Schicht im Schacht - wie Leipziger Kumpel das Ende des Bergbaus erlebten
- 20 Dörfer fielen der Kohleförderung zum Opfer, auch Gerald Riedel musste den Ort Magdeborn verlassen.
- Viele verloren nach dem Job auch die Familie und griffen zur Flasche.
- "Das knabbert an einem": 1989 war für Roland Freitag die Zeit im Tagebau Espenhain zu Ende.
"Ich war ein Bergmann mit Leib und Seele", sagt Uwe Wilke. Der 62-Jährige steht an einem riesigen Schaufelradbagger im Bergbau-Technik-Park in Großpösna. Er gehört zu einer Gruppe, die den Park im Süden von Leipzig jeden Mittwoch pflegt. Alle haben in der Montanindustrie gearbeitet. Und das Auf und Ab der Branche hautnah miterlebt. Vom Boom, bei dem sogar Dörfer dem Bergbau weichen mussten, bis zum Kohleausstieg.
Auch Vereinschef Riedel musste seinen Heimatort verlassen
Ein Ausstellungsschwerpunkt in Großpösna widmet sich den verschwundenen Dörfern. Der 55-jährigen Kohleförderung im Tagebau Espenhain seien 20 Dörfer teilweise oder komplett zum Opfer gefallen.
Weit über 8.000 Menschen hätten sich eine neue Heimat suchen müssen, heißt es in der Ausstellung. Darunter war auch Gerald Riedel. Er ist der Vereinsvorsitzende des Technikparks, eine Art Hans Dampf in allen Gassen. Die Zukunft des Parks liegt ihm am Herzen: "Man müsste 120 werden, um all die Arbeiten zu schaffen", sagt der 75-Jährige, der in Interviewpausen Unkraut jätet. Etwas ist hier immer zu tun.

Riedel lebte in Magdeborn, einem Ort, der ebenfalls dem für die DDR wichtigen Braunkohleabbau Anfang der 1980er-Jahre weichte musste: "Wir haben schon an unserem Dorf gehangen. Es war immerhin ein Ort mit über 3.000 Einwohnern. Wir haben es ungern verlassen." Riedel war damals 30 Jahre alt.
Die "Älteren hingen noch mehr an der Scholle"
Bei den Eltern oder Großeltern sah das noch heftiger aus, erzählt er MDR SACHSEN: "Von den Älteren wollen wir gar nicht reden. Für die war das noch viel schlimmer. Die hingen ja noch mehr mehr an der Scholle." Er erzählt von einer Fast-Rentnerin, die alleine gewesen sei. Und am Tag ihres Umzugs nicht mehr da war. Sie habe in einem Nebengebäude Selbstmord begangen.
"Wir brauchten halt den Strom"
"Wir jungen Leute haben es einigermaßen verkraften können. Da fing man nicht an rumzunörgeln." Kritik an der politischen Entscheidung, ein Dorf dem Erdboden gleichzumachen, hatte er nicht: "Wir hatten als einzige Großenergie Braunkohle. Deshalb war es für viele klar, durch dieses Nadelöhr müssen wir gehen. Wir brauchten halt den Strom."

Arbeit in Espenhain als "Hobby und Bombenjob"
Insgesamt 22 Jahre lang arbeitete er in Espenhain, als Elektriker, und das mit großer Begeisterung: "Das war mein Hobby und ein Bombenjob. Gerade im Tagebau ein sehr vielseitiger und interessanter Beruf." Nach der Wende sah er die unsichere Zukunft in der Montanbranche, und so kündigte er Ende 1990 und arbeitete ab da bis 2014 als Serviceleiter in einem Unternehmen, das Gabelstapler betreut. Und das in seinem neuen Wohnort Liebertwolkwitz: "Meine Frau hatte dort eine Arbeit als Uhrmacherin. Ich konnte dann mit dem Fahrrad auf Arbeit fahren."

War der Umstieg freiwillig? "Mehr oder minder. Ich begann in der Firma eines Klassenkameraden zu arbeiten. Wir kannten uns bestens, hatten früher auch beide in Magdeborn gewohnt." 1997 zog die Firma weiter ins Güterverkehrszentrum nach Leipzig-Radefeld, mit Gerald Riedel im Schlepptau. Seine neue Firma wuchs, es ist eine Erfolgsstory.
"Viele haben das einfach nicht verkraftet"
Bei ihm lief das Ende seiner Zeit in der Braunkohle reibungslos. Bei vielen anderen nicht. Sie bekamen Probleme: "Als Zigtausende arbeitslos geworden sind, da gab es auch welche, die haben das einfach nicht verkraftet. Ich kenne Fälle, die sind dann zum Alkohol gegangen. Oder Familien haben sich aufgelöst, weil die inneren Spannungen zu groß wurden. Das waren nicht wenige."
"Wir wussten, dass es zu Ende ist"
Einer, der in Großpösna mithilft, ist Andreas Morenz. Der Elektromonteur begann im Bergbau 1979 und schied 2021 aus. In der Zeit vorher habe man angesichts von nur noch halbierten Abbauzahlen "gewusst, dass es zu Ende ist". Da sei es logisch gewesen, dass "Personal abgebaut werden musste". Er schied mit 60,5 Jahren aus dem Betrieb aus: "Ich hatte das Riesenglück, dass von der Bundesregierung die Regelung kam, dass ich bis zu meinem Rentenalter von 63 noch zweieinhalb Jahre vom Staat bezahlt wurde und keine Abzüge hatte, das war ein Riesenvorteil." Andere seien bestimmt nicht so gut abgesichert gewesen.
40 Jahre im Bergbau
Unser dritter Gesprächspartner ist Uwe Wilke, der Bergmann mit "Leib und Seele". Kein Wunder, er arbeitete von 1983 bis 2023 für die Kohle. Satte 40 Jahre lang. Am Ende betreute er die elektrischen Anlagen, die für die Sanierung der ehemaligen Tagebaue notwendig waren: "Das war noch einmal eine neue Herausforderung", so der 62-Jährige, der "sehr glücklich" in Altersteilzeit ist.
Wilke erlebte Ex-Kollegen, die Pfandflaschen sammeln mussten
Die Wendezeit sei "am Anfang sehr schwierig" gewesen. Keiner habe gewusst, wie lange es noch ginge und was bei einer Arbeitslosigkeit passiere: "Man hatte vor der Zukunft schon ein bisschen Bammel." Uwe Wilke hatte Glück und kam immer irgendwo unter. Viele Leute hätten nicht dieses Glück gehabt. Er habe Fälle erlebt, dass "Leute Flaschen sammeln mussten, um über die Runden zu kommen".
Wir hatten ja bis zur Wende einen geregelten Ablauf. Danach wusste keiner mehr, wie lange gehts noch?
Sein Leben sei durch die Kohle geprägt. Und auch jetzt als Rentner im Verein: "Mich freut es, wenn das hier für die Nachwelt erhalten wird." Das Mittwochstreffen sei wie ein "Familientreffen".
Für Roland Freitag war 1989 Schluss - Wechsel zu Opel
Auch Roland Freitag kommt gerne zum Familientreffen. Er vervollständigt das Quartett der Bergleute, mit denen wir über ihre Vergangenheit sprechen konnten. Freitag lernte einst Elektrotechnik. Der 66-Jährige gehörte zu denen, die den erhaltenen Rest von Magdeborn weggebaggert haben. Für ihn selbst war im Tagebau Espenhain 1989 Schluss: "Es war eine schwierige Zeit. Wenn man 25 Jahre im Bergbau war, und es geht mit dem Betrieb zu Ende, das knabbert dann schon an einem."
Weiter ging es in den "alten Bundesländern, bei Opel in Rüsselsheim". Die Zeit der Heimfahrten blieb kurz, er hat sie trotzdem noch genau in Erinnerung, wie er lächelnd erzählt: "Zunächst in einem Moskwitsch 408 ie, 75 PS". 1992 wechselte er zurück nach Leipzig, in die Telefon-Sparte der Telekom, inklusive einer Umschulung: "Die Frau und die Kinder waren ja noch hier." Freitag, der vor drei Jahren in Rente ging, wohnt seit 1978 in Markkleeberg.

Riedel: "Habe eine Liste mit Adressen"
Vereinschef Riedel kümmert sich auch um den "Nachwuchs": "Ich habe eine Liste mit über 800 Adressen. Wenn die in Rente gehen, dann bin ich da", sagt er verschmitzt. Einen wie Roland Freitag hat er auch abgeholt: "Die alte Arbeit hat man ja gerne gemacht, ein bisschen vermisse ich es."
Weiterführende Links
- 17. Oktober 2024"Schwarzbefahrer" oder Hobby-Forscher im Altbergbau: Was treibt sie an?
- 04. März 2024Geld verdienen nach dem Kohleausstieg: Die Mibrag im Tagebau Schleenhainmit Audio
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