Immer weniger Studierende in Mitteldeutschland bekommen Bafög
- Der Bafög-Antrag vieler Studierender wird abgelehnt, eine hohe Anzahl beantragt die staatliche Unterstützung auch gar nicht erst.
- Es besteht die Gefahr, dass die Abhängigkeit von den Eltern soziale Unterschiede noch weiter befeuert.
- Die Koalition aus Union und SPD plant, den Grundbedarf für Studierende an das allgemeine Grundsicherungsniveau anzupassen.
Bjarne Koppelmann ist der Erste in seiner Familie, der studiert. Dass er kein Bafög bekommen würde, war für ihn zu Beginn seines Studiums eine Überraschung: "Da habe ich eine Absage bekommen, weil mein Vater angeblich zu viel Geld verdient. Von dem Geld habe ich aber nie irgendwas gesehen, weil meine Eltern finanziell nicht so gut aufgestellt sind und mir dementsprechend nicht besonders viel zukommen lassen konnten." Zum Leben habe das nicht gereicht, erzählt der Germanistik-Student. Deshalb habe er auch von Anfang an neben seinem Studium in Leipzig gearbeitet.
Anders sieht es bei Klara Binning aus. Ihre Eltern finanzieren ihr Studium in Leipzig. Aber auch wenn sie ihr das Geld geben, sagt Binning: "Ich habe eher einfach schon von mir selber aus ein schlechtes Gewissen, dass ich jeden Monat schon so ein paar hundert Euro von ihnen bekomme."
Viele Anträge werden abgelehnt – und viele gar nicht erst gestellt
Klara Binning und Bjarne Koppelmann gehören damit zu den mehr als 80 Prozent der Studierenden, die im vergangenen Jahr kein Bafög bezogen haben.
In die Zahlen des Statistischen Bundesamtes fließen aber auch Menschen ein, die eigentlich Anspruch auf die staatliche Unterstützung gehabt hätten. Eine gemeinsame Untersuchung des Max-Planck-Instituts und des Fraunhofer Instituts hat ergeben, dass bis zu 70 Prozent der Anspruchsberechtigen kein Bafög beantragen. Der Hauptgrund sei, dass die Studierenden schlecht über die staatliche Förderung informiert seien.
Gefahr der Abhängigkeit eines Studiums vom Geldbeutel der Eltern steigt
Rahel Schüssler ist Referentin für Bafög beim "freien zusammenschluss von student*innenschaften" (fzs). Sie sieht noch weitere Hürden beim Bafög: "Dieser Bafög-Antrag, der dauert lange in der Bearbeitung, der ist teilweise unübersichtlich. Und dann ist halt diese Kosten-Nutzen-Rechnung – die lohnt sich einfach beim Bafög für viele nicht mehr."
Nur wenige Studenten haben Anspruch auf den Bafög-Höchstsatz von aktuell 992 Euro. Mehr als die Hälfte der Bafög-Bezieher bekommen weniger, das können auch nur 50 oder 100 Euro sein. Für viele lohne sich der Stress mit dem Antrag dann nicht, sagt Schüssler. Daher würden sie lieber gleich arbeiten und müssten keine Angst haben, sich zu verschulden. Neben dem Vollzeit-Studium noch 20 Stunden arbeiten zu müssen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, halte sie aber auch nicht für zumutbar.
Der Soziologe Marcel Helbig forscht am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe zu Bildung und sozialer Ungleichheit. Er sagt, je mehr das Studium vom Geldbeutel der Eltern abhänge, umso stärker könnten auch soziale Ungleichheiten auftreten: "Die Unsicherheit, die damit zusammenhängt, ein Studium aufzunehmen und abzuschließen, ist gerade für jene, die sich das nicht leisten können, auch deutlich höher geworden, wo sich der ein oder andere auch dagegen entscheiden wird."
Koalitionsvertrag: Bafög soll an Grundsicherungsniveau angepasst werden
Grundsätzlich spricht sich Helbig für das Bafög aus – wenn es denn auskömmlich wäre. Zuständig dafür ist das Bundesforschungsministerium. Auf Anfrage von MDR AKTUELL teilte eine Sprecherin mit, dass die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigten, dass Handlungsbedarf bestehe. Mehr als das, was im Koalitionsvertrag stehe, sei aber erstmal nicht geplant. Union und SPD hatten unter anderem vereinbart, den Grundbedarf für Studierende bis zum Wintersemester 2028/29 an das Grundsicherungsniveau anzupassen. Das liegt aktuell für alleinstehende Erwachsene bei 563 Euro pro Monat, Wohnkosten sind dabei nicht eingerechnet.
Für den Leipziger Student Bjarne Koppelmann bringt das erstmal keine Verbesserung. Er hat dieses Semester wieder einen Bafög-Antrag gestellt, der abgelehnt wurde. Sein Lichtblick: Mit dem abgelehnten Antrag kann er nun Wohngeld beantragen.
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