Wirtschaftsweise Grimm drängt auf echte Reformen bei der Rente
MDR AKTUELL: Bundeskanzler Friedrich Merz hat kürzlich gesagt, der heutige Sozialstaat sei so nicht mehr finanzierbar. Die Einnahmen stünden in keinem Verhältnis mehr zu den Ausgaben für Rente, Pflege oder dem Bürgergeld. Deshalb sollen nun Reformen angegangen werden. Frau Grimm, was stellen Sie sich zum Beispiel bei der Rente vor?
Veronika Grimm: Man muss eben sehen, dass die Demografie dem Umlageverfahren, nach dem die gesetzliche Rentenversicherung organisiert ist, nicht gerade in die Hände spielt. Im Jahr 2035 wird auf zwei Personen im erwerbsfähigen Alter rechnerisch eine Person im Rentenalter kommen. Heute sind es noch 2,5 Personen. Die Relation wird aufgrund der niedrigeren Geburtenraten immer schlechter. Bei den Beitragszahlern sind es sogar noch weniger, sodass weniger als zwei Beitragszahler dann einen Rentner finanzieren müssen.
Die Ausgaben laufen aus dem Ruder. Auch weil in den vergangenen Jahren sehr, sehr viele Rentengeschenke verteilt wurden, die eigentlich gar nicht finanzierbar sind.
Das kann natürlich nicht aufgehen. Da sind die Kapitalmärkte ertragreicher. Deswegen muss man Stück für Stück mehr in die Kapitaldeckung gehen und kapitalmarktbasiert vorsorgen. Gleichzeitig muss man die Ausgaben in der gesetzlichen Rentenversicherung in den Griff bekommen. Die laufen aus dem Ruder. Auch weil in den vergangenen Jahren sehr, sehr viele Rentengeschenke verteilt wurden, die eigentlich gar nicht finanzierbar sind.
An welche Geschenke denken Sie?
Rentengeschenke in dem Sinne, dass man viele sogenannte versicherungsfremde Leistungen etabliert hat, wie zum Beispiel die Mütterrente. Man bekommt Rentenpunkte dafür, dass man Kinder bekommen hat und gesteht dies auch Müttern zu, die weit in der Vergangenheit Kinder bekommen haben. Es ist natürlich argumentierbar, warum das sinnvoll und gerecht wäre. Aber es ist eben nicht finanzierbar. Deswegen laufen die Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Ruder und da muss der Staat dringend gegensteuern.
Aktuell ist es so, dass die Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme deutlich stärker ansteigen als unsere Wirtschaftsleistung – und das ist natürlich nicht nachhaltig. Bis zum Krieg in der Ukraine hat man das aus der Friedensdividende gezahlt. Seitdem nimmt man zusätzliche Schulden auf, weil man eben aus dem aktuellen Betrieb sozusagen die sozialen Sicherungssysteme eigentlich nicht finanzieren kann.
Sie schlagen vor, an die Kapitalmärkte zu gehen, um die Rente sicherer zu machen. Viele scheuen sich aber davor. Die Finanzmärkte bergen ja auch viele Risiken. Wir denken an die Abstürze, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben. Sind diese Sorgen einfach so vom Tisch zu wischen?
Die Renditen an den Kapitalmärkten sind eben deutlich höher. Das liegt einfach daran, dass das Zinsniveau gestiegen ist und die Geburtenraten sehr niedrig sind. Die Rentenversicherung im Umlageverfahren ist daher nicht besonders ertragreich. Deswegen ist es durchaus so, dass man kapitalmarktbasiert deutlich ertragreicher ansparen kann. Viele andere Länder machen das vor, Schweden zum Beispiel hat das sehr erfolgreich etabliert. Den Weg sollte man auch gehen. Das ist aber etwas, was langfristig wirkt.
Kurzfristig muss man die gesetzliche Rentenversicherung reformieren. Zum Beispiel durch die Kopplung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung. Zum Beispiel durch die Anpassung der Bestandsrenten an die Preis- statt an die Lohnentwicklung. Und zum Beispiel auch durch eine Neujustierung der Haltelinie. Das, was man aktuell macht, nämlich eine Haltelinie bei 48 Prozent, das hat letztlich zur Folge, dass dadurch die Ausgaben immer stärker ansteigen werden und letztlich durch die Beitragsentwicklung auf Dauer nicht gedeckt sein können.
Nun kommen ja immer mehr Vorschläge auf den Tisch. Ein verpflichtendes Dienstjahr für Rentner ist zum Beispiel aufgerufen. Oder auch ein Boomer-Soli als eine Sonderabgabe auf hohe Alterseinkünfte. Wie schlimm muss es um den Sozialstaat wirklich stehen, wenn solche Ideen jetzt verhandelt werden?
Ich glaube, das Wichtige ist, dass man die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme an das anpassen muss, was wir uns aufgrund unseres Wirtschaftswachstums bzw. unserer Wirtschaftsleistung auch tatsächlich leisten können. Es bringt nichts, zusätzliche Schulden zu machen, um Reformen vermeiden zu können, wie man das bisher gemacht hat. Es bringt letztlich auch nichts, zusätzliche Abgaben zu erhöhen. Das führt dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität des Standorts leidet. Weil entweder die Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung über die Maßen steigen. Das sind gleichzeitig die Lohnnebenkosten, also die Lohnkosten, die Unternehmen hier zahlen müssen.
Oder wenn man es über zusätzliche Schulden macht, wird die Attraktivität dadurch geschmälert, dass die Schulden immer stärker ansteigen und die Gelder so verwendet werden, dass die Wirtschaftsleistung nicht steigt. Letztlich ist es so, dass wir an die Ausgabensituation ran müssen. Deswegen müssen wir schauen, dass die Ausgaben gedämpft werden. Die Renten steigen dann weniger. Sie sinken wohlgemerkt nicht, sondern sie steigen weniger. Diese Reformschritte müsste man gehen. Die sind aber eben besonders unpopulär.
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