• Aus Sicht des Wuppertaler Zoodirektors Arne Lawrenz ist eine Handaufzucht keine sinnvolle Alternative.
  • Die Aufzuchtsmethode wird im Vergleich zu früher nur noch selten bei gefährdeten Tieren angewendet.
  • Der Tierpark Chemnitz spricht von einer sorgfältigen Abwägung im Falle einer Handaufzucht.

Das Interesse und die Anteilnahme an den drei gestorbenen Amurtigern im Zoo Leipzig ist über Sachsen hinweg groß. Nachdem das Muttertier sie nicht angenommen hatte, wurden die Jungtiere vergangene Woche eingeschläfert. Daran gab es einige Kritik. Die Tierrechtsorganisation Peta hat angekündigt, Strafanzeige zu erstatten. Es soll geprüft werden, ob das Töten der Tigerbabys rechtmäßig war.

Rettung durch Handaufzucht?

Doch wäre eine Aufzucht durch den Menschen - eine sogenannte Handaufzucht - sinnvoll gewesen? Möglich schon, aber sinnvoll nicht, sagt Wuppertals Zoodirektor Arne Lawrenz. In seinem Zoo lebt ein Amurtiger-Pärchen mit frischen Nachwuchs. "Eine Handaufzucht kann gutgehen, aber geht häufig auch schief", erklärt Lawrenz.

Arne Lawrenz ist Tierarzt und Direktor des Zoos in Wuppertal. Er hält eine Aufzucht von Tieren durch den Menschen nur in seltenen Fällen für sinnvoll. Bildrechte: Zoo Wuppertal

Zoodirektor: Tiere zeigen Fehlverhalten

Das Problem sei bei dieser Aufzuchtsmethode, dass die Tiere - ob Tiger oder Affe - auf den Menschen geprägt werden. "Sie lassen sich dann nicht mehr mit anderen Tieren integrieren. Die Tiere haben ihr Leben lang Probleme, weil sie auf dem Menschen und nicht das andere Tier fokussiert sind."

Zeigten solche Tier oder eben Tiger gegenüber ihrem Artgenossen Fehlverhalten, könnten sie von diesen verletzt werden. Er nennt das Beispiel von Bonoboaffe Bili aus seinem Zoo in Wuppertal. "Er leidet unter der Handaufzucht, weil er sich falsch verhält." Von der Gruppe werde der Affe nicht akzeptiert, werde gemobbt und gebissen.

Handaufzuchten nur bei sehr gefährdeten Tierarten

Dass eine Handaufzucht aber auch funktionieren kann, zeigt Lawrenz am Beispiel einer Handaufzucht vor 20 Jahren bei einem Tiger. "Wir haben uns da als Menschen sehr zurückgenommen. Das war sehr, sehr kompliziert." Heutzutage sei es das Ziel, den Muttertieren möglichst lange Zeit zu geben, um ihre Tiere anzunehmen.

Das riskieren wir heute nicht mehr aus Tierwohlgründen.

Arne LawrenzDirektor des Zoos in Wuppertal

Handaufzuchten gebe es im Vergleich zu vor 20 Jahren nur noch selten, so Lawrenz. "Das riskieren wir heute nicht mehr aus Tierwohlgründen", betont der Zoodirektor und Tierarzt. Diese Aufzuchtspraxis gebe es in allen Zoos nur noch bei sehr bedrohten Tierarten, bei denen es auf jedes einzelne Tier ankomme. Das könne genauso in freier Natur vorkommen, nicht nur in Gefangenschaft.

Das Tigerweibchen Tullia hatte im Zoo Wuppertal das erste Mal erfolgreich Nachwuchs. Doch auch hier gab es traurige Nachrichten.Bildrechte: Zoo Wuppertal

Einschläfern, um Leiden zu verhindern

Dass gerade junge Tigermütter, die das erste Mal Nachwuchs bekommen, ihre Kinder nicht annehmen, komme öfters vor, sagt Lawrenz. Das passiere, wenn Tigermütter instinktiv merkten, dass sie nicht den kompletten Nachwuchs durchbringen.

Im Zoo Wuppertal habe es einen ähnlichen Vorfall bei den Amurtigern gegeben, so Lawrenz. Dort habe das Amurtigerweibchen mehrere Jungtiere zur Welt gebracht. Zwei davon hätten überlebt, ein drittes sei tot gefunden worden, ein viertes habe die Tigermutter vermutlich gefressen. "Das ist ein völlig normales Verhalten. Es ist in der Natur so, es ist bei uns so." Nicht angenommene Jungtiere einzuschläfern, sei aus Sicht von Lawrenz "richtiges und korrektes Verhalten."

Diese kleinen Amurtiger wurden erst vor wenigen Wochen im Zoo Wuppertal geboren. Das Muttertier kümmert sich um die beiden. Bildrechte: Zoo Wuppertal

Tierpark Chemnitz: Sorgfältige Abwägung mit Tierärzten

Nicht ganz so eindeutig zum Thema Handaufzucht positioniert sich der Tierpark Chemnitz. "Ob eine Handaufzucht sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab", teilt die Stadt Chemnitz als Betreiberin auf Anfrage von MDR SACHSEN mit. Demnach kann diese Aufzuchtsmethode eine wichtige Rolle bei sehr gefährdeteten Tieren spielen. Das sei bei den Amurtigern in der Regel nicht der Fall, heißt es. Für diese Tierart gebe es ein europaweites Zuchtprogramm mit einer stabilen Population.

Ob eine Handaufzucht sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab.

Stadt Chemnitz

Bei den Amurtigern in Chemnitz gab es städtischen Angaben zufolge keine vergleichbare Situation wie in Leipzig. Es habe seltene Fälle bei anderen Tierarten gegeben, wo Muttertiere ihre Jungtiere nicht annahmen. "In diesen Fällen wird sehr sorgfältig mit der Tierärztin und den Zuchtbuchführern abgewogen, ob eine Handaufzucht sinnvoll und im Sinne des Tierwohls ist", heißt es.

Max Planck Institut: Aufzucht von Großkatzen erfolgreich möglich

Handaufzuchten insbesondere bei Großkatzen können sehr erfolgreich sein, sagt Natalia Borrego. Sie erforscht am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Koblenz Großkatzen insbesondere Löwen, aber auch Tiger. Borrego schränkt jedoch ein: "Handaufzuchten erfordern hochqualifiziertes Personal, geeignete Einrichtungen und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung."

Handaufzuchten erfordern hochqualifiziertes Personal, geeignete Einrichtungen und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.

Natalia BorregoForscherin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Koblenz

Borrego habe in Ländern wie Südafrika gearbeitet, bei denen Handaufzuchten nicht ungewöhnlich seien und der Nachwuchs zu gesunden erwachsenen Tieren heranwächst. Diese seien teilweise erfolgreich ausgewildert worden. Es gebe zudem viele dokumentierte Fälle, in denen Tiger in Gefangenschaft mit Hand aufgezogen wurden.

Die Forscherin Natalia Borrego arbeitet am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie sowie an der Universität Konstanz und im Lion Research Center der University of Minnesota. Bildrechte: Natalia Borrego

Die Forscherin betont aber auch, dass sich die verfügbaren Ressourcen - wie Gehege oder Fachpersonal - stark von Land zu Land unterscheiden. Die Entscheidung, von Hand aufzuziehen oder einzuschläfern, werde nie leichtfertig getroffen.

Risiko: Erstgebärende Tiger verstoßen Jungtiere öfter

Bei der Frage, ob das Verhalten von Tigermutter Yushka aus dem Zoo Leipzig als "normal" zu bezeichnen ist, will sich Forscherin Borrego nicht eindeutig festlegen. Ihr seien keine Studien bekannt, die dieses Verhalten in Zoos direkt mit dem in der Wildnis vergleichen. Deswegen sei eine eindeutige Aussage schwierig.

Das Zurücklassen von Jungtieren komme aber auch in der Wildnis vor, erklärt Borrego. Zudem sei das Risiko höher, dass ein erstmals gebärendes Tigerweibchen seinen Nachwuchs verstößt.

Weiterführende Links

  • 11. August 2025Tigerbabys eingeschläfert: Peta kündigt Strafanzeige gegen Leipziger Zoo anmit Audio
  • 11. August 2025Zoo Leipzig schläfert Tiger-Babys einmit Audio
  • 17. Mai 2025Peta will Tiger von Halterin in Sachsen beschlagnahmen lassenmit Video

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