"Die Bewegung ist nicht mehr nur studentisch"
Die Proteste gegen Serbiens autokratische Führung werden immer intensiver. Und deren harte Reaktion scheint den Demos weiter Zulauf zu geben. Bald wollen sich auch die Bauern den Protesten anschließen.
"Pumpaj" skandieren die Demonstrierenden an einem Juli-Abend in Sabac, 70 Autominuten westlich von Belgrad. "Pumpaj" heißt "pumpen" - und bedeutet hier so viel wie "weitermachen", "nicht nachlassen" mit dem Protest.
Und trotz 36 Grad Hitze um 21 Uhr kommen die Menschen zur Kundgebung vor dem örtlichen Gymnasium. "Guten Abend, liebe Einwohner von Sabac", ruft ein Mann durch ein Megaphon. "Heute spreche ich insbesondere als Schulfreund von Zeljko Katic - das ist der Mann, der bei allen Studentenprotesten geholfen hat. Und hier seht ihr, welche Vergeltungsmaßnahmen Menschen treffen, die das Regime kritisieren."
Wandlung zum Autokraten
Die Protestierenden antworten mit Pfiffen - für das "Regime", wie sie die Regierung Serbiens unter Präsident Aleksandar Vucic nennen. Seine Serbische Fortschrittspartei läuft offiziell unter dem Label "konservativ". Offiziell ist sie mit der EVP assoziiert, der europäischen Parteienfamilie, der auch CDU und CSU angehören.
Doch in den 13 Jahren, die er im Amt ist, hat Vucic sich immer mehr zum Autokraten gewandelt. Kritische Medien bekommen Drohbriefe, Demonstrierende werden verprügelt. Selbst hier, im beschaulichen Sabac, wurde vor ein paar Tagen der örtliche Fischladen überfallen.
Das Geschäft gehört Zeljko Katic - dem Mann, der bei der Demonstration erwähnt wurde. Er ist immer noch schockiert: "Gegen ein Uhr früh sind drei, vier Vandalen mit großen Masken auf mein Geschäft losgegangen. Man sieht es auf Video, weil es hier Überwachungskameras gibt. Jeder hatte einen Hammer in der Hand, sie haben alles zerschlagen", erzählt Katic.
Warum sie ausgerechnet seinen Laden verwüstet haben, liegt für den Fischhändler auf der Hand: Weil er die Proteste unterstützt hat - mit dem Catering für die Demonstrierenden: "Wir haben bei fast jedem Treffen Essen für die Studenten zubereitet. Und das war den Tätern ein Dorn im Auge. Wir haben Spenden gesammelt, Gerichte zubereitet, Gulasch und Würstchen."
"Wir wollen einen besseren Staat"
Ein Fischhändler, der den Studierenden bei ihren Aktionen Essen liefert - und dem dafür sein Laden zertrümmert wird: Mit so jemandem würden sich die Leute solidarisieren, sagt Dorotea, die in Belgrad Landwirtschaft studiert.
Es ist auch ein recht kreativer Protest. Teilweise machten sich die Demonstrierenden einen Sport daraus, in großen Gruppen auf Zebrastreifen hin- und herzugehen, um Autos zu blockieren. Spontane Volleyballspiele brachten die Polizei an den Rand der Verzweiflung.
Dass sich gelegentlich auch Nationalisten unter die Protestierenden mischen, mit entsprechenden Symbolen, räumt Dorotea ein. Die große Mehrheit der Bewegung verfolge aber ganz andere Ziele: "Wir wollen einen besseren Staat. Einen Staat, der unsere Kinder, uns und unsere Eltern schützt. Und in dem wir morgen noch leben können."
"Die Angst ist zerschlagen worden"
Begonnen hatten die Proteste im November vorigen Jahres. Damals kamen im nordserbischen Novi Sad 16 Menschen ums Leben, als das frisch renovierte Vordach des Hauptbahnhofs einstürzte. Korruption am Bau war der Vorwurf - erst der Studenten, mittlerweile breiter Schichten. Mittlerweile gehen auch Ärztinnen und Ärzte, Anwälte oder Gemeinderäte auf die Straße.
Sie fürchten sich nicht mehr, sagt Pavle Grbovic, der für die oppositionelle Bewegung der freien Bürger im serbischen Parlament sitzt. "Die Angst ist zerschlagen worden. Das war der Schlüsselmoment", so Grbovic.
Bald wollen auch die Bauern demonstrieren
Spannend wird dieser Herbst in jedem Fall. Wenn die Ernte ab Ende August eingebracht ist, wollen erstmals auch die Bauern in die Proteste einsteigen. Präsident Vucic nimmt das ernst. Um seinen Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen, hat er für September eine Art Agenda 2035 angekündigt.
Doch seine Gegner bringt das nicht ab. Im heißen Juli kündigen sie an, dass der politische Herbst in Serbien mindestens ebenso heiß wird. Getreu dem Demo-Motto "pumpaj" - "weitermachen".
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