Duden-Chefin Laura Neuhaus: Gendern ist mehr als Doppelpunkt und Stern
MDR AKTUELL: In dieser Woche ist in Sachsen eine Regelung verlängert worden, wonach Genderschreibweisen an Schulen verboten bleiben. Das Kultusministerium beruft sich dabei auf die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung und weist ausdrücklich darauf hin, dass Verstöße als Fehler geahndet werden können. Ähnliche Vorschriften gibt es in Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein oder Bayern.
Frau Neuhaus, bitte bringen Sie uns auf den neuesten Stand bei den sogenannten Wortbinnenzeichen wie Genderstern oder Doppelpunkt. Was empfiehlt der Duden?
Laura Neuhaus: Der Duden orientiert sich an der Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung und teilt auch dessen Beobachtung, dass diese Sonderzeichen – sei es jetzt das Sternchen, der Doppelpunkt oder der Unterstrich – nicht zum Kernbestand der deutschen Rechtschreibung gehören.
Wir sehen aber, dass sie in verschiedenen Kontexten verwendet werden – eben ganz besonders dann, wenn non-binäre Personen mitgemeint werden. Mir ist es ganz wichtig, das Thema Gendern aber nicht auf diese Sonderzeichen zu reduzieren, um die so viel gestritten wird. Man kann sich auch geschlechtsübergreifend und geschlechtssensibel mit ganz vielen anderen schönen Möglichkeiten der deutschen Sprache ausdrücken, seien es Wörter wie "Mitglied", "Leute", "Person" oder "Leitung". Da gibt es ganz viele Optionen, die oft gar nicht unter Gendern gefasst werden, die aber die gleichen Möglichkeiten herstellen.
Aber man muss laut Duden nicht gendern?
Korrekt. Wir zeigen Möglichkeiten auf, wie man gendern kann, wenn man daran interessiert ist, sich geschlechtergerecht auszudrücken. Dazu ist es ganz wichtig zu verstehen, dass die Regelung des Rats für deutsche Rechtschreibung für den öffentlichen Bereich gilt, also in Institutionen und eben ganz besonders an Schulen.
In meinem privaten Chat oder in Social Media kann ich auch davon abweichen. Und das beobachten wir ja auch, dass den Leuten diese Normierung in anderen Bereichen gar nicht so wichtig ist und daher auch persönliche und stilistische Varianten auftreten. Und diese Zuspitzung nur auf die Sonderzeichen ist dann vielleicht auch gar nicht so zielführend, weil es auch noch so viele andere Möglichkeiten gibt.
Können Sie verstehen, dass es da starke Widerstände gibt – also beim Doppelpunkt und beim Binnen-I?
Ja. Sprache ist ja glücklicherweise etwas, was Menschen auch emotional bewegt. Bei allen Änderungen stellt sich dann immer die Frage, ob ich das jetzt auch so machen muss und was das mit meiner eigenen Sprache zu tun hat. Und vielleicht will ich auch beim Sprachwandel eigentlich gar nicht mitmachen. Wir beim Duden haben da eine ganz entspannte, beobachtende Haltung. Außerdem hat sich die Sprache immer schon gewandelt. Wir reden heute nicht mehr so, wie Goethe und Schiller miteinander gesprochen haben.
Sprachlicher Wandel ist zum einen immer auch Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Zum anderen ist sie auch etwas, was weitergeht. So ist Sprache eben auch ein Werkzeug. Und dann ist es eine persönliche Stilentscheidung, welche Variante man sich rauspickt und dass darüber nachgedacht wird.
Abgesehen davon gibt es diesen obersten Leitsatz, dem Sie möglicherweise folgen – die Verständlichkeit. Sprache muss verständlich sein, ist daran nicht zu rütteln?
Sprache muss verständlich sein, was manchmal so seine Tücken hat. Wenn wir beispielsweise Kindern erklären, wo eigentlich Metaphern herkommen oder Redewendungen. Das wissen wir ja manchmal selber ja gar nicht mehr so genau. Warum heißt es zum Beispiel "Da lachen ja die Hühner!" oder "Ich habe einen Frosch im Hals!"? Das ist ja das Schöne an Redensarten. Sie funktionieren auch, ohne dass man sie wirklich versteht und man kennt die Bedeutung, ohne zu wissen, wo sie ursprünglich herkommt.
Man fragt sich auch, warum ein Fuchs eigentlich als besonders schlau gilt oder warum man sagt: "Wir machen nur einen Abstecher" – da wird ja nichts gestochen. Hier funktioniert Sprache übertragen und das ist ja etwas Wunderschönes. Wir verstehen gar nicht immer genau, was dahinter steckt, haben aber durch diese Bildlichkeit ganz viele Möglichkeiten des Ausdrucks.
Braucht es irgendwann mal einen speziellen Duden für Emojis?
Emojis sind so ein spannendes Feld und wir haben uns damit auch schon länger auseinandergesetzt. Das Tolle daran ist ja, dass das Bilder sind, die man einfach so zum Text hinzufügen kann und die gleichzeitig die verschiedensten Interpretationen erlauben.
Was ist zum Beispiel mit dem Emoji mit diesem Tropfen an der Stirn – ist das eine Schweißperle und was bedeutet das dann? Bei Emojis geht es ja immer um Gefühle. Wenn man so ein Emoji-Wörterbuch wirklich erstellen würde – und da gucken wir natürlich auch, wie das international gehandhabt wird und wie das andere Wörterbuch-Verlage machen – dann wäre es wirklich noch viel schwieriger als bei Wörtern, die Bedeutung ganz klar festzuschreiben. Die Bilder lassen eben so viel Interpretationsraum.
Von daher gehe ich erst einmal nicht davon aus, dass wir in den nächsten Jahren einen Emoji-Duden rausbringen. Aber es ist total spannend, wie diese Entwicklung da weitergeht. Welche Emojis bekommen eine ganz klare Bedeutungszuordnung? Bei welchen bleibt es vielleicht noch ein bisschen offener? Was ist eigentlich mit dem Emoji mit der Brille: Verwendet man den, wenn man etwas Kluges gesagt hat? Da sind wir dann wieder bei den sprachlichen Metaphern.
Das birgt dann ein Raum für Missverständnisse. Wenn man vielleicht etwas Gutes meint, aber es kommt böse an, dann hat ja auch keiner etwas gewonnen.
Ja. Da stellt sich auch die Frage, wie man an gute Daten kommt, die man analysieren könnte. In unserem Dudenkorpus haben wir ja die Sprachdaten, die öffentlich zugänglich sind, aber die Emojis werden ja eher in privaten Chats verwendet oder in geschlossenen Gruppen. Sie haben ja auch oft auch eine ganz spezifische Bedeutung in einem ganz speziellen Austausch.
Wo wir schon mal bei den Emojis und bei den Sozialen Medien sind – da spielt ja die korrekte Schreibweise, für die ja der Duden steht, oft eine untergeordnete Rolle. Da entstehen dann zum Teil ja auch neue eigene Regeln. Ist das dann Fluch oder Segen?
Bestimmt beides. Man sieht bei den sozialen Medien, dass das auch ein sprachlicher Innovationsmotor sein kann, weil sich die dort Leute nicht so formell miteinander austauschen Dann können dort auch neue Wörter oder neue Begrifflichkeiten entstehen. Wenn wir an Neuaufnahmen wie das Wort "cringe", ein anderes Wort für peinlich, denken, kommt das eben auch aus diesem Kontext. Und manche Regeln werden dort missachtet und dann hat man manchmal ein Problem mit der Verständlichkeit.
Wenn die Zeichensetzung fehlt, wenn die Groß- und Kleinschreibung fehlt, dann sind das Dinge, die es den Lesenden manchmal schwieriger machen, überhaupt zu verstehen, was da gemeint sein könnte.
Das könnte sich durch die künstliche Intelligenz alles noch anders darstellen. Da werden ja inzwischen ganze Aufsätze, Hausarbeiten, Bücher geschrieben inzwischen. Wird die KI bald auch die Rechtschreibregeln machen?
Davon ist nicht auszugehen, weil die Rechtschreibregeln wirklich mit ganz viel Detailarbeit und auch mit Einzelfallentscheidungen gemacht werden. Das hat man sehr schön an den rechtschreiblichen Änderungen gesehen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung letztes Jahr verabschiedet hat. Das sind Sachen, die die KI im Detail so gar nicht einschätzen kann. Sie kann sicherlich den Menschen dabei helfen, aber wenn bei dem Wort "Porträt" die Schreibung mit "ä" neu zugelassen ist, dann ist das was, was auch sehr viel mit menschlicher Einschätzung zu tun hat.
Manche Dinge scheinen schwierig, sind aber dann im Gesamtsystem einfach. Ein klassisches Beispiel ist da das Wort "Lizenzieren". Das wird ganz oft falsch geschrieben und wir sehen es auch in unseren Sprachdaten ganz oft als "Lizensieren". Man spricht es ja so aus und der Fehler ist total naheliegend. Jetzt könnte man ja sagen: Lieber Rat für deutsche Rechtschreibung, jetzt ändert das doch mal und lasst die Variante mit "S" zu.
Es ist aber gut und richtig, dass der Rat das nicht macht. Wenn ich im Wörterbuch nachgucke, sehe ich ja: "Lizenzieren", das steht bei "Lizenz" und "Lizenzvergabe" und all diesen Wörtern. Und da merke ich, dass das Stammprinzip ein Grundprinzip der deutschen Sprache ist. Ein Wort wird so geschrieben, wie es zur Verwandtschaft passt. Und es wird dann wieder einfacher, weil sich nicht jedes Wort für sich anpasst. Aber im einzelnen Wort, wenn ich "Lizenzieren" richtig schreiben will, muss ich dann doch nochmal im Duden nachschlagen und mich vergewissern, dass dort das "Z" hinkommt.
Wo Sie gerade das Stammprinzip aufrufen: Es gibt so ein Wortpaar, mit dem sich viele sehr schwer tun. Das ist der Unterschied zwischen "scheinbar" und "anscheinend". Erklären Sie uns bitte den Unterschied.
Naja, das ist so ein ganz typischer Zweifelsfall. Die werden oft synonym und deckungsgleich verwendet und vielleicht habe ich das gerade eben auch schon gemacht.
Aber wenn man in unserem absoluten Schatz nachschlägt, dem Zweifelsfälle-Duden, unserem Duden-Band 9, dann kann man dort nachlesen, dass mit "anscheinend" eine Vermutung zum Ausdruck gebracht wird. Mit "scheinbar" wird eher ausgedrückt, dass etwas in Wirklichkeit nicht so ist, wie es sich darstellt. Also ist "Anscheinend ist niemand im Haus" die Vermutung. Die Zeit steht "scheinbar" still, aber sie tut es eben nicht wirklich.
Das ist diese Unterscheidung der beiden Wörter, die allerdings noch relativ jung ist. Das beobachtet man noch gar nicht so lange. Erst im 18. Jahrhundert wurden sie so gegeneinander abgegrenzt und es ist auch immer noch in der Alltagssprache zu beobachten, dass "scheinbar" oft im Sinne von "anscheinend" verwendet wird.
Das Interview führte Sven Kochale.
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