• Im ARD-Sommerinterview kritisierte Bundeskanzler Friedrich Merz vermeintlich überhöhte Mietzahlungen des Jobcenters an Bürgergeldempfänger.
  • Jobcenter übernehmen die Wohnkosten nur in angemessener Höhe, die je nach Kommune unterschiedlich festgelegt ist.
  • Innerhalb der einjährigen Karenzzeit wird diese Angemessenheitsgrenze nicht überprüft.
  • Nur 0,42% aller Bedarfsgemeinschaften in Deutschland erhielten 2025 Wohnkostenübernahme mit über 20 €/qm.
  • Große Wohnungen über 100 qm sind unter Bürgergeldempfängern selten und meist nur von größeren Bedarfsgemeinschaften oder WGs bewohnt.
  • Für übernommene Mieten von 2.000 Euro müssten in München mindestens sechs Menschen gemeinsam Wohnen – in Leipzig mehr als 20 Personen.
  • Um die Kosten zu senken, möchte Merz eine Deckelung der Wohnkosten prüfen.

Bundeskanzler Friedrich Merz plant eine Reform des Bürgergelds – dabei will er auch die Wohnkosten ins Visier nehmen, die die Jobcenter für Sozialleistungsbeziehende übernehmen. Im ARD-Sommeinterview sagte er, es gebe Bürgergeldempfänger, "die in den Großstädten teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter" Miete vom Amt erhielten. "Das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro im Monat. Das kann sich eine normale Arbeitnehmerfamilie nicht leisten." Doch wie realistisch ist diese Aussage?

Welche Wohnkosten werden überhaupt übernommen?

Das Jobcenter übernimmt für Bürgergeldempfänger "die Kosten für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe." Festgelegt ist dies in Paragraph 22 des Sozialgesetzbuchs. Bei zu hohen Kosten müsse man in eine günstigere Wohnung umziehen oder ein Zimmer untervermieten, heißt es dazu auf der Website der Bundesagentur für Arbeit. Was dabei letztlich als angemessen gilt, hängt vom jeweiligen Wohnort ab. Eine bundesweit einheitliche Grenze gibt es nicht – vielmehr legen die Kommunen eigene Richtwerte für die Kosten und die Größe der Unterkunft fest.

In Leipzig liegt die hierfür vorgesehene Bruttokaltmiete derzeit für eine Person bei rund 346 Euro, in Dresden bei 451 Euro, in Erfurt bei 344 Euro und in Magdeburg bei 371 Euro. Deutlich Höher sind die Kosten beispielsweise in den zwei teuersten Städten Deutschlands München (890 Euro) und Frankfurt am Main (786 Euro).

Insgesamt machen die vom Staat übernommenen Kosten für Unterkunft etwa ein Viertel des Gesamtbudgets für das Bürgergeld aus. Für das Jahr 2025 sind rund 45 Milliarden Euro für die Grundsicherung eingeplant, davon entfallen etwa elf Milliarden Euro auf die Unterkunftskosten.

Karenzzeit: Jobcenter zahlt im ersten Jahr auch teurere Wohnungen

Eine Ausnahme bildet die mit dem Bürgergeld eingeführte Karenzzeit: Im ersten Jahr des Leistungsbezugs prüft das Jobcenter nicht, ob die Mietkosten innerhalb der kommunalen Angemessenheitsgrenzen liegen. Ausgenommen davon sind die Heizkosten, die von Beginn an angemessen sein müssen. "Dadurch können sich Arbeitsuchende gerade in der marktnahen ersten Zeit der Arbeitslosigkeit voll auf die Jobsuche konzentrieren", teilt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf Anfrage von MDR AKTUELL schriftlich mit. Bürgergeldbeziehende, deren Mietkosten oberhalb der örtlichen Angemessenheitsgrenze liegen, müssen sich somit zunächst nicht um eine günstigere Wohnung bemühen. Das Jobcenter übernimmt in diesem Zeitraum auch Wohnungen, die deutlich über dieser Grenze liegen. Bundeskanzler Merz kritisiert diese Regelung und möchte sie abschaffen.

Gibt es Jobcenter-Mieten mit 20 Euro/qm?

Tatsächlich zahlt das Jobcenter auch Mieten mit einem Quadratmeterpreis von 20 Euro – allerdings nur in verhältnismäßig wenigen Fällen. Wie die BA MDR AKTUELL schriftlich mitteilte, lag im Juni 2025 der durchschnittlich anerkannte Quadratmeterpreis nur in einer Kommune über 20 Euro: im Main-Taunus-Kreis mit 23 Euro/qm. In den großen Städten liegt der Durchschnitt deutlich darunter – etwa 16,10 Euro in München und 15,20 Euro in Hamburg (jeweils Kaltmiete). In den mitteldeutschen Großstädten Leipzig (5,60 Euro/qm), Dresden (7,30 Euro/qm), Chemnitz (5,30 Euro/qm), Erfurt (6,80 Euro/qm), Jena (7,70 Euro/qm) und Magdeburg (5,70 Euro/qm) sind die Kosten deutlich niedriger.

Die BA beziffert die bundesweit durchschnittlich übernommenen Kosten auf 8,19 Euro/qm. In den mitteldeutschen Bundesländern Sachsen (5,88 Euro/qm), Sachsen-Anhalt (5,49 Euro/qm) und Thüringen (5,82 Euro/qm) liegen die Werte unter dem Bundesschnitt.

Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften, bei denen die anerkannten Unterkunftskosten über 20 Euro/qm liegt, ist mit Blick auf die Gesamtheit verschwindend gering. Nach aktuellen BA-Zahlen betraf dies im Juni 2025 11.083 Bedarfsgemeinschaften – bei mehr als 2,6 Millionen bundesweiten Bürgergeldhaushalten entspricht dies lediglich 0,42 Prozent. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen waren es rund 2.800 Fälle.

Leben viele Bürgergeldempfänger in 100-qm-Wohnungen?

Auch das ist die Ausnahme. Im März 2025 lebten 164.014 Bedarfsgemeinschaften (6,3 Prozent) in Wohnungen mit 100 qm oder mehr. Dabei wird jedoch nicht unterschieden, wie viele Menschen in der Wohnung leben. Laut BA kann etwa auch eine WG mit mehreren Personen als 100-qm-Wohnung zählen – obwohl das Jobcenter nur den anteiligen Bedarf einzelner Personen übernimmt.

Wie realistisch sind 2.000 Euro für 100 qm?

Merz behauptete zudem, dass Jobcenter bei Bürgergeldempfängern für 100 Quadratmeter große Wohnungen mit entsprechend hohen Quadratmeterpreisen bis zu 2.000 Euro monatlich zahlen würden. Was zunächst plausibel klingt, ist bei genauerem Hinsehen höchst unwahrscheinlich.

Ein Blick auf die von den Kommunen festgelegten Mietobergrenzen zeigt: Um beispielsweise in München auf diesen Betrag zu kommen, müsste es sich um eine Bedarfsgemeinschaft mit mindestens sechs Personen handeln. In anderen Städten mit deutlich niedrigeren Richtwerten wären sogar noch größere Haushalte erforderlich – in Leipzig, der größten Stadt Mitteldeutschlands, müsste eine Bedarfsgemeinschaft beispielsweise aus 21 Personen bestehen, um auf 2.000 Euro Mietkosten zu kommen.

Merz will Deckelung der Wohnkosten prüfen

Mit Blick auf die Reform des Bürgergelds brachte Merz im ARD-Sommerinterview eine Deckelung der Wohnkosten und der Wohnungsgröße für Bürgergeldempfänger ins Spiel. "Pauschalierung ist möglich, geringere Sätze sind möglich." Das alles stehe auf dem Prüfstand der Koalition.

Einem Bericht des "SPIEGEL" zufolge existiert eine solche Deckelung jedoch bereits. Dabei bezieht sich das Magazin auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Demnach haben Jobcenter im Jahr 2024 im Schnitt 334.000 Bürgergeldhaushalten nicht die vollständigen Kosten für die Warmmiete übernommen. Betroffen sind Haushalte deren Wohnkosten über der von der Kommune festgelegten Angemessenheitsgrenze liegen. Das betraf etwa 12,6 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften im Grundsicherungssystem. Die betroffenen Haushalte mussten dem Bericht zufolge im Schnitt monatlich 116 Euro aus dem Regelsatz für ihre Wohnkosten selbst aufbringen.

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