Jeden Tag werden 54 Kinder sexuell missbraucht – was wir alle dagegen tun können
- Kinder und Jugendliche ermutigen, sich anzuvertrauen
- Veränderungen bei Kindern und Jugendlichen ernst nehmen, beobachten und Gespräche suchen
- Expertin: Bundesregierung sollte zur Prävention Plattformbetreiber stärker in die Pflicht nehmen
Expertinnen fordern angesichts des aktuellen Lagebilds zu sexueller Gewalt gegen Kinder, hinzusehen und nachzufragen. Gabi Lindner vom Verein Dunkelziffer betonte im Interview mit MDR AKTUELL, die tatsächlichen Zahlen der Betroffenen seien mutmaßlich zehn bis 15 Mal höher als in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Grund dafür sei, dass viele Fälle gar nicht erst zur Anzeige kommen. Lindner zufolge werden pro Tag etwa 54 Kinder Opfer von sexueller Gewalt. "In jeder Schulklasse sitzen ungefähr ein bis zwei betroffene Kinder", sagt die Fachberaterin.
In jeder Schulklasse sitzen ungefähr ein bis zwei betroffene Kinder.
Um mehr Fälle aufzudecken, gelte es daher auch, Prävention auszubauen. In Schulen, Kitas, Sportvereinen, in der Kirche und anderen Freizeiteinrichtungen sollten Kinder dazu motiviert werden, sich anzuvertrauen und etwas zu sagen. Lindner äußerte die Hoffnung, dass durch entsprechende Fortbildungen auch immer mehr Menschen in pädagogischen Berufen sensibilisiert sind.
Bauchgefühl ernst nehmen und Gespräche suchen
Julia von Weiler vom Verein Innocence in Danger erklärte, bei Verdachtsfällen sei es wichtig, die Sorge ernst zu nehmen und mit dem Verdacht nicht alleine zu bleiben. Abgesehen von körperlichen Verletzungen gebe es meist keine eindeutigen Symptome, die auf sexualisierte Gewalt hinweisen: "Die einen werden ganz schlecht in der Schule, weil sie sich nicht mehr konzentrieren können – die anderen werden aber super gut in der Schule, weil sie damit quasi kompensieren, was sonst nicht gut läuft in ihrem Leben." Auch von aggressivem Verhalten bis zu eher depressivem Rückzug oder Schlafstörungen sei die Bandbreite sehr groß.
Wenn man merke, dass etwas anders sei, könnten Beratungsstellen wie das Hilfetelfon zu Missbrauch dabei helfen, sich zu sortieren. Für guten Kinderschutz reiche es nicht, "nur einmal im Jahr 'Oh weh, oh weh' zu sagen". Vielmehr müssten wir uns auch als Gesellschaft "sehr unbequeme Fragen stellen", sagte von Weiler.
Auch Lisa Melzer vom Verein Wildwasser in Chemnitz betonte, man solle nicht davor scheuen, sich mit anderen Erwachsenen zu unterhalten, denen man vertraue. Es sei sehr wichtig, Missbrauch im eigenen sozialen Nahraum ebenso wie über die sozialen Medien überhaupt erstmal für möglich zu halten.
Mit Kindern und Jugendlichen sprechen
Ebenso könne man mit den Kindern und Jugendlichen selbst das Gespräch suchen und etwa die Beobachtung mitteilen, dass man den Eindruck habe, es gehe dem Kind vielleicht nicht so gut. "Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben", sagte Melzer. So könnten Eltern sich von ihrem Kind erklären lassen, wie sie das Internet nutzen oder wie ein bestimmtes Spiel funktioniert. Das könne dann eine Basis sein, um darüber zu sprechen, welche Gefahren es im Netz gebe und was man von sich selbst preisgeben wolle.
Wichtig sei in jedem Fall, auch weiterhin die Hand auszustrecken und zu vermitteln: "Auch wenn dir was passiert, was sich blöd anfühlt und du merkst, das ist nicht in Ordnung, darfst du jederzeit auf mich zukommen und wir suchen dann nach einer Lösung."
Lindner: Bundesregierung sollte Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen
Neben dem privaten Umfeld sei aber auch die Politik in der Pflicht, erklärte Gabi Lindner. Gerade mit Blick auf rasant steigende Zahlen von Missbrauchsdarstellungen im Internet müsse die Bundesregierung auch Online-Plattformbetreiber stärker in die Pflicht nehmen. "Kinder sind nicht in der Lage, sich vor Cybergrooming, Sextortion, Livestreaming oder Chatfunktionen in Online-Games zu schützen", sagte Lindner. Neben mehr Medienbildung an Schulen sei es beispielsweise wichtig, eine echte Altersverifizierung einzuführen.
Am Donnerstag hatten das Bundesinnenministerium, das Bundeskriminalamt und die Missbrauchsbeauftragte des Bundes das jährliche Lagebild zum Thema vorgestellt. Demnach wurden vergangenes Jahr 13.365 Mädchen und 4.720 Jungen Opfer von sexuellem Missbrauch. Registriert wurden 12.368 Tatverdächtige, das sind 3,9 Prozent mehr als 2023.
Quellen: MDR, dpa (rnm)
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