Welche Regeln gelten für Kinder und Jugendliche?
Zum Schulbeginn treten in einigen Bundesländern Handyverbote an Schulen in Kraft. Die Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche werden breit diskutiert. Welche Regeln gibt es schon - und wo?
Wie nutzen Kinder und Jugendliche Social Media?
In Deutschland nutzen laut der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina immer mehr Kinder und Jugendliche immer früher soziale Medien. Bereits 10 Prozent der 6- bis 7-Jährigen, 17 Prozent der 8- bis 9-Jährigen, 46 Prozent der 10- bis 11-Jährigen und 71 Prozent 12- bis 13-Jährigen nutzten aktuellen Studien zufolge mindestens einmal pro Woche TikTok.
Dabei lasse sich die Nutzung von sozialen Medien in zwei Dimensionen beschreiben: nach Quantität - das heißt nach Nutzungshäufigkeit und -dauer - sowie nach Qualität, also nach Art und Weise der Nutzung, die aktiv (z. B. Hochladen von Inhalten, Austausch von privaten und öffentlichen Nachrichten) oder passiv sein kann (etwa der Rezeption von Inhalten anderer Nutzerinnen und Nutzer).
Digitale Medien bieten laut Leopoldina jungen Menschen die Chance auf soziale Teilhabe, Vernetzung, gegenseitige Unterstützung und Wissensaustausch. Demgegenüber stünden aber auch erhebliche Risiken bis hin zur Suchterkrankung.
Die Ergebnisse der Studie "Jugend - Internet - Medien" (JIM) zeigten, dass mehr als 80 Prozent der 12- bis 19-jährigen Jugendlichen soziale Medien täglich durchschnittlich 3,5 Stunden nutzen. Eine von der Krankenkasse DAK in Auftrag gegebene Längsschnittstudie kommt auf eine werktägliche Nutzung von zweieinhalb Stunden. Sie hat für Deutschland zudem einen deutlichen Anstieg der Nutzungsquantität bei Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) zwischen Herbst 2019 und 2024 festgestellt.
Eine von der Krankenkasse DAK in Auftrag gegebene Längsschnittstudie mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat für Deutschland zudem einen deutlichen Anstieg der Nutzungsquantität bei Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) zwischen Herbst 2019 und 2024 festgestellt. Untersucht wurden Gaming, Social Media und Streaming.
Laut DAK-Studie hat sich die Problematik der Mediensucht auf hohem Niveau eingependelt und liegt deutlich höher als vor fünf Jahren: Ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen nutze soziale Medien "problematisch", darunter gelten laut Studie 4,7 Prozent als abhängig. Jungen seien demnach mit sechs Prozent fast doppelt so häufig betroffen wie Mädchen (3,2 Prozent).
Welche Nutzungsbeschränkungen sind in Kraft?
Auf EU-Ebene und in Deutschland gibt es bereits mehrere Rechtsvorschriften, die für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in sozialen Medien relevant sind, resümiert dazu die Wissenschaftsorganisation Leopoldina in einem aktuellen Papier.
Der Digital Services Act (DSA) der EU stehe allerdings in seinem Anwendungsbereich strengeren nationalen Vorschriften, etwa im deutschen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag oder im Jugendschutzgesetz, teilweise entgegen, sofern sie denselben Schutzzweck verfolgen.
Eine wichtige Regelung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sei die EU-Richtlinie über sogenannte audiovisuelle Mediendienste, also insbesondere über solche sozialen Medien, die das öffentliche Teilen von nutzergenerierten Videos erlauben. Sie legt fest, dass die Anbieter "angemessene" Maßnahmen treffen müssen, um Kinder und Jugendliche vor schädlichen Inhalten zu schützen, zum Beispiel vor pornografischen und indizierten Inhalten.
Des Weiteren enthält auch die EU-Datenschutz-Grundverordnung Regeln, die für den Jugendschutz in sozialen Medien wichtig sind. Nach Artikel 8 DSGVO beispielsweise dürfen Jugendliche erst ab 16 Jahren selbst entscheiden, ob ihre persönlichen Daten verarbeitet werden. Unter 16-Jährige können solche Dienste also nur mit Zustimmung der Eltern überhaupt nutzen.
Besonders wichtig ist laut Leopoldina darüber hinaus der schon genannte DSA mit zahlreichen Vorgaben, die den Schutz von Kindern und Jugendlichen auf Online-Plattformen betreffen. Dazu gehörten auch die meisten sozialen Medien, allerdings nicht die sogenannten Instant-Messenger-Dienste.
Für die Durchsetzung der europäischen Regelungen sind die Behörden desjenigen Landes zuständig, in dem der jeweilige Social-Media-Anbieter seinen Sitz hat.
Welche Kritik gibt es an den europäischen Regelungen?
Der Digital Services Act (DSA) sieht vor, dass die Anbieter großer Online-Plattformen regelmäßig selbst überprüfen, ob von ihrer Plattform systemische Risiken für Kinder und Jugendliche ausgehen.
Die Leopoldina sieht kritisch, dass viele der vom DSA beschriebenen Vorgaben die Risikoeinschätzung den Anbietern übertragen. Kindern, Jugendlichen oder ihren Eltern werde ein hohes Maß an Verantwortung übertragen - das sei eine "hohe Hürde". Wer nicht gut informiert und sensibilisiert sei, sei durch den DSA kaum geschützt.
Welche Haltung hat die neue Bundesregierung zur digitalen Mediennutzung Minderjähriger?
Klare Regeln für die Nutzung von Social Media werden politisch diskutiert, sind aber nicht bundesweit etabliert. Aus Sicht von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig wären sie wichtig für ein Aufwachsen ohne Stress und Mobbing. "Kinder und Jugendliche brauchen Schutz statt Selbstdarstellungsdruck", sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur.
Eine klare und vor allem wirksame Altersgrenze für die Nutzung sozialer Medien schütze Kinder in ihrer Privatsphäre und fördere zudem eine gesunde Entwicklung. Eine Erleichterung wäre das nach Einschätzung der Ministerin auch für Eltern, die dann nicht mehr Tag für Tag mit ihren Kindern über deren Aktivitäten auf Social Media diskutieren müssten.
CDU, CSU und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Expertenkommission einzusetzen, um die Auswirkungen digitaler Medien auf Kinder und Jugendliche zu untersuchen und um eine Strategie für "Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt" zu erarbeiten. Insbesondere Eltern sollen durch gezielte Wissensvermittlung gestärkt werden, so die Vereinbarung. "Plattformbetreiber und Anbieter werden wir in die Pflicht nehmen, den digitalen Kinder- und Jugendschutz wirksam umzusetzen", heißt es dort außerdem.
Schwarz-Rot will sich für verpflichtende Altersverifikationen und sichere Voreinstellungen für Kinder und Jugendliche bei digitalen Endgeräten und Angeboten einsetzen. Justizministerin Hubig sagte, sie unterstütze Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) in ihrem Bestreben, hier schnell voranzukommen. Prien hatte sich zuletzt mehrfach für eine gesetzlich verankerte Altersverifikation ausgesprochen.
Welche Regeln existieren in den Bundesländern?
Schulpolitik ist in Deutschland Ländersache. Jedes Bundesland regelt sie selbst. Eine einheitliche Linie gibt es beim Umgang mit den Handys bislang nicht. Eine bundesweite Vorgabe lehnte die Kultusministerkonferenz noch im Mai ausdrücklich ab.
Länder wie Bayern, das Saarland und Thüringen haben den Einsatz von Smartphones in Grundschulen und Förderschulen untersagt. Brandenburg will nachziehen. In Hessen ist die private Nutzung von Smartphones oder Tablets auf dem Schulgelände grundsätzlich nicht mehr erlaubt. Die Geräte dürfen aber mitgenommen werden. Auch in Bremen gelten im neuen Schuljahr strengere Regeln für die Handynutzung. An Grundschulen und weiterführenden Schulen bis zur 10. Klasse müssen sie auf dem Schulgelände ausgeschaltet bleiben.
Zum Start des neuen Schuljahres haben Brandenburg, Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen ihre Vorschriften verschärft und setzen verstärkt auf Verbote. Ziel ist es, die private Handynutzung weitgehend aus den Schulen zu verbannen, um die Konzentration zu fördern und die sozialen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu stärken.
In den meisten Bundesländern überlassen es die Kultusministerien den Schulen selbst, entsprechende Regelungen zu treffen. In Nordrhein-Westfalen sollen alle Schulen bis zum Herbst altersgerechte Regeln für die Handynutzung aufstellen. In der nordrhein-westfälischen Stadt Solingen startet gerade zum Schulbeginn ein stadtweites Pilotprojekt für die fünfte Klassenstufe, das einen Social-Media-Verzicht und ein Handynutzungsverbot in den Schulen vorsieht.
In Sachsen haben nach Ansicht von Kultusminister Conrad Clemens (CDU) private Handys in Grundschulen nichts verloren. Im Mai hatte der sächsische Landtag ein Handyverbot an Grundschulen per Gesetz abgelehnt. An den meisten Grundschulen im Freistaat gilt ein Handyverbot aber bereits.

Modellprojekt in Solingen: Fünftklässer ohne Soziale Medien
Katharina Spreier, WDR, tagesschau, 27.08.2025 17:00 UhrWelche Regeln existieren in anderen Ländern?
In mehreren europäischen Staaten gibt es bereits Handyverbote an Grundschulen, wobei die Regeln sehr unterschiedlich sind. Das Thema einer effektiveren Überprüfung des Alters von Nutzerinnen und Nutzern sozialer Medien wird aktuell auch auf EU-Ebene diskutiert.
In Frankreich ist seit rund zwei Jahren gesetzlich vorgeschrieben, dass Kinder unter 15 Jahren die ausdrückliche Zustimmung ihrer Eltern benötigen, um ein Social-Media-Konto zu erstellen.
Zum Schutz von Kindern vor Gewalt, Cybermobbing und süchtig machenden Inhalten erlaubt beispielsweise Australien Social Media erst ab 16 Jahren. Auch auf EU-Ebene kommt das Thema Alterskontrolle voran - mehrere Staaten wie beispielsweise Dänemark, Griechenland, Spanien und Belgien machen Druck.
Die EU-Kommission arbeitet auch an einer eigenen App, um die Altersprüfung EU-weit vereinheitlichen zu können. Damit könnte der Zugang zu Online-Inhalten wie Pornografie oder Glücksspiel besser kontrolliert werden. Die App soll die Privatsphäre schützen und benutzerfreundlich sein.
Welche Kritik gibt es an den Vorschlägen?
"Ein pauschales Handyverbot an Schulen greift zu kurz, ist nicht realistisch und auch nicht pädagogisch sinnvoll", erklärt Burkhard Naumann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. "Stattdessen braucht es klare, gemeinsam vereinbarte Regeln zur Handynutzung, die von Schülern, Lehrkräften und Eltern getragen werden und praktisch umsetzbar sind." Schulen benötigten zudem ausreichend Zeit und Geld, um Angebote zur Stärkung der digitalen Kompetenzen zu realisieren.
Organisationen aus dem Bildungsbereich sprechen sich gegen pauschalen Regelungen aus. In einem offenen Brief heißt es: "Wir brauchen pädagogisch begleitete Erfahrungsräume, keine reflexartigen Verbote." So würde keine Medienkompetenz geschaffen und das Problem ins Private verschoben. Unterstützt wird der offene Brief vom Bundeselternrat, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, dem Deutschen Kinderhilfswerk sowie dem Zentrum für digitalen Fortschritt D64.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Kai Hanke, sagt: "Pauschale Verbote entmündigen Kinder und Jugendliche und stehen in krassem Widerspruch zu ihrem in der UN-Kinderrechtskonvention garantierten Recht auf digitale Teilhabe sowie den Aufbau von Medienkompetenz."
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