er wisse es nicht. «Es hat sich einfach so ergeben. Diese Arbeit muss getan werden. Ich kann das machen – also mache ich es.» Es gehe ihm, sagt Bulldozer, auch darum, den toten Soldaten einen letzten Dienst zu erweisen.

«Ich versuche, so viel wie möglich zu vergessen»

Bevor Bulldozer mit den Leichen losfährt, durchsucht er sie nach Wertgegenständen, listet alles fein säuberlich auf und steckt die Gegenstände in eine Kartonkiste – für die Angehörigen. Wie schafft er das? Es sei schwer für die Psyche, antwortet er. Und: «Ich versuche, so viel wie möglich zu vergessen. Nicht dran zu denken – sonst platzt mir der Kopf.»

Legende: Hier verpackt Bulldozer die Gegenstände für die Angehörigen in Kartonschachteln. SRF

Einfahrt in Dnipro. Hier sollen die Toten umgeladen werden. Es bleibt aber auch Zeit für ein Mittagessen in einem kleinen Restaurant. Bulldozers Frau kommt hinzu, sie lebt in Dnipro. Was hält sie von der Arbeit ihres Mannes? «Ich habe mich dran gewöhnt. Er ist sehr selten zu Hause. Manchmal kommt er kurz vorbei, wir trinken einen Kaffee oder essen was – und er fährt weiter.» Bulldozer lacht, als sie das sagt. Ein Ausbruch von Fröhlichkeit, ein Moment der Normalität mitten im Schrecken.

Legende: In Dnipro kommt Bulldozers Frau für das gemeinsame Mittagessen hinzu. SRF

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Die Toten müssen weiter. Bulldozer umarmt seine Frau und steigt in den Bus. 100'000 Kilometer fahren er und seine Leute pro Monat. Und ein Ende des Tötens ist nicht absehbar. Der Krieg produziert ständig neue Leichen. «Wir bringen sie ins Leichenhaus ihres Wohnorts. Dort werden sie angezogen, gewaschen, in einen Sarg gelegt», sagt Bulldozer. Erst, wenn die Toten zurechtgemacht sind, werden sie den Angehörigen übergeben.

Legende: Ein Sarg im Hof des Leichenhauses von Charkiw. SRF

Auch im Hof des Leichenhauses von Charkiw riecht es nach Tod. Bulldozer liefert hier seine letzte Leiche für heute ab. Es ist schon Nacht, als Bulldozer zurückfährt in seine frontnahe Unterkunft. Er muss bereit sein. Vielleicht bringen sie im Morgengrauen schon die nächsten Leichen, die er heimfahren muss.

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