Auch Bulgarien auf dem Weg zur Autokratie?
Nach der Festnahme von Oppositionspolitikern gehen in Bulgarien Zehntausende auf die Straße. Sie fürchten, dass das Land wieder autokratischer wird - und noch mehr Politiker im Visier der Behörden sind.
Zehntausende Menschen demonstrieren Mitte Juli in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, vor dem Justizpalast und in der angrenzenden Fußgängerzone, dem Vitosha-Boulevard. Der Ärger richtet sich vor allem gegen die Inhaftierung von Blagomir Kozew, des PP-Bürgermeisters von Bulgariens drittgrößter Stadt Varna.
"Was hier geschieht, ist absolut skandalös. Sie benutzen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, um mit der Opposition abzurechnen. Das erinnert an Georgien und das ist beunruhigend. Wir wollen so etwas nicht, wir leben in einem europäischen Bulgarien und wir wollen, dass das so bleibt", sagt eine Demonstrantin. "Heute ist es Blagomir Kozew. Morgen bist du dran. Niemand weiß, warum er in Untersuchungshaft ist. Es gibt keine Gerechtigkeit", sagt ein Demonstrant.
Vier Oppositionspolitiker in Haft
Das Oppositionsbündnis, aus den Parteien PP ("Wir setzen den Wandel fort") und DB ("Demokratisches Bulgarien"), ist reformorientiert und hat sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben. Es stellt in fünf von 265 Gemeinden den Bürgermeister - in Sofia, Varna, Blagoewgrad, Pasardschik und Hitrino. Nachdem Ende Juni der Vizebürgermeister der Hauptstadt Sofia verhaftet wurde, kam es am 8. Juli zur Festnahme des Bürgermeisters von Varna, Blagomir Kozew.
Es war eine ziemlich martialische Aktion, wie bei einer Razzia gegen Kriminelle: Ermittler der KPK, der Kommission zur Bekämpfung von Korruption, stürmten das Haus des Bürgermeisters und durchsuchten es vor den Augen der Ehefrau und der zwei kleinen Kinder. Kozew wurde stundenlang festgehalten, obwohl es da noch keinen Haftbefehl gab. Der Ehefrau wurde geraten, keinen Anwalt zu konsultieren. Und dann wurde Kozew in Untersuchungshaft genommen.
Inhaftierte wurden vorgeführt
Drei Tage später tauchte Kozew in Sofia auf, im Justizpalast. Umringt von sechs Justizbeamten wurde er an Fotografen und Kamerateams vorbei in einen Gerichtssaal geführt. Neben ihm liefen auch zwei PP-Parteifreunde, zwei Gemeinderäte von Varna. Auch sie wurden verhaftet. Ihnen und Kozew wird vorgeworfen, an einer organisierten kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein. Sie hätten Bestechungsgelder gefordert.
Kozews Anwältin Ina Lultschewa weist das zurück und sieht hinter der Verhaftungsaktion politische Motive. Die Regierung wolle die Opposition Schritt für Schritt ausschalten. "In diesem Fall werden die Gesetze und die Verfassung grob verletzt und das sollte alle Bürger beunruhigen. Denn es geht nicht nur um einen Bürgermeister und ein paar Gemeinderäte. Es betrifft uns alle", sagte die Anwältin.
Problematische Beweislage
Die Beweislage im Fall Blagomir Kozew lässt in der Tat einige Zweifel aufkommen. Die Anklage stützt sich nur auf die Aussagen einer Geschäftsfrau, Plamenka Dimitrowa. Sie ist bekannt dafür, der Langzeit-Regierungspartei GERB nahezustehen, der Partei von Ex-Regierungschef Bojko Borissow, die als die eigentliche korrupte Macht im Land gilt und auch jetzt den Premierminister stellt.
Dimitrowa leitet in Varna eine Firma, die sich auf Catering für Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen spezialisiert hat. In der Vergangenheit soll sie regelmäßig gut mit öffentlichen Aufträgen eingedeckt gewesen sein. Jetzt allerdings regiert die PP im Rathaus von Varna, und da soll ein Catering-Auftrag für eine Behinderteneirichtung an einen anderen Anbieter gegangen sein, der einen um 20 Prozent niedrigeren Preis angeboten hatte.
Plamenka Dimitrowa sprach von Betrug und Erpressung und schaffte es, den Bürgermeister und zwei Gemeinderäte hinter Gitter zu bringen. "Ich bin Opfer unrechtmäßiger Handlungen und einer Erpressung durch den Bürgermeister von Varna, Blagomir Kozew und durch ihm nahestehende Gemeinderäte. Sie haben von mir für öffentliche Aufträge Prozente verlangt. Außerdem sollte ich, um weiter geschäftlich tätig sein zu können, Finanzmittel an ihre Partei zur Verfügung stellen", sagte Dimitrowa.
Weitere Oppositionspolitiker im Visier der Justiz
Auch der PP-Vizebürgermeister von Sofia, Nikola Barbutow, ist wegen des Vorwurfs, Bestechungsgelder verlangt zu haben, in Untersuchungshaft. Und es könnten weitere folgen. Diese Befürchtung äußerte die PP-Aktivistin Krassimira Welitschkowa bei der Großdemonstration vor dem Justizpalast in Sofia. "Uns liegen Hinweise vor, dass über 50 unserer PP-Gemeinderäte in ganz Bulgarien gerade von verschiedenen Behörden überprüft werden. Wir erwarten, dass alles passieren kannn. Gegen die freien Menschen in Bulgarien werden die brutalsten Mittel eingesetzt, um sie zum Aufgeben zu zwingen", so Welitschkowa.
Der GERB-Parteichef und frühere Langzeit-Regierungschef Bojko Borissow wies Vorwürfe zurück, dass es sich bei den Verhaftungen der PP-Bürgermeister um seine Rache an den Korruptionsbekämpfern handle. Immerhin hatten sie 2022 dafür gesorgt, dass er für eine Nacht wegen Bestechung in Untersuchungshaft kam. Borrissow sagte in der für ihn gewohnt zynischen Art: "Ich räche mich nicht an ihnen. Das Leben rächt sich an ihnen. Der da oben - Gott - rächt sich an ihnen."
Vorwürfe an die EU
Die Demonstranten in Sofia sind davon überzeugt, dass GERB etwas mit den Verhaftungen der PP-Politiker zu tun hat. Georgi Kasabow ist ein 42-jähriger Demonstrant, der viele Jahre in Deutschland gelebt hat. Ihn ärgert, wie die GERB-Partei in der EU behandelt wird. Sie ist ein völlig normales Mitglied der EVP, der konservativen Fraktion im EU-Parlament und damit Partner von CDU und CSU.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei viel zu unkritisch im Umgang mit der GERB-Partei in Bulgarien, findet Kasabow. "Wenn wir in den Nachrichten sehen, dass Bürgermeister in der Türkei festgenommen werden, dann muss ich sagen, dass das Gleiche in Bulgarien passiert. Es passiert in Europa, in der EU. Warum spricht Frau von der Leyen nicht mit den Abgeordneten von GERB darüber, was in Bulgarien vor sich geht, was die Partei macht und warum es immer noch keinen Rechtsstaat gibt?", fragt er.
Welche Rolle spielt ein Oligarch?
Es gibt aber noch einen weiteren Politiker, der nicht in der GERB ist und der bei vielen Bulgaren in Verdacht steht, bei den Verhaftungen der PP-Politiker seine Finger im Spiel gehabt zu haben - der Oligarch Deljan Peewski. Er gilt als der aktuell mächtigste Mann im Land, als der Strippenzieher im Hintergrund. Durch sein Netzwerk soll er die Justiz in weiten Teilen kontrollieren. Von den USA und Großbritannien wurde er wegen Korruption mit Sanktionen belegt.
Im bulgarischen Parlament führt Peewski die Oppositionspartei DPS-NN an, die die Regierungskoalition immer wieder stützt und zum Beispiel vor Misstrauensvoten bewahrt. Über Peewski heißt es, dass er nur darauf wartet, irgendwann einmal selbst Premierminister zu werden. Bis dahin sorge er mit dafür, dass die Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien untergraben würde, so der Vorwurf.
Wie lange die verhafteten Bürgermeister einsitzen werden. ist völlig offen. Extrem lange Haftstrafen sind nicht ausgeschlossen. So sitzt die ehemalige Bürgermeisterin eines Bezirks von Sofia, Dessislawa Iwantschewa seit sieben Jahren in Haft, wegen angeblicher Korruption, die sie bestreitet.
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