Darum geht es: Die Migration von Tunesien nach Europa hat massiv abgenommen. Der Grund: Die EU hat vor gut zwei Jahren ein Migrationsabkommen mit dem Land geschlossen. Im Austausch für finanzielle Unterstützung hält Tunesien Menschen vor der Überfahrt nach Europa ab. Dabei gehen die Behörden rigoros gegen Geflüchtete vor – und auch gegen diejenigen, die den Menschen auf der Flucht helfen. Einer dieser Helfer – ein schweizerisch-tunesischer Doppelbürger – sitzt seit gut einem Jahr in Haft.

Legende: Seit dem Migrationsabkommen mit der EU ist die Zahl der Überfahrten nach Europa drastisch gesunken. Gleichzeitig löste die Polizei improvisierte Camps von Migrantinnen und Migranten in Olivenhainen auf und führte Razzien durch. Keystone / Anadolu / Yassine Galdi

Prekäre Haftbedingungen: Mustapha Djemali ist ehemaliges Kadermitglied des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Der 81-Jährige wurde festgenommen, weil er sich für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt hat, so Amnesty International. Laut der Menschenrechtsorganisation ist Djemali in einer Massenzelle mit rund 30 Mitinsassen untergebracht: «Hitze und fehlende Medikamente setzen ihm massiv zu.» Amnesty schreibt von einem «umfassenden Angriff auf die Zivilgesellschaft in Tunesien und einer massiven Verschärfung der Asylpolitik».

Legende: Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland fordern die Freilassung von Mustapha Djemali und weiterer Personen, die im Zuge der staatlichen Repression inhaftiert wurden. ZVG

Die Vorwürfe: Zum Verhängnis wurde Djemali, dass er sich nach Unterkünften für Asylsuchende in Tunesien umgesehen hatte. Seine Hilfsorganisation schaltete Inserate, in denen sie Immobilienbesitzer nach entsprechenden Räumlichkeiten anfragten. «Im aufgeheizten Klima in Tunesien wurde ihm das als ‹staatsfeindlicher Akt› ausgelegt», erklärt SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann. Es folgte eine Razzia bei Djemalis Hilfsorganisation. Er und ein Projektmanager kamen in Untersuchungshaft. Diese wurde bereits mehrfach verlängert.

Es gibt den Vorwurf, dass Politiker bis hinauf zum Präsidenten ein fremdenfeindliches Klima schürten, um von der inneren Krise abzulenken.
Autor: Philipp Scholkmann Auslandredaktor von SRF

So reagiert die Schweiz: Die Familie des 81-Jährigen wohnt in Genf und beklagt, dass die offizielle Schweiz zu wenig unternehme, um Djemali zu unterstützen. Gegenüber SRF News betont das Schweizer Aussendepartement EDA, dass man die Entwicklung in diesem Fall aufmerksam verfolge. Weiter habe sich die Schweiz «auf sehr hoher Ebene» für Djemali eingesetzt. Gleichzeitig schreibt das EDA aber, dass die konsularische Unterstützung für Doppelbürger eingeschränkt sein könne. «Tunesien betrachtet Djemali eben nicht als Schweizer, sondern als eigenen Staatsangehörigen – und behandelt ihn entsprechend», sagt Scholkmann.

Migrationsfeindliches Klima: Der Fall Djemali steht beispielhaft für den harten Migrationskurs, den Tunesiens Präsident Kais Saied fährt. «Es gibt den Vorwurf, dass Politiker bis hinauf zum Präsidenten ein fremdenfeindliches Klima schürten, um von der inneren Krise abzulenken», berichtet Scholkmann. Die feindselige Rhetorik richtet sich insbesondere gegen Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika. Auf dem Höhepunkt der Polemik sprach Präsident Saied gar von einer Verschwörung, wonach Menschen aus dem Innern des afrikanischen Kontinents gezielt nach Tunesien geschleust würden, um das Land zu schwächen.

Legende: Vor zwei Jahren hat der Maghreb-Staat rund 200 Millionen Euro von der EU erhalten. Einen Grossteil davon, um die Küstenwache aufzurüsten und so die Überfahrten von Migrantinnen und Migranten Richtung Italien zu unterbinden. Getty Images / Anadolu / Yassine Galdi

Repression und Kontrolle: In Tunesien leben einige Zehntausend Menschen aus Subsahara-Afrika, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Viele von ihnen betrachten das Land nur als Etappe auf dem Weg nach Europa. «Nun aber stecken sie fest und die Repression nimmt zu», schätzt Scholkmann. «Gleichzeitig setzt die Politik alles daran, die vollständige Kontrolle über Organisationen aus der Zivilgesellschaft zu erlangen, die sich eigenständig für Flüchtlinge und Migranten einsetzen.»

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