Koalition warnt vor AfD-Vorstoß: Strafbare Aussagen könnten folgenlos bleiben
- Die AfD will Landtagsabgeordnete bei strafbaren Aussagen oder Taten stärker vor strafrechtlichen Konsequenzen schützen.
- Die Regierungskoalition lehnt das in Teilen ab und sieht die Gefahr, dass damit zum Beispiel volksverhetzende Reden künftig straffrei bleiben könnten.
- Die Vorschläge der AfD sind so teils in anderen Bundesländer schon in Kraft.
Die AfD-Fraktion im sachsen-anhaltischen Landtag will Landtagsabgeordnete noch stärker als bislang vor Strafverfolgung schützen. Dazu bringt sie am Freitag einen Gesetzesentwurf in den Landtag ein, um die Landesverfassung entsprechend zu ändern. Strafbare oder juristisch strittige Aussagen von Abgeordneten zum Beispiel könnten gemäß AfD-Vorschlag nicht mehr gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden.
Schon jetzt gilt dieser spezielle Schutz (Indemnität) für alle Aussagen, die Abgeordnete innerhalb des Parlaments, also in Landtagssitzungen oder Ausschüssen äußern. Die AfD will ihn nun aber auch auf Äußerungen ausweiten, die außerhalb des Parlaments "in Ausübung des Mandats" fallen. Das würde etwa Bürgerdialoge, Podiumsdiskussionen, Interviews und Social-Media-Posts umfassen. Von diesem Schutz ausgenommen sollen "verleumderische Beleidigungen" bleiben.
Was folgt aus der Abgeordneten-Indemnität?
Die sogenannte Indemnität sichert das Prinzip der Freiheit des Mandats in besonderer Weise. So können Abgeordnete selbst für grenzwertigste Aussagen nicht strafrechtlich belangt werden. Das gilt derzeit nur für Aussagen innerhalb des Landtags. Ausgenommen sind in Sachsen-Anhalt "verleumderische Beleidigungen".
Das bedeutet jedoch nicht, dass strafbare oder grenzwertige Äußerungen gar nicht sanktioniert werden können. Es greifen in einem solchen Fall die internen Ordnungsmaßnahmen des Landtags, die in der Geschäftsordnung festgelegt sind. Dazu gehören Ordnungsrufe sowie der Ausschluss von der Sitzung.
AfD will auch Immunität ausweiten
Überdies will die AfD-Fraktion die Immunität der Abgeordneten ausweiten. Landtagsabgeordnete könnten demnach nur noch mit vorheriger Genehmigung des Parlaments für Straftaten verfolgt oder verhaftet werden. Aktuell ist es umgekehrt so geregelt, dass Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Abgeordnete ausgesetzt werden müssen, wenn der Landtag das verlangt. Staatsanwaltschaften dürfen zunächst also auch am Landtag vorbei tätig werden.
Insbesondere das Thema Immunität dürfte unter anderem mit den Durchsuchungen im Magdeburger Landtag vom 1. Juli zusammenhängen. Diese richteten sich gegen die Fraktionen der CDU, der SPD sowie der AfD.
Wegen des laufenden Verfahrens wollten sich die Regierungsfraktionen CDU und SPD auf MDR-Anfrage nicht selbst zum AfD-Vorstoß äußern. Stattdessen schickten sie am Mittwoch die unbeteiligte dritte Regierungspartei FDP für ein gemeinsames Statement vor. Tenor: Die Koalition lehnt eine Ausweitung des Schutzes von Abgeordneten-Aussagen ab.
FDP: Freibrief für Volksverhetzung
"Mit einer solchen Gesetzesänderung würde Abgeordneten praktisch ein Freibrief erteilt, außerhalb des Parlaments zum Beispiel volksverhetzende Reden zu halten, ohne dafür strafrechtlich belangt werden zu können. Das lehnen wir ganz klar ab", erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Guido Kosmehl, auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT.
Die aktuell gültigen Regelungen würden außerdem eine freie Debatte im Landtag sowie in den Ausschüssen bereits sicherstellen, so Kosmehl weiter. "Außerhalb des Landtages müssen sich die Abgeordneten für ihre Äußerungen verantworten."
Eine andere Haltung zeichnet sich beim Thema Immunität ab. Über eine Ausweitung, wie von der AfD vorgeschlagen, lasse sich nachdenken, teilte Kosmehl stellvertretend für die Koalition mit.
Grüne warnen vor rechtsfreiem Raum
Linke und Grüne lehnen die Vorschläge dagegen in Gänze ab. Die AfD wolle damit zum einen "die Verrohung der Debatte auch außerhalb des Parlaments fortführen", so Olaf Meister, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. Zum anderen werde ein rechtsfreier Raum geschaffen. Müsse der Landtag Strafverfolgungen künftig erst genehmigen, könne er sich auch weigern, wodurch selbst "schwerste Straftaten von Abgeordneten nicht verfolgt werden könnten", warnte Meister.
Stefan Gebhardt, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Abgeordnete dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass sie über dem Gesetz stehen und deshalb bei bestimmten Delikten frei von Strafverfolgung sind. Vor dem Gesetz sind alle gleich."
AfD-Vorschläge in anderen Bundesländern schon in Kraft
Die AfD fordert Änderungen, weil Sachsen-Anhalt bei der Indemnität und Immunität hinter anderen Bundesländern zurückliegt.
Die Kritik der AfD trifft zu: So sind in einigen anderen ostdeutschen Bundesländern (Thüringen, Sachsen, Berlin) Abgeordnete schon jetzt auch außerhalb des Parlaments bei strafbaren oder juristisch strittigen Aussagen vor Strafverfolgung geschützt.
Rechtsexperte: "Würde Ausweitung der Immunität begrüßen"
Das bestätigt auch der Rechtswissenschaftler und ehemalige Richter am sachsen-anhaltischen Landesverfassungsgericht, Professor Winfried Kluth. Er sieht den Vorschlag dennoch kritisch. "Es kann im Streitfall schwierig werden zu unterscheiden, ob etwas in Ausübung des Mandats geäußert wird – was dann geschützt wäre – oder unter persönliche Meinung fällt oder unter generelle Parteipolitik", so Kluth im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.
Auch könne eine Ausweitung tatsächlich dazu führen, dass beispielsweise eine bei einem Bürgerdialog ausgerufene NS-Parole straffrei bleibe. Dies müsse aber im Einzelfall gerichtlich geprüft werden, schätzt Kluth.
Die von der AfD vorgeschlagene Ausweitung der Immunität der Abgeordneten würde der Rechtswissenschaftler dagegen ausdrücklich begrüßen. Dass eine Staatsanwaltschaft vor der Strafverfolgung erst die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten beim Parlament beantragen müsse, sei zum Beispiel im Bundestag und auch in anderen Landtagen so geregelt. Und auch in Sachsen-Anhalt habe dies bis 2014 genauso in der Verfassung gestanden. "Aus meiner Sicht ist das die bessere Variante."
Die Koalition hat gegenüber dem MDR angekündigt, den AfD-Gesetzentwurf zur weiteren Beratung in den Rechtsausschuss zu überweisen.
MDR (Daniel Salpius)
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