Inhalt des Artikels:

  • 65 Bewerbungen und kein Job
  • Alles richtig gemacht und dann arbeitslos
  • Besonders betroffen: Automobilindustrie
  • IT-Spezialisten werden weiter gesucht

So hatte sich Kassandra Walluks die Zeit nach ihrem Abschluss nicht vorgestellt. Im Gegenteil. Die promovierte Biochemikerin ging eigentlich davon aus, dass eine wissenschaftliche Stelle oder Arbeit in der Forschung in ihrem Fach und mit ihrer Qualifikation sicher wäre. Geforscht wird schließlich immer. Und außerdem haben wir ja einen Fachkräftemangel in Deutschland.

65 Bewerbungen und kein Job

Aber jetzt, ein Jahr nach ihrem Abschluss und 65 Bewerbungen später, hat sie immernoch keine Stelle gefunden und erzählt, wie frustrierend das ist. "Ich bin nicht der Typ, der aufgibt, aber man merkt halt, dass man das hinterfragt und die Energie dabei auch manchmal verloren geht."

Ich bin nicht der Typ, der aufgibt.

Kassandra Walluks

Bisher hat sie entweder Absagen bekommen, oft automatische, oder gar keine Rückmeldung. Sie war zu vier Bewerbungsgesprächen eingeladen, davon fanden zwei online statt. Einen Job sucht sie noch immer.

Mit dieser Erfahrung ist die Jenenserin nicht allein. Gerade macht sie eine Weiterbildung über das Arbeitsamt. "Dort habe ich festgestellt, dass mit mir in einem Kurs 25 weitere promovierte Wissenschaftler sitzen, die keinen Job finden." Sie alle, bereits hochqualifiziert, qualifizieren sich noch weiter, um, wie Walluks sagt, "den Unterschied zu machen bei den wenigen Stellen, die ausgeschrieben sind".

Alles richtig gemacht und dann arbeitslos

Walluks hatte sich auf einen Aufruf auf dem Instagram-Kanal von MDR THÜRINGEN gemeldet. So wie ein gutes Dutzend weiterer Hochschulabsolventen, die ihre Geschichte erzählen. Die Erfahrungen, von denen sie erzählen, ähneln sich bei vielen: Nach dem Hochschulabschluss haben sie sich mit viel Zuversicht beworben, teilweise sehr viele Bewerbungen geschrieben, haben wenig oder gar keine Rückmeldung bekommen und kaum eine Zusage für einen Job.

[Bei der Weiterbildung] habe ich festgestellt, dass mit mir in einem Kurs 25 weitere promovierte Wissenschaftler sitzen, die keinen Job finden.

Kassandra Walluks

Dabei klingt so etwas wie Überraschung durch: Schließlich haben sie alles richtig gemacht, das richtige Fach studiert, Berufserfahrung gesammelt, sich weiterqualifiziert, gut abgeschlossen.

Und trotzdem scheint all das nicht zu reichen, um eine Stelle zu finden. Dabei hieß es, als sie vor ein paar Jahren mit dem Studium begonnen haben, noch, junge Menschen wie sie würden gebraucht, unbedingt und dringend.

Wirtschaftsverband: Rezession wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus

Das bestätigt Ute Zacharias, die Sprecherin des Verbands der Wirtschaft Thüringens (VWT). Sie erzählt, dass Thüringer Firmen zurückhaltend und vorsichtig geworden seien, denn wir befänden uns im dritten Jahr einer wirtschaftlichen Rezession.

Die Umsätze seien in fast allen Branchen gesunken. "Und das wirkt sich jetzt auf dem Arbeitsmarkt aus." Das betreffe so gut wie alle Unternehmen, beispielsweise die Metallindustrie und den Maschinenbau, vor allem aber die Automobilbranche.

Philipp Pfeffer promoviert gerade an der TU Ilmenau, er rechnet damit, dass er Anfang 2026 fertig wird. Sein Thema: Quantencomputing. Als er vor zehn Jahren angefangen hat zu studieren, hieß es noch, Ingenieure werden in Deutschland gebraucht, erzählt er. Jetzt macht der wissenschaftliche Mitarbeiter andere Erfahrungen. Schon jetzt schaut er sich nach einem Job um. Aber er hat wenig Hoffnung, in Thüringen etwas Geeignetes zu finden.

Ich würde gar nicht sagen, dass es unmöglich ist, in Thüringen einen Job zu kriegen, aber wenn, dann nur mit Abstrichen.

Philipp Pfeffer

"Ich würde gar nicht sagen, dass es unmöglich ist, in Thüringen einen Job zu kriegen, aber wenn, dann nur mit Abstrichen." Er meint damit, dass er eher etwas finden würde, das nicht seiner Spezialisierung und Qualifikation entspräche. Das hieße aber, dass er unter Umständen 20.000 Euro weniger im Jahr verdienen würde. "Da verkauft man sich dann unter Wert."

An der TU Ilmenau werden vor allem Ingenieure ausgebildet.Bildrechte: picture alliance / Michael Reichel

Philipp Pfeffer hat seinen Master in Kybernetik gemacht, er ist auf Strömungsmechanik spezialisiert. Strömungsmechanik werde vor allem in der Luftfahrt- und Automobilindustrie gebraucht, sagt er. Da finde man eher in München oder Berlin eine Stelle. Aus seiner Beobachtung auf Jobmessen sind die Autozulieferer in Thüringen "derzeit nicht auf Einstellkurs ausgelegt, sondern gerade dabei, mit den Ressourcen, die sie haben zu haushalten".

Besonders betroffen: Automobilindustrie

Ute Zacharias vom Wirtschaftsverband sagt etwas ganz Ähnliches: Es gebe vor allem in der Automobilindustrie Entlassungen, Firmen werden geschlossen, in vielen Unternehmen gebe es Kurzarbeit. Dabei seien die Automobilzulieferer bisher eine der stärksten Branchen in Thüringen gewesen. "Ich würde sagen, es ist schwieriger geworden über die letzten fünf Jahre", sagt Philipp Pfeffer von der TU Ilmenau.

Drei Prozent arbeitslose Akademiker in Thüringen

Dabei zeigen die Zahlen der Agentur für Arbeit, dass Akademiker gar nicht so schlecht dastehen, jedenfalls war das 2024 noch so. Da lag die Arbeitslosenquote bei Akademikern in Thüringen im Jahresdurchschnitt bei drei Prozent.

Zwischen 2019 und 2023 pendelte die Arbeitslosenquote bei Akademikern zwischen 2,2 und 2,6 Prozent. Bundesweit liegt die Quote bei 2,9 Prozent. Die Arbeitslosenquote insgesamt lag 2024 in Thüringen bei 6,2 Prozent.

"Arbeitskräfte mit (Fach-)Hochschulabschluss sind vergleichsweise seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Qualifikationsgruppen", teilte die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Agentur für Arbeit auf Nachfrage mit. "Das größte Risiko, arbeitslos zu werden, tragen im Gegensatz dazu die nicht formal Qualifizierten", also Menschen ohne Berufsabschluss.

Arbeitskräfte mit (Fach-)Hochschulabschluss sind vergleichsweise seltener von Arbeitslosigkeit betroffen.

Agentur für Arbeit

IT-Spezialisten werden weiter gesucht

Überhaupt: Die Zahl der Arbeitsplätze, die "hohe Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten stellen", habe zugenommen, während der Bedarf an einfachen Tätigkeiten, die keinen Berufsabschluss erfordern, niedrig bleibe. Selbst in konjunkturell schlechten Zeiten bliebe die Akademiker-Arbeitslosenquote sehr gering.

Und Ute Zacharias vom Wirtschaftsverband sagt, einen Fachkräftemangel gebe es auch weiterhin. "Unverändert werden Spezialisten gesucht im IT-Bereich, in der Altenpflege, Controller werden auch immer eingestellt oder Steuerexperten." Sie rät jungen Menschen, sich in diesen Branchen zu bewerben.

Jede Krise ist irgendwann zu Ende.

Ute ZachariasVerband der Wirtschaft Thüringens

Das nützt der Biochemikerin Kassandra Walluks freilich wenig. Ihr bleibt nur, sich weiter auf Stellen für ihre Ausbildung zu bewerben. Jede Woche schaue sie, ob irgendwas Neues ausgeschrieben ist, erzählt sie. Sie frage Leute in ihrem Umfeld, ob sie etwas hören oder sehen und recherchiere auf allen Jobportalen, die es gibt. Und natürlich will sie ihre Weiterbildung abschließen.

Und dann hofft sie, "dass irgendwann mal ein Arbeitgeber sagt, wir haben dich gesucht, du passt gut in unser Team und wir haben eine offene Stelle."

"Jede Krise ist irgendwann zu Ende", sagt Ute Zacharias. Und dann werde es auch wieder besser. Nur im Moment sei noch nicht absehbar, wann.

MDR (caf)

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