MDR AKTUELL: Frau Dr. Schaudig, statistisch gesehen nimmt nur noch jede vierte Frau die Anti-Baby-Pille. Wie konnte sich aus dem einstigen Symbol der sexuellen Befreiung so ein skeptischer Umgang entwickeln?

Dr. Katrin Schaudig ist Gynäkologin, Präsidentin der Deutschen Menopause-Gesellschaft und Expertin im MDR-Podcast "Hormongesteuert"Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Katrin Schaudig: Wir haben dazu mal eine Online-Befragung gemacht mit 800 Studentinnen, weil uns das auch gewundert hat. Wir haben konkret gefragt, warum machen sie es so? Die Antworten bestanden aus unterschiedlichen Gründen. Vieles basiert auf Mythen und Legenden, schlechter Presse, Angst vor Nebenwirkungen, auch ein bisschen in Richtung Bio: 'Ich will es natürlicher.'

Es sind eher Bedenken, die man nicht richtig fassen kann. Natürlich geht es auch um Nebenwirkungen, Thrombose zum Beispiel. Davor haben Frauen auch Angst. Es wird aber immer gerne übersehen, dass das ein wirklich seltenes Ereignis ist und man auch Risikogruppen herausfischen kann. Ich sehe das weniger kritisch.

Natürlich gibt es immer mal wieder Frauen, die sagen, ihre Sexualität habe sich verändert. Wenn man sich Studien dazu anguckt, sieht man aber, dass es nicht so schlimm ist. Bei manchen kann es passieren, aber beim größeren Teil nicht. Dann hält sich das Gerücht, dass die Pille dick macht. Auch davor haben Mädchen Angst. Sie haben auch Angst, dass es die Stimmung schlecht beeinflussen kann. Wenn man das alles hört als junge Frau, verunsichert einen das.

Wie erleben Sie das in Ihrer Praxis als Gynäkologin? Welche Rolle spielen Themen wie Gewichtszunahme, depressive Verstimmungen oder Thrombose-Risiken bei Ihren Patientinnen?

Sie sprechen es an. Manche übrigens gar nicht. Ich sehe immer weniger Frauen, die einfach nur routinemäßig zur Verhütungsberatung kommen. Ich sehe mehr Frauen, wo das irgendwie ein Problem darstellt. Dann kommen die zu uns in die Praxis. Wir sind spezialisiert auf Hormonprobleme. Die fragen schon nach. Ich kläre sie auch auf – besonders, was das Thromboserisiko anbelangt. Das muss man sehr ernst nehmen. Aber es zeigt sich in Studien, dass man die Risikopatientinnen herausfischen kann.

Das sind die, bei denen es Thrombosen in der Familie gibt, das sind stark übergewichtige Frauen. Die muss man rausfischen. Dazu gibt es wunderbare Fragebögen. Ich muss das adressieren. Ich sage auch: Wenn irgendwas auftritt in den nächsten drei Monaten, was Ihnen nicht gefällt, achten Sie darauf. Ich sehe die dann immer noch mal zur Kontrolle. Und ich achte bei der Wiedervorstellung drauf, ob sich etwas verändert hat. Was ich wichtig finde ist, dass oftmals vergessen wird, dass die Pille in ganz vielen Fällen auch sehr viele positive Nebeneffekte hat.

Welche sind das?

Schmerzen bei der Regelblutung verschwinden in den meisten Fällen. Dann zum Beispiel das Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS). Das ist eine Erkrankung, bei der man zu viele männliche Hormone hat. Das wird alles dramatisch besser mit der Antibabypille. Endometriose ist auch eine Erkrankung, bei der man mit Anti-Baby-Pillen gut helfen kann. Das sind so die wichtigsten Sachen. Auch zum Beispiel prämenstruelle dysphorische Störungen, also Stimmungsschwankungen, schlechte Laune vor der Regel. Auch das wird mit einer klassischen Anti-Baby-Pille sehr viel besser.

Nun hält sich auch das Gerücht, dass die Pille durchaus krebserregend sein kann. Wie erleben Sie das in Ihrer Praxis? Gibt es überhaupt Anhaltspunkte dafür, die sich statistisch beweisen lassen?

Das höre ich natürlich auch immer mal wieder. Tatsächlich ist es so, dass es große Studien gibt, die besagen, dass die Brustkrebsgefahr durch die Anti-Baby-Pille minimal steigt. Das ist praktisch nicht messbar, aber einen geringen Effekt kann es geben. Allerdings gibt es Daten, dass zum Beispiel Eierstockkrebs oder Gebärmutterschleimhautkrebs durch die Anti-Baby-Pille deutlich reduziert werden in der Häufigkeit.

Wie haben sich die Präparate im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt? Oder haben wir heute noch genau die gleichen Präparate wie damals vor 65 Jahren?

Nein, nicht mehr wirklich. Allerdings sind manche Inhaltsstoffe gleich geblieben. Beispielsweise enthielt die Pille in der DDR Chlormadinon. Dieser Stoff ist immer noch in gleicher Dosis in Anti-Baby-Pillen. Aber die Östrogen-Dosis ist im Laufe der Jahre deutlich gesunken, weil wir schon wissen, dass gerade die Gefäßnebenwirkung, also sprich Thrombose, dosisabhängig vom Östrogen ist. Mittlerweile sind die Pillen sehr viel niedriger dosiert. Damals hatten sie 50 bis 80 Mikrogramm Ethinylestradiol. Jetzt sind wir bei 20 bis 30 Mikrogramm gelandet, also sehr viel weniger.

Und wir haben auch inzwischen Präparate, die statt dieses klassischen Pillen-Östrogens natürliches Östrogen enthalten. Da sind wir schon breiter aufgestellt. Ich würde sagen, die Präparate, die wir jetzt haben, sind niedriger dosiert. Und wir haben auch ein breites Spektrum an synthetischen Gestagenen, die wir verwenden können. Bioidentisches Progesteron, also Gelbkörperhormone, kann man nicht nehmen. Das verhütet einfach nicht. Das heißt, bei den Pillen sind wir auf synthetische Gestagene angewiesen. Aber auch da haben wir mittlerweile ein breites Portfolio, aus dem wir auswählen können.

Das Interview führte Uta Georgi.

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